Wahlrecht: allgemeine Wahlgrundsätze (Grundwissen für Wähler)

20.09.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice
Artikel kommentieren
Bundestagswahl,Wahl,Stimmzettel,Wahlrecht Nach welchen Regeln funktioniert eine Wahl in Deutschland? © Rh - Anwalt-Suchservice

Was bedeutet es eigentlich, dass Abgeordnete, egal, ob bei Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahlen, in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden?

Wahlen stellen das zentrale Element der Demokratie dar. Daher folgen Sie hierzulande strengen Regeln. Deren Kern sind die fünf Wahlgrundsätze, die das Grundgesetz festlegt und die bei jeder Wahl zu beachten sind. Unter diesen Wahlgrundsätzen können sich jedoch viele Wähler nur wenig vorstellen oder sie wissen gar nichts davon.
Die in Artikel 38 Grundgesetz festgelegten Wahlgrundsätze besagen, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen sind. Hier wird nun erklärt, was das genau bedeutet.

Was versteht man unter einer allgemeinen Wahl?


Das allgemeine Wahlrecht heißt nichts anderes, als dass alle deutschen Staatsbürger, die die allgemeinen Voraussetzungen für das Wahlrecht erfüllen, an der Wahl teilnehmen dürfen. Dabei spielen Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Religion, politischer Hintergrund oder Herkunft keine Rolle.

Dies sind die allgemeinen Voraussetzungen für die Teilnahme an einer Bundestagswahl:

- Deutsche Staatsbürgerschaft,
- am Wahltag 18. Lebensjahr vollendet,
- seit mindestens drei Monaten Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland,
- im Wählerverzeichnis eingetragen,
- nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen.

Für im Ausland lebende Deutsche gibt es besondere Voraussetzungen.

Man kann vom Wahlrecht an einer Bundestagswahl ausgeschlossen werden. Dies passiert, wenn

- man wegen einer Erkrankung in allen Angelegenheiten des Alltags unter Betreuung steht,
- ein Gericht dies angeordnet hat (siehe unten),
- man eine Straftat begangen hat, jedoch wegen einer geistigen Erkrankung als schuldunfähig gilt und sich deshalb in einer psychiatrischen Einrichtung befindet.

Häftlinge behalten ihr Wahlrecht auch während der Haft. Sie können jedoch nicht in politische Ämter gewählt werden. Allerdings kann ihnen bei bestimmten Straftaten wie beispielsweise Landesverrat, Wahlmanipulation oder Wählernötigung befristet für zwei bis fünf Jahre durch ein Gericht das Wahlrecht entzogen werden.

Landtags- und Kommunalwahlen weisen einige Unterschiede zur Bundestagswahl auf. In einigen Bundesländern kann man schon ab 16 Jahren an Landtags- oder Kommunalwahlen teilnehmen. Auch Details der Wahlausschlussgründe unterscheiden sich.

Was ist eine unmittelbare Wahl?


Unmittelbar heißt, dass die Wähler die Kandidaten direkt wählen, also ohne eine weitere Zwischenwahl, an der sie nicht beteiligt sind. Ein Gegenbeispiel sind die USA: Dort wählen die Wähler erst einmal sogenannte Wahlmänner, die dann den entsprechenden Amtsinhaber wählen. Dabei handelt es sich um eine mittelbare Wahl.

Was ist eine freie Wahl?


Frei ist eine Wahl, wenn die Wähler nicht dazu genötigt oder unter Druck gesetzt werden dürfen, eine bestimmte Wahlentscheidung zu treffen. Die Wähler sollen bei der Wahl ihren eigenen, freien, unverfälschten Willen ausdrücken und die Partei, sowie den Direktkandidaten wählen, die sie für geeignet halten. Häufig ist auch zu hören, dass die Wähler nicht beeinflusst werden dürfen. Natürlich stellt jede Form des Wahlkampfes aber eine Beeinflussung der Wähler dar – und dies ist erlaubt.

Niemand muss sich also von seinem Arbeitgeber, seinem Vermieter, seinen Arbeitskollegen oder Sportkollegen oder den Stammtischbrüdern vorschreiben lassen, was er wählen soll - und schon gar nicht von staatlichen Institutionen.

Ausdrücklich verboten und strafbar sind Wahlbehinderung, Wahlfälschung, die Fälschung von Wahlunterlagen, Wählernötigung, Wählertäuschung und Wählerbestechung sowie die Verletzung des Wahlgeheimnisses z. B. durch die Veröffentlichung von Wahlentscheidungen anderer Personen in den Sozialen Medien. Dies geht aus den §§ 105 ff. des Strafgesetzbuches hervor. Zum Recht auf eine freie Wahl gehört aber auch die sogenannte negative Wahlfreiheit: Niemand ist verpflichtet, zu wählen.

