BGH, Beschl. 22.5.2019 - XII ZB 613/16

Bestimmung der Leistungsfähigkeit bei weiteren minderjährigen Kindern des Unterhaltspflichtigen

Autor: RiOLG a.D. RAin Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Berlin
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 09/2019
Bei gleichrangigen Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder ist bei der Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen für die an dem Unterhaltsverfahren nicht beteiligten Kinder – sofern nicht die Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 BGB für eine höhere rückwirkende Inanspruchnahme erfüllt sind – nur der tatsächlich gezahlte oder für sie titulierte Unterhaltsbetrag in Ansatz zu bringen. Das gilt auch für die erst zukünftig entstehenden gleichrangigen Kindesunterhaltsansprüche, soweit sich auf der Grundlage konkreter Umstände für die Zukunft prognostizieren lässt, dass solche nicht geltend gemacht werden. Bei unzutreffender Prognose steht dem Unterhaltspflichtigen die Möglichkeit einer Abänderung des Unterhaltstitels nach §§ 238 ff. FamFG zur Verfügung.

BGH, Beschl. v. 22.5.2019 - XII ZB 613/16

Vorinstanz: OLG Rostock, Beschl. v. 6.12.2016 - 10 UF 16/16

BGB § 1603 Abs. 2 S. 1

Das Problem

Die Beteiligten – getrennt lebende Eheleute – streiten für die Zeit ab 2/2015 über den Mindestunterhalt für ihre 2 Kinder (geb. 2008 und 2015), die seit der Trennung in der Obhut der Mutter (Ast) leben. Der Vater (Ag) erzielte zunächst ein bereinigtes Erwerbseinkommen i.H.v. 2.143 € und später Krankengeld von monatlich 1.890 € bzw. 50 € kalendertäglich. Er hatte sich in Absprache mit seiner 1. Ehefrau durch Jugendamtsurkunde verpflichtet, für die 2 (weiteren) Kinder (geb. 2000 und 2001) aus dieser früheren Ehe Kindesunterhalt i.H.v. jeweils nur monatlich 44 € zu leisten. Nach Beginn des Krankengeldbezugs stellte der Ag auch diese Unterhaltszahlungen ganz ein. Das AG hat den Ag nach Abzug von berücksichtigungsfähigen Schulden aus der früheren Ehe lediglich zu monatlichen Zahlungen für die gemeinsamen Kinder der Beteiligten aus der 2. Ehe i.H.v. 120 € bzw. 80 € verpflichtet. Auf die Beschwerde der Ast hat das OLG für beide Kinder jeweils den Mindestunterhalt zuerkannt. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ag, der für alle 4 Kinder – ungeachtet seiner tatsächlich erbrachten Zahlungen – den vollen Mindestunterhalt in die Mangelfallberechnung einstellen will.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde zurück. Zu Recht habe das OLG die Unterhaltsverpflichtung des Ag für die beiden Kinder aus 1. Ehe im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit nur in der Höhe berücksichtigt, in der er den Unterhalt tatsächlich (zunächst i.H.v. monatlich 44 € und später gar nicht mehr) gezahlt habe. Grundsätzlich erfolge bei gleichem Rang aller Kinder nach § 1609 Nr. 1 BGB eine Kürzung proportional zu dem Unterhaltsbedarf jedes einzelnen Kindes. Dabei sei zunächst festzustellen, welcher Unterhaltsanspruch jedem Berechtigten bei voller Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zustünde. Anschließend sei jeder Anspruch in dem Verhältnis zu kürzen, in dem die verfügbaren Mittel zu der Summe aller Ansprüche stehen (= „klassische” Mangelfallberechnung). Soweit allerdings der Unterhaltspflichtige für die Vergangenheit seinen minderjährigen Kindern nicht den Unterhalt gewähre, der ihnen quotenmäßig an sich zustehe, und auch die Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 BGB für eine rückwirkende höhere Inanspruchnahme nicht erfüllt seien, sei für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit nur der an diese Kinder tatsächlich gezahlte oder der für sie titulierte Unterhalt zu berücksichtigen. Denn nur diese gezahlten bzw. titulierten Beträge stünden für Unterhaltsansprüche der anderen Kinder tatsächlich nicht zur Verfügung. Bei erst künftigen Unterhaltsansprüchen der Kinder sei für die erforderliche Zukunftsprognose ebenfalls konkret daran anzuknüpfen, in welcher Höhe der geschuldete weitere gleichrangige Unterhalt in der Vergangenheit tatsächlich gezahlt worden oder bereits tituliert sei. Erweise sich diese Prognose im Nachhinein als falsch, stehe dem Unterhaltspflichtigen die Möglichkeit einer Abänderung des Unterhaltstitels nach §§ 238 ff. FamFG offen. Vermindere man hier die bereinigten Einkünfte des Ag um den – ohnehin nur zeitweise – geleisteten Unterhalt für die Kinder aus seiner 1. Ehe i.H.v. jeweils 44 €, so sei er im streitigen Unterhaltszeitraum ohne Gefährdung seines notwendigen Selbstbehalts zur Zahlung des geforderten vollen Mindestunterhalts für die beiden Kinder aus 2. Ehe in der Lage.


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