Arbeitsunfähigkeit: 10 Punkte, die für Arbeitnehmer besonders wichtig sind

08.06.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 7 Min. (4683 mal gelesen)
AU, Arbeitsunfähigkeit, eAU,Krankschreibung Wer als Arbeitnehmer krank wird, hat trotzdem Pflichten. © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Krankmeldung: Arbeitnehmer müssen den Arbeitgeber unverzüglich über ihre Arbeitsunfähigkeit informieren, in der Regel am ersten Tag der Krankheit.

2. Ärztliches Attest: Abhängig von den betrieblichen Regelungen oder dem Arbeitsvertrag ist spätestens nach nach drei Tagen ein ärztliches Attest vorzulegen, das die Arbeitsunfähigkeit bestätigt.

3. Lohnanspruch: Ist der Arbeitnehmer an seiner Erkrankung nicht selbst Schuld, muss ihm der Arbeitgeber den Arbeitslohn im Falle einer Erkrankung für bis zu sechs Wochen weiterbezahlen.
Jeder Arbeitnehmer ist durch den Arbeitsvertrag dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen. Er muss also zu den vereinbarten Zeiten im Betrieb erscheinen und seine Tätigkeit ausüben. Eine Verweigerung der Arbeit ist ein Kündigungsgrund. Eine Ausnahme ist die Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit.
Kann ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht mehr nachgehen, gilt er als vorübergehend arbeitsunfähig. Kann ein Mitarbeiter dauerhaft seinen Beruf nicht mehr ausüben, spricht man von Berufsunfähigkeit.
Arbeitnehmer haben während einer gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Lohnfortzahlung und außerdem Ansprüche gegen ihre Krankenkasse. In einigen Fällen können sie auch Geld von ihrer Unfallversicherung oder der Agentur für Arbeit bekommen. Wichtige Punkte regelt das Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG).

1. Wann muss man sich krankmelden?


Wenn ein Arbeitnehmer krank ist, muss er dies dem Arbeitgeber unverzüglich mitteilen. Dabei ist auch anzugeben, wie lange man voraussichtlich krank sein wird.
Am besten sollte dies durch einen Anruf vor oder gleich zu Beginn der Arbeitszeit am ersten Krankheitstag geschehen. Dem Chef gibt diese Krankmeldung die Möglichkeit, die nötigen Maßnahmen zu treffen, etwa eine Vertretung zu organisieren oder Termine zu verlegen. Durch eine verspätete Krankmeldung wird der Betriebsablauf durcheinandergebracht. Daher kann sie zu einer Abmahnung führen, und im Wiederholungsfall sogar eine Kündigung zur Folge haben. Arbeitnehmer können die voraussichtliche Dauer der Erkrankung bei der Krankmeldung zunächst schätzen – ggf. mit Verweis auf einen bevorstehenden Arztbesuch.

2. Wann muss man eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreichen?


Von der formlosen Krankmeldung zu unterscheiden ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Dies ist eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer. Bisher ist diese beim Arbeitgeber einzureichen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage dauert (Wochenend-Tage werden mitgerechnet!). Die Bescheinigung ("gelber Zettel") muss spätestens am darauffolgenden Tag beim Chef auf dem Tisch liegen. Eine Ausfertigung muss auch die Krankenkasse erhalten.

Allerdings darf der Arbeitgeber die ärztliche Bescheinigung auch früher verlangen. Dies ist in vielen Betrieben üblich. Unzulässig ist dies nur, wenn der Arbeitsvertrag oder der Tarifvertrag dieses Recht ausschließen. Nach dem Bundesarbeitsgericht darf der Arbeitgeber sogar verlangen, dass der kranke Arbeitnehmer schon am ersten Tag zum Arzt geht und die Bescheinigung liefert (Urteil vom 14.11.2012, Az. 5 AZR 886/11). Wenn die im Attest genannte Krankheitsdauer überschritten wird, muss der Arbeitnehmer sich ein Folgeattest beschaffen. Die Krankschreibung muss lückenlos sein und Wochenenden und Feiertage einschließen.

