BGH 25.9.2024 - XII ZB 508/23

Berücksichtigung des Wertes einer Rechtsanwaltskanzlei und eines Notariates beim Zugewinnausgleich

Autor: DirAG a.D. Roland Stockmann, Würzburg
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 02/2025
1. Der Wert einer Rechtsanwaltskanzlei und der eines Notariates unterfällt dem Zugewinnausgleich.2. Bei der Wertermittlung ist zunächst auf den Substanz- bzw. Sachwert abzustellen, also auf den Wert, der im Falle eines Verkaufs der Kanzlei auf den Rechtsnachfolger übergeht. Hierzu gehören nicht nur die betriebsnotwendigen Gegenstände, sondern auch die noch offenen Forderungen für bereits geleistete Arbeiten.3. Eine vom Auskunftspflichtigen erstellte Liste, in der zum Stichtag noch offene Forderungen ausgewiesen sind, ist Bestandteil der Auskunftsverpflichtung nach § 1379 Abs. 1 S. 1 BGB und kein Beleg i.S.v. § 1379 Abs. 1 S. 2 BGB.4. Mit welchem Betrag diese offenen Forderungen zu berücksichtigen sind, spielt in der Auskunftsstufe eines Zugewinnausgleichsverfahren keine Rolle.5. Betreffend eine Rechtsanwaltskanzlei ist über den Substanzwert hinaus auch der übertragbare Teil ihres ideellen Wertes („Goodwill“) zu berücksichtigen. Ob ein Notariat einen solchen haben kann, wird unterschiedlich beurteilt, bedarf vorliegend aber keiner Entscheidung.

BGB § 1379

Das Problem

In einem seit 1.9.2018 rechtshängigen Scheidungsverbundverfahren streiten die Eheleute noch in der Auskunftsstufe der Folgesache Zugewinnausgleich.

Der Antragsteller ist selbständiger Rechtsanwalt (RA) und bestellter (Anwalts-)Notar in Westfalen. Die Antragsgegnerin hatte beim AG die Verpflichtung des Antragstellers u.a. zur Vorlage einer Gewinnermittlung der RA-Kanzlei sowie jeweilige Listen über die „offenen Forderungen“ von RA-Kanzlei und Notariat zum Stichtag 1.9.2018 und Listen über die an diesem Tag dort bestehenden, aber noch nicht abgerechneten, „halbfertigen Arbeiten“ begehrt. Das FamG verpflichtete den Antragsteller nur zur Vorlage der Gewinnermittlung der RA-Kanzlei. Im Übrigen folgte es dessen Argumentation, wonach die geforderten Listen nicht vorzulegen seien, da er sie nicht führe. Er müsse nur Nachweise vorlegen, die vorhanden seien.

Gegen diesen Teilbeschluss legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein, mit der sie ihr Begehren auf Auskunft und Belegvorlage in Bezug auf die offenen Forderungen und halbfertigen Arbeiten der Kanzlei und des Notariats, weiterverfolgte. Das OLG Hamm hat mit seiner von Hauß/Schulz in FamRB 2024, 48 besprochenen Beschwerdeentscheidung den Antragsteller sodann verpflichtet, Auskunft zu erteilen über die offenen Forderungen der RA-Kanzlei und über die Sachwerte des Notariats, einschließlich der offenen Forderungen. Das Begehren auf Auskunft über die im Stichtag bestehenden halbfertigen Arbeiten in RA-Kanzlei und Notariat wurde hingegen zurückgewiesen: Die RA-Vergütung werde erst mit Erledigung des Auftrages fällig, § 8 Abs. 1 RVG; Notargebühren mit Beendigung des Geschäfts, § 10 GNotKG. Somit bestehe betreffend die halbfertigen Arbeiten kein fälliger Vergütungsanspruch, der Teil des Substanzwertes zum Stichtag sein könnte.

Hiergegen richtet sich die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers, der die vollständige Zurückweisung der Beschwerde der Antragsgegnerin erstrebt.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH nimmt zu den Rechtsfragen wie aus den Orientierungssätzen ersichtlich Stellung und begründet seine Auffassung wir folgt:

1. Berücksichtigung von RA-Kanzlei und Notariat

Wie bei jeder anderen freiberuflichen Praxis sei der Wert anzusetzen, der im Falle des Verkaufs auf den Rechtsnachfolger übergeht.