Was ist eine gleiche Wahl?


"Gleich" ist eine Wahl, wenn jede Stimme grundsätzlich gleich viel zählt. Jeder Wahlberechtigte kann daher in gleicher Weise Einfluss auf das Ergebnis nehmen.
Eingeschränkt wird dieser Grundsatz durch die Fünf-Prozent-Hürde: Parteien, die weniger als fünf Prozent der Stimmen erhalten, werden nicht an der Regierung beteiligt. Diese Stimmen sind dann gewissermaßen verloren. Die Fünf-Prozent-Hürde wird wie folgt begründet: Man möchte vermeiden, dass es – wie seinerzeit in der Weimarer Republik – eine riesige Anzahl kleiner Splitterparteien im Parlament gibt und irgendwann kaum noch eine vernünftige Regierungsbildung möglich ist.
Dieser Grundsatz erfährt allerdings eine weitere Durchbrechung durch sogenannte Überhangmandate und Ausgleichsmandate.

Was bedeutet geheime Wahl?


Der Grundsatz der geheimen Wahl besagt, niemand verpflichtet ist, irgendjemand anderem mitzuteilen, wen er gewählt hat. Denn sonst könnten anschließend vielleicht nachteilige Folgen drohen - und schon wäre es keine freie Wahl mehr.
Das Wahlverfahren ist daher zwingend so auszugestalten, dass niemand sieht, wo jemand anders sein Kreuz setzt. Mittel dazu sind die Wahlkabinen, die Sammlung von Stimmzetteln in Wahlurnen, die Verwahrung der Stimmzettel in Umschlägen oder deren gefalteter Einwurf in die Urne.

Die Verletzung des Wahlgeheimnisses ist eine Straftat. Es ist also verboten, sich oder jemand anderem Kenntnis darüber zu verschaffen, wie jemand gewählt hat (§ 107c StGB).

Bereits zur Bundestagswahl 2017 wurde die Bundeswahlordnung in einem Punkt geändert: Das Fotografieren in der Wahlkabine ist verboten. So soll dem Trend entgegengewirkt werden, dass eine Vielzahl von Menschen Ihren Wahlzettel mit gesetztem Kreuz noch in der Wahlkabine online stellt. Auch durch solche Trends entsteht ein Erwartungsdruck, seine Wahlentscheidung zu teilen - diese soll jedoch aus den oben genannten Gründen geheim bleiben.
Sieht also der Wahlleiter in der Wahlkabine zum Beispiel etwas blitzen, hat er den Stimmzettel für ungültig zu erklären. Der Wähler darf dann auf Wunsch noch einmal wählen - ohne Selfie.
Gerichtsentscheidungen zufolge soll es nicht strafbar sein, seinen eigenen Briefwahl-Stimmzettel zu fotografieren und online zu stellen. Wer jedoch Stimmzettel anderer Personen veröffentlicht, macht sich strafbar.

Auch außerhalb des Wahlverfahrens muss niemand irgendjemandem mitteilen, wen er zu wählen beabsichtigt oder gewählt hat. Man kann darüber Stillschweigen wahren oder falsche Angaben machen – niemand hat das Recht, darüber Auskunft zu verlangen. Das Gegenbeispiel einer geheimen Wahl fand in der DDR statt. Dort wurde den Wählern beim Kreuzchenmachen von den SED-Parteigängern auf die Finger geschaut.

Überhang- und Ausgleichsmandate und die viel diskutierte Wahlrechtsreform


Seit einiger Zeit wird über eine Änderung des Wahlrechts diskutiert, um sogenannte Überhang- und Ausgleichsmandate zu reduzieren. Diese kommen dadurch zustande, dass im Rahmen des Erst- und Zweitstimmensystems mehr Direktkandidaten von den Bürgern gewählt werden, als die Partei eigentlich Sitze im Parlament gewonnen hat. Auch diese Kandidaten bekommen jedoch einen Sitz im Bundestag. Diese sogenannten Überhangmandate werden dann wieder durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien ausgeglichen.

Dies führt dazu, dass der Bundestag, der grundsätzlich nur 598 Abgeordnete umfassen sollte, immer mehr wächst - 2017 wurden es zum Beispiel 708 Abgeordnete. Diese müssen vom Steuerzahler finanziert werden, und es gibt auch die Befürchtung, dass ein allzu großer Bundestag irgendwann nicht mehr entscheidungsfähig ist. Auch beschweren sich manch kleinere Parteien darüber, dass vom vorhandenen System eher die großen Parteien profitieren.