3. Neu: digitale Krankschreibung


Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform ("Gelber Schein", "gelber Zettel") wird ab 1. Januar 2023 abgeschafft und durch eine digitale Lösung ersetzt. Wichtig: Die Pflicht, sich unverzüglich formlos krankzumelden, besteht natürlich weiter!

Im Rahmen des neuen eAU-Verfahrens werden Arztpraxen noch am Tag des Arztbesuches die Bescheinigung elektronisch an die Krankenkasse übermitteln. Diese stellt die Daten künftig dem Arbeitgeber elektronisch zur Verfügung, der sie dort bei Bedarf abrufen kann. Für Arbeitnehmer entfällt die Pflicht, eine Krankschreibung in Papierform vorzulegen. Aber: Sie selbst erhalten immer noch eine Ausfertigung in Papierform, die sie unbedingt aufbewahren sollten. Falls nämlich bei der elektronischen Übermittlung etwas schiefläuft - was in der Anfangsphase durchaus zu erwarten ist - dient allein diese Papierversion als Nachweis, dass man krankgeschrieben war - notfalls auch vor dem Arbeitsgericht.

Nicht am eAU-Verfahren beteiligt sind zunächst Privatärzte, Ärzte im Ausland, Rehabilitationseinrichtungen, Physio- und Psychotherapeuten.

Die Neuregelung gilt nur für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer. Private Krankenkassen nehmen nicht an diesem System teil. Privatversicherte und auch Minijobber in Privathaushalten müssen weiterhin eine AU-Bescheinigung in Papierform beim Arbeitgeber und bei der Krankenversicherung abliefern.

4. Muss ich dem Chef meinen Krankheitsgrund mitteilen?


Seinen Chef muss der Arbeitnehmer nicht darüber informieren, welche Krankheit er hat oder wie die ärztliche Diagnose lautet. Auch aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Arbeitgeber geht die genaue Diagnose nicht hervor - ebenso nicht aus den Daten der abrufbaren neuen eAU. Der Arzt muss dem Arbeitgeber die Diagnose nicht mitteilen.
Der Grund: Die künftige Karriere eines Arbeitnehmers kann durchaus darunter leiden, dass der Arbeitgeber von einer chronischen Erkrankung, einem Kampfsportunfall oder stressbedingtem Bluthochdruck erfährt.

5. Was muss man bei längerfristiger Arbeitsunfähigkeit beachten?


Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Arbeitslohn im Falle einer Erkrankung für bis zu sechs Wochen weiterbezahlen. Die Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer an seiner Erkrankung nicht selbst schuld ist. Eine weitere Lohnfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen kann stattfinden, wenn der Beschäftigte vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate lang nicht wegen der gleichen Krankheit ausgefallen ist oder wenn seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit bereits 12 Monate vergangen sind (§ 3 EntgFG).

Der Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall setzt voraus, dass das Arbeitsverhältnis seit mindestens vier Wochen ununterbrochen bestanden hat. Keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung haben Arbeitnehmer, die innerhalb der ersten vier Wochen ihrer Beschäftigung krank werden. Sie können Krankengeld von ihrer Krankenkasse bekommen.
Ist die Arbeitsunfähigkeit beendet, gilt der Arbeitnehmer als gesund. Von ihm wird nun erwartet, seine Tätigkeit wieder aufzunehmen und mit voller Arbeitsbelastung an seinen Schreibtisch oder seine Maschine zurückzukehren.

Allerdings kann eine Erkrankung auch länger als sechs Wochen dauern. Gesetzlich Versicherte bekommen in diesem Fall von ihrer Krankenkasse Krankengeld. Dies müssen sie bei der Kasse beantragen. Das Krankengeld beträgt 70 Prozent des regelmäßigen (Brutto-) Arbeitsentgelts und darf 90 Prozent des Nettoarbeitsentgelts nicht übersteigen.

Bei länger dauernden Erkrankungen können Arbeitnehmer auch stufenweise in den Beruf zurückkehren. Eine solche Wiedereingliederung erfordert eine Abstimmung zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Krankenkasse.

6. Krankengeld: Was gilt bei verspäteter Vorlage der AU-Bescheinigung?


Wird die AU-Bescheinigung in Papierform zu spät bei der Krankenkasse eingereicht, kann die Zahlung von Krankengeld gefährdet sein. Hier geht es also um Fälle, in denen eine Erkrankung länger als sechs Wochen dauert.
Ab 1. Januar 2023 wird dieses Risiko geringer, da die Arztpraxen bei gesetzlich Versicherten eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Krankenkasse senden. Das Risiko besteht jedoch weiterhin bei privat versicherten Arbeitnehmern. Grundsätzlich erwarten die Krankenkassen bisher den Eingang der AU-Bescheinigung innerhalb einer Woche nach Beginn der Erkrankung.

Das Sozialgericht Detmold sprach einer Arbeitnehmerin den Anspruch auf Krankengeld ab, weil sie ihrer Krankenkasse die AU-Bescheinigung erst nach drei Wochen zukommen ließ (Urteil vom 12.1.2018, Az. S 3 KR 824/16).
Händigt jedoch der Arzt dem Patienten den Durchschlag für die Krankenkasse erst gar nicht aus, weil er ihn selbst an die Kasse übermitteln will, darf sich der Patient auch darauf verlassen, dass dies passiert. Kommt die AU-Bescheinigung trotzdem zu spät an, hat die Kasse das Krankengeld zu bezahlen. Dies hat ebenfalls das Sozialgericht Detmold entschieden (Urteil vom 15.11.2017, Az. S 5 KR 266/17).

7. Bedeutet Arbeitsunfähigkeit immer Bettruhe?


Während einer Arbeitsunfähigkeit muss man alles Erforderliche unternehmen, um möglichst schnell wieder gesund zu werden. Arbeitnehmer müssen die ärztlichen Anweisungen beachten. Ob Bettruhe notwendig ist, entscheidet allein der Arzt. Ohne entsprechende ärztliche Anweisung muss man also nicht das Bett hüten. Bei einigen Erkrankungen kann frische Luft auch zum Heilungsprozess beitragen. Ob man einer bestimmten Aktivität nachgehen darf, hängt davon ab, ob diese die Heilung verzögert. Wer wegen Rückenproblemen krankgeschrieben ist, sollte sich nicht beim Schleppen von Gehwegplatten im Schrebergarten oder bei der Umzugshilfe für die Nachbarin erwischen lassen. Hier drohen arbeitsrechtliche Folgen wie eine Abmahnung oder gar Kündigung, da der Vorwurf des "Krankfeierns" im Raum steht und die Pflicht verletzt wird, die eigene Genesung nicht zu verhindern.

8. Was gilt bei Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs?


Man kann und darf auch im Urlaub krank werden. Weist ein Arbeitnehmer eine Erkrankung im Urlaub nach, werden ihm die entgangenen Urlaubstage gutgeschrieben. Hier ist ein frühzeitiges ärztliches Attest wichtig – schon, damit nicht der Verdacht aufkommt, dass man den Urlaub eigenmächtig verlängern möchte. Krankgeschriebene Arbeitnehmer sollten auch im Urlaub alles vermeiden, was einer schnellen Genesung entgegenstehen kann. Dies sind zum Beispiel Sport-Aktivitäten und Saufgelage.

9. Was tun, wenn der Chef die Arbeitsunfähigkeit anzweifelt?


Die AU-Bescheinigung des behandelnden Arztes hat einen hohen Beweiswert. Der Chef darf jedoch beim Verdacht auf Krankfeiern auch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen hinzuzuziehen. Die Krankenkasse entscheidet dann, ob eine neue ärztliche Untersuchung durchgeführt wird.

Der Arbeitgeber kann dem Beschäftigten sogar in gewissem Maße hinterherspionieren, muss aber dessen Privatsphäre wahren. Häufig werden für solche Zwecke Detektivbüros eingesetzt. Wenn ein angeblich Schwerkranker auf einem alkoholseligen Kegelabend gesehen wird, kann dies Konsequenzen haben – bis hin zur fristlosen Kündigung. Auch stolze Veröffentlichungen auf Facebook ("Ab zum Arzt und dann Koffer packen!") sind unklug. Bei solchen Verdächtigungen sollten Arbeitnehmer ein Attest eines anderen, neutraleren Arztes einholen, um den Verdacht zu entkräften.

Update vom 8.6.2023: Grundsätzlich dürfen Verfehlungen von Arbeitnehmern aufgedeckt und als Kündigungsgrund verwendet werden. Aber: Greift der Arbeitgeber zu sehr in die Privatsphäre des Arbeitnehmers ein, kann eine Kündigung unwirksam sein. Dies entschied das Landesarbeitsgericht Nürnberg. Ein Arbeitgeber hatte Zweifel an der langfristigen Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters gehabt und einen Detektiv mit Ermittlungen beauftragt. Dieser filmte den Mann durch ein Loch in dessen Gartenhecke bei schweren körperlichen Arbeiten, wie dem Bau einer Gartenmauer und einer Terrasse. Dem Arbeitnehmer wurde daraufhin fristlos gekündigt. Das Gericht erklärte jedoch, dass die vom Detektiv gewonnenen Beweise in keiner Weise im Prozess verwendet werden dürften. Es habe sich um eine unverhältnismäßige Erhebung persönlicher Daten gehandelt. Damit lag kein ausreichender Grund für eine Kündigung vor. Das Verfahren endete mit einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung (Urteil vom 29.11.2022, Az. 1 Sa 250/22).

10. Ist während der Krankheit eine Kündigung möglich?


Auch während einer Erkrankung kann Arbeitnehmern gekündigt werden. Für den Arbeitgeber wird es kompliziert, wenn er gerade wegen dieser Erkrankung kündigen will. Kommt im Betrieb das Kündigungsschutzgesetz zur Anwendung, darf der Arbeitgeber nur wegen personenbedingten, verhaltensbedingten oder betriebsbedingten Gründen kündigen. Krankheit stellt einen personenbedingten Grund dar. Es müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, damit die Kündigung zieht. Dies sind zum Beispiel eine Negativprognose über die Genesungschancen oder das Fehlen eines milderen Mittels als der Kündigung (etwa einer Versetzung zu anderen Aufgaben). Der Arbeitgeber muss auch eine Interessenabwägung durchführen.

Update vom 8.6.2023: Meldet sich ein Arbeitnehmer krank, kurz nachdem ihm gekündigt wurde, kann der Arbeitgeber unter Umständen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzweifeln. Dies kommt auf die genauen Umstände an, insbesondere auf die zeitliche Abfolge. Dies entschied das LAG Niedersachsen. Ein Arbeitnehmer hatte am 2.5. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Am gleichen Tag schrieb der Chef die ordentliche Kündigung, welche dem Mitarbeiter am 3.5. zuging. Der Arbeitgeber verweigerte die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, da er die Arbeitsunfähigkeit anzweifelte. Das Gericht sprach dem Beschäftigten jedoch die Entgeltfortzahlung zu. Denn: Als der Arbeitnehmer zum Arzt ging, um sich krankschreiben zu lassen, wusste er noch nichts von der Kündigung. Eine Revision beim Bundesarbeitsgericht ist möglich (Urteil vom 8.3.2023, Az. 8 Sa 859/22).

Praxistipp zur Arbeitsunfähigkeit


Arbeitnehmer sollten sich im Krankheitsfall unbedingt sofort telefonisch krankmelden. Künftig spielt die Beachtung der betriebsinternen oder gesetzlichen Frist zur Abgabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch die Einführung der eAU eine geringere Rolle. Bei Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber über das Thema Arbeitsunfähigkeit kann Ihnen ein Fachanwalt für Arbeitsrecht beratend zur Seite stehen und Sie vor Gericht vertreten.

(Bu)


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 Stephan Buch
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