2. Bestandteile des Kanzleiwertes

Der Substanz- bzw. Sachwert bestehe aus der Summe der zu der freiberuflichen Praxis gehörenden Wirtschaftsgüter. Dazu zählten die betriebsnotwendigen Gegenstände, wie etwa die Büroeinrichtung, eine Bibliothek oder Bürogeräte. Zum Sachwert gehörten aber auch die Außenstände einer Praxis, also die Forderungen für bereits geleistete Arbeiten, vgl. BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, FamRZ 1991, 43. Dies werde auch im Schrifttum letztlich nicht in Frage gestellt.

3. Umfang der Auskunftsverpflichtung

Die zu erteilende Auskunft soll den Auskunftsberechtigten in die Lage versetzen, das Endvermögen zu berechnen und den Zugewinn zu ermitteln. Hierzu müsse der Auskunftspflichtige die zu seinem Endvermögen gehörenden Gegenstände nach Anzahl, Art und wertbildenden Faktoren in dem Vermögensverzeichnis angeben. Bei Unternehmen seien die Umsätze und Sachwerte, aber auch die am Stichtag noch offenen Forderungen mitzuteilen. Zu beauskunften sei der Nominalwert der Geldforderung, also der (Rechnungs-)Betrag, der vom Schuldner gefordert werde.

Der Anspruch auf Belegvorlage aus § 1379 Abs. 1 S. 2 BGB diene als Hilfsanspruch zur Kontrolle der Auskunft. Die Verpflichtung zur Belegvorlage beschränke sich allerdings auf die Vorlage vorhandener Nachweise. Eine Pflicht zur Erstellung von Belegen, die über die bloße Reproduktion bereits existierender Unterlagen hinausgehe und eine schöpferische Leistung erfordere, bestehe nicht. Die im konkreten Fall vom Beschwerdegericht geforderte Vorlage einer Liste über die am Stichtag noch offenen Forderungen der Kanzlei und des Notariats stelle keinen Beleg i.S.v. § 1379 Abs. 1 S. 2 BGB dar. Somit habe das OLG den Antragsteller nicht zur Vorlage (nicht existenter) Belege, sondern zur Erstellung eines Verzeichnisses der noch offenen Forderungen verpflichtet. Hiergegen könne der Antragsteller auch nicht einwenden, dass er ein solches Verzeichnis nicht besitze. Denn ein zur Auskunft verpflichteter Ehegatte schulde gerade die Vorlage eines stichtagsbezogenen Vermögensverzeichnisses und daher auch dessen Erstellung, sollte er nicht bereits im Besitz eines solchen sein.

4. Werthaltigkeit offener Forderungen

Mit der Verpflichtung zur Erstellung einer Liste der noch offenen Forderungen sei keine Wertermittlung verbunden. Der Nominalwert sage nichts darüber aus, welchen wirtschaftlichen Wert die Forderung habe. Letzterer richte sich (auch) nach deren tatsächlicher Realisierbarkeit. Sei eine Forderung uneinbringlich oder werde sie vom Schuldner bestritten, sei sie mit einem geringeren Wert als dem Nominalwert zu berücksichtigen. Eine solche Bewertung brauche der Auskunftspflichtige nicht vorzunehmen. Mit welchem Betrag die offenen Forderungen bei der Wertermittlung zu berücksichtigen seien, spiele im Rahmen der Auskunftsstufe keine Rolle.

5. Goodwill

Hinsichtlich einer RA-Kanzlei verweist der BGH auf seine bisherige Rechtsprechung (BGH v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17, FamRZ 2018, 174 Rz. 9 = FamRB 2018, 131 [Hauß]), wonach bei der Bewertung einer freiberuflichen Praxis über den Substanzwert hinaus auch der „übertragbare Teil des ideellen Wertes (Goodwill)“ am Stichtag zu berücksichtigen sei. Ob ein Notariat einen ideellen Wert haben kann, werde in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Anders als ein Rechtsanwalt sei ein Notar Träger eines öffentlichen Amtes und besitze keine freiberufliche Praxis, die er als solche veräußern könnte, um ihren Vermögenswert auf dem freien Markt zu realisieren. Betreffend einen bayerischen (Amts-)Notar habe der BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, FamRZ 1999, 361 entschieden, dass ein Notariat grundsätzlich keinen Goodwill besitze. Demgegenüber vertreten Stimmen in der Literatur die Auffassung, dass sich eine Ungleichbehandlung von Notariaten und RA-Kanzleien nicht rechtfertigen lasse. Denn auch Notare könnten Sozietäten eingehen, wodurch sich ähnliche Effekte ergeben würden wie bei Kanzleien. Welche Auffassung zutreffend sei, bedürfe vorliegend keiner Entscheidung, weil das Beschwerdegericht der Antragsgegnerin nur hinsichtlich der Sachwerte des Notariats einen Auskunftsanspruch zugesprochen habe.


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