BGH, Urt. 20.10.2021 - I ZR 17/21

Identitätsdiebstahl II

Autor: RAin, FAin IT-Recht Maria-Urania Dovas, LL.M., Langwieser Rechtsanwälte, München
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 05/2022
a) Ein Irrtum des Unternehmers über den Umstand einer vorhergehenden Bestellung durch den zur Zahlung aufgeforderten Verbraucher ist im Rahmen der Prüfung der Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung unter dem Gesichtspunkt der Irreführung auch dann nicht zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, wenn dieser Irrtum nicht vorwerfbar ist.b) Eine unzulässige geschäftliche Handlung nach Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG kann nur dann angenommen werden, wenn eine nicht bestellte Ware tatsächlich geliefert oder eine nicht bestellte Dienstleistung tatsächlich erbracht wurde. Das bloße Inaussichtstellen einer Warenlieferung oder Dienstleistungserbringung genügt nicht.c) Waren sind nur dann als „geliefert“ und Dienstleistungen nur dann als „erbracht“ im Sinne von Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG anzusehen, wenn sie den zur Zahlung aufgeforderten Verbraucher in einer Weise erreicht haben, dass dieser tatsächlich in der Lage ist, sie zu nutzen oder sonst über deren Verwendung zu bestimmen.

UWG §§ 5 Abs. 1 Satz 1 und 2, 8 Abs. 3 Nr. 4, Nr. 29 Anh. zu § 3 Abs. 3

Das Problem

Ein Verbraucherschutzverband ging gegen ein Inkassounternehmen vor. Gegenstand war eine Zahlungsaufforderung wegen eines Mobilfunkvertrags, der unter Verwendung des Namens und einer früheren Anschrift einer unbeteiligten Person abgeschlossen worden war. Ein Vertragsschluss mit dieser angeblichen Vertragspartnerin war nicht erfolgt und sie erhielt auch nie Leistungen auf der Grundlage dieses Vertrags. Nach weiteren Zahlungsaufforderungen und einem Mahnbescheid legte die angebliche Vertragspartnerin Widerspruch und eine entsprechende Beschwerde bei dem Verband ein, der seinerseits das Inkassounternehmen erfolglos abmahnte.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Revision des Inkassounternehmens hat keinen Erfolg. Der BGH hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch bestätigt und seine bisherige Auffassung zu Identitätsdiebstahl (BGH v. 6.6.2019 – I ZR 216/17, CR 2019, 753 m. Anm. Franz = ITRB 2019, 274) klargestellt.

Täuschung: Die Zusendung einer Zahlungsaufforderung stelle eine geschäftliche Handlung dar. Die (damit erfolgte) konkludente Behauptung, es sei zu einem entsprechenden Vertragsschluss gekommen, sei eine unwahre Angