Mindestlohn im Taxi-Gewerbe

19.06.2015, Autor: Herr Uwe Lange / Lesedauer ca. 4 Min. (644 mal gelesen)
Der gesetzliche Mindestlohn steht im Taxi-Gewerbe unter dem Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit.

Mindestlohn im Taxi-Gewerbe


I. Aussergerichtlich forderte der Arbeitnehmer, ein festangestellter Taxifahrer, von der Arbeitgeberin weitere Vergütung nach dem Mindestlohn-Gesetz (MiloG) für Januar 2015 in Höhe von 208,14 €.

Die Arbeitgeberin weigerte sich die weitere Vergütung nach dem MiloG an den Arbeitnehmer auszubezahlen: Der Arbeitnehmer habe ausweislich des Arbeitszeitnachweises im Januar 2015 an weniger Stunden gearbeitet als von ihm angegeben.

Am 24.03.2015 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer
durch eine ordentliche Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist ohne Begründung.


II. Der (Arbeitnehmer) Kläger erhob Ende März 2015 über seinen Verfahrensbevollmächtigten die Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht und stellte den Weiterbeschäftigungsantrag.

Wegen der ausstehenden (Rest)-Vergütung nach dem MiloG für Januar 2015 in Höhe von 208,14 € und für Februar in Höhe von 125,02 € erhob der Arbeitnehmer (Kläger) Anfang April Leistungsklage beim zuständigen Arbeitsgericht.


III. Am 22.04.2015 erteilte die beklagte Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer/Kläger aussergerichtlich über ihren Verfahrensbevollmächtigten eine schriftliche Arbeitsanweis folgenden Inhalts:

1. Da der Arbeitnehmer hauptsächlich nachts und zu Zeiten arbeite, an denen andere Fahrer, die zur selben Zeit eingesetzt sind, erheblich höhere Umsätze einbringen, werde man den Kläger zukünftig zu anderen Zeiten beschäftigen. Da der Kläger während einer werktäglichen Nachtschicht nicht wirtschaftlich arbeite, werde er zukünftig an einem Werktag tagsüber eingesetzt.
2. Bis auf weiteres habe der Arbeitnehmer lediglich folgende 5 innerstädtische Taxihalteplätze anzufahren (..........)
3. Sämtliche von der Taxi-Zentrale angebotene Fahrten seien grundsätzlich anzunehmen. Sämtliche abgelehnte Fahraufträge der Taxi-Zentrale seien für die Arbeitgeberin (Beklagte) unter Angabe des Ablehnungsgrundes schriftlich zu dokumentieren.
4. Sämtliche Fahrten des Arbeitnehmers seien mittels Formular von Schichtanfang bis Schichtende schriftlich aufzuzeichnen. Dazu gehören insbesonder auch:
Fahrt vom Abstellplatz zum ersten Taxiplatz- / zur ersten Abholadresse,
sämtliche unbesetzte Fahren,
Fahrten zur Tankstelle, Werkstatt, Eigenfahrten
sämtliche durchgeführten Fahrten mit Fahrgästen.
Für sämtliche Fahrten sei der Zeitpunkt Beginn und Ende der Fahrt, die Fahrtstrecke mit Start- und Ende sowie eventuelle Anmerkungen zu erfassen.
Für jede Schicht sei ein gesondertes Blatt auszufüllen.
Fahrten ohne Uhr sind nicht erlaubt.


IV.  Anfang Mai 2015 wurde vor dem Arbeitsgericht Karlsruhe (Az: 3 Ca 104/15 und 3 Ca 130/15) im Gütetermin über beide Klagen verhandelt.

Die Beklagte begründete im Termin mündlich die Kündigung vom 24.03.2015 mit dem Verdacht des Arbeitszeitsbetrugs:

Die Auswertung der Taxameter habe ergeben, dass der Kläger im Januar 2015 an mehreren Tagen während der Nachtschichten erheblich weniger Umsatz eingefahren habe als vergleichbare Arbeitnehmer. Ausserdem sei es während dieser Nachtschichten ausweislich des Taxameters zu äusserst langen fahrtenlosen Phasen gekommen. Besonders während einer Nachtschicht habe der Kläger über mehrere Stunden keine Auftragsfahrt durchgeführt.