2020 wurde eine Änderung des Bundeswahlgesetzes beschlossen, nach der Überhangmandate einer Partei zum Teil mit deren Listenmandaten verrechnet werden sollen. Beim Überschreiten der Regelgröße von 598 Sitzen sollen bis zu drei Überhangmandate nicht mehr durch Ausgleichsmandate kompensiert werden. Auch soll es für die Bundestagswahl 2021 bei 299 Wahlkreisen bleiben. Für künftige Wahlen sollen diese dann auf 280 verringert werden.

Diese Änderung wurde von den Oppositionsparteien lebhaft kritisiert und schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen. Der Grund: Es handle sich nicht um eine echte Reform, die Anzahl der Abgeordneten werde sich dadurch kaum verringern oder sogar noch steigen.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Eilantrag der Opposition gegen das neue Bundeswahlgesetz jedoch abgelehnt (Beschluss vom 20.7.2021, Az. 2 BvF 1/21). Zwar sei der Antrag der Oppositionsparteien "nicht offensichtlich unbegründet", es müsse jedoch gründlich im Hauptsacheverfahren geklärt werden, ob das neue Wahlrecht tatsächlich gegen Verfassungsgrundsätze verstoße. Das Gericht wollte also nicht mit einer einstweiligen Verfügung ohne gründliche Prüfung des Falles die anstehende Bundestagswahl beeinflussen.

Was gilt für Ausländer?


In Deutschland haben Ausländer kein Wahlrecht. Außer, sie kommen aus einem EU-Land. Dann dürfen sie an Kommunalwahlen teilnehmen. Im Gegenzug haben dieses Recht auch Deutsche, die in anderen EU-Ländern leben, im jeweiligen Land. Kein Wahlrecht haben Flüchtlinge.

Wer darf wählen?


Beispiel Bayern:
In Bayern hat man das Wahlrecht
- als deutscher Staatsbürger,
- der seit mindestens drei Monaten in Bayern wohnt
- und mindestens 18 Jahre alt ist.

Ein Beispiel:
Alois aus Bayern sitzt mittags in der Werkskantine und unterhält sich mit einigen Arbeitskollegen.

Giancarlo aus Milano in Italien denkt, er dürfe nicht wählen gehen. Alois erklärt ihm, dass er ja aus einem EU-Land kommt. Giancarlo darf also an den Kommunalwahlen in Bayern teilnehmen. Er darf aber nicht bei der Landtagswahl oder der Bundestagswahl wählen.

Mustafa aus Istanbul will unbedingt in Deutschland zur Wahl gehen. Er lebt schon seit 20 Jahren in Deutschland und zahlt hier Steuern. Er ist aber kein deutscher Staatsbürger und auch kein EU-Bürger. Deshalb kann er an keiner Wahl teilnehmen.

Sein Kollege Ali dagegen stammt zwar aus Ankara, hat aber die doppelte Staatsbürgerschaft. Er kann an allen Wahlen teilnehmen, auch an der Bundestagswahl. Alois erklärt ihm, dass er sich sogar wählen lassen könnte.

Nun setzt sich Celina aus der Dominikanischen Republik dazu. Sie hat vor zwei Jahren einen Deutschen geheiratet und weiß nicht, ob sie wählen darf. Alois erklärt ihr: Nur durch die Heirat allein bekommt man noch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft und kann deshalb auch noch nicht wählen gehen. Zuerst ist eine Einbürgerung notwendig. Diese muss man beantragen und es müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Unter anderem muss sich die betreffende Person rechtmäßig seit mindestens drei Jahren in Deutschland aufhalten.

Praxistipp


Auch wenn es offenbar in Mode ist, überall bekannt zu geben, was man gewählt hat: Niemand ist dazu verpflichtet, und niemand hat ein Recht auf solche Auskünfte. Wer nicht zur Wahl geht, verschenkt ein wichtiges Recht, das viele Menschen in anderen Staaten nicht haben: das Recht, auf die Politik im Sinne der eigenen Interessen und Prioritäten Einfluss zu nehmen.

(Bu)


Sie benötigen Hilfe bei Ihrer Suche nach dem richtigen Anwalt? Dann schreiben Sie uns über unser Kontaktformular. Wir helfen Ihnen kostenlos und unverbindlich.


 Stephan Buch
Anwalt-Suchservice
Juristische Redaktion
E-Mail schreiben Juristische Redaktion
 Stephan Buch
Anwalt-Suchservice
Juristische Redaktion
E-Mail schreiben Juristische Redaktion