Diese äusserst langen fahrtenlosen Phasen legten für die Beklagte den Verdacht nahe, der Kläger sei während dieser fahrtenlosen Zeiten seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nicht nachgekommen (Beförderungen an den städtischen Halteplätzen anzubieten). Es bestehe deshalb der Verdacht des Arbeitszeitbetrugs, wenn der Kläger zu diesen Zeiten nicht gearbeitet habe, gegenüber der Beklagten diese Zeiten jedoch als Arbeitszeiten angegeben habe.


V. Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage schlossen die Parteien folgenden vom Gericht angeregten Vergleich:

1. Die Beklagte erklärte, dass sie aus der Kündigung vom 24.03.2015 keine weiteren Rechte herleitet. Die Parteien einigten sich darauf, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortgesetzt wird.
2. Die Parteien ändern den Inhalt des Arbeitsverhältnis dahingehend, dass der Kläger (Arbeitnehmer) zukünftig nur noch 16 Stunden wöchentlich zu arbeiten habe und zwar an zwei Nachtschichten an den Wochenenden. Die Vergütungsregelungen bleiben unverändert. Der Kläger hat den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.
3. Die schriftliche Arbeitsanweisung der Beklagten vom 22.04.2015 wird nicht aufrechterhalten. Es bleibt zwischen den Parteien offen, inwieweit die Beklagte berechtigt ist, eine derartige Weisung auszusprechen. Es bleibt zwischen den Parteien offen, ob die Beklagte berechtigt ist, andere Arbeitszeiten zuzuweisen.
4. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger für die Monate Januar und Februar die eingeklagte weitere Brutto-Vergütung nach dem MiLoG nachzuzahlen.
5. Die Parteien stellen klar, dass die vereinbarte Arbeitszeit von 16 h pro Woche ohne Pausen ist.


VI.  Anmerkungen zu dem Verfahren aus arbeitsrechtlicher Sicht:


1. Das Gericht äusserte Bedenken, ob das Vorbringen der Beklagten hinsichtlich längerer fahrtenloser Zeiten des Klägers während einzelner Nachtschichten einen erheblichen Verdacht wegen Arbeitszeitbetrugs begründen (verhaltensbedingter Kündigungsgrund).

2. Der Anspruch des Klägers auf den gesetzlichen Mindestlohn wurde anerkannt.

3. Der gesetzliche Mindestlohn steht im Taxi-Gewerbe unter dem Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit. Die bisher übliche Bruttolohn-Vergütung in Höhe von 40 % des eingefahrenen Umsatzes bleibt auch nach dem Inkrafttreten des Mindestlohn-Gesetz weiterbestehen.

4. Arbeitnehmer, deren umsatzabhängige Vergütung (Umsatzprovision) geringer ist als der gesetzliche Mindestlohn entsprechend den tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten, bekommen den gesetzlichen Mindestlohn nicht selbstverständlich bezahlt.

5. Weitere Vergütungen nach dem Mindestlohn-Gesetz müssen von Arbeitnehmern gegebenenfalls aussergerichtlich geltend gemacht und vor den Arbeitsgerichten eingeklagt werden.

6. Unter Umständen kann es im Zusammenhang mit der aussergerichtlichen/gerichtlichen Geltendmachung von Mindestlohnvergütungen zu Kündigungen seitens des Arbeitsgebers kommen.

7. Unwirtschaftliche Schichten mit geringer Arbeitsintensität und geringen Umsätzen, die die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns für den Arbeitgeber unrentabel machen, werden gestrichen.

8. Das hat in dem Gütetermin seine Rechtsauffassung mitgeteilt, wonach mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns das Direktionsrechts des Arbeitgebers dahingehend erstarken könne, dass der Arbeitgeber unrentable Schichten streichen darf. Der Arbeitnehmer dürfe gegebenenfalls für andere rentable Arbeitszeiten (Schichten) eingeteilt werden. Der Arbeitgeber dürfe gegebenenfalls hinsichtlich der zu erbringenden Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer detaillierte Arbeitsanweisungen erteilen.

9. Die Kontrolldichte hinsichtlich der Arbeitsleistung nimmt zu und die Leitungsbefugnis des Arbeitgebers (Direktionsrecht) bekommt nach Inkrafttreten des Mindestlohn-Gesetzes grössere Bedeutung als zu Zeiten der umsatzabhängigen Vergütung ohne Lohnuntergrenze.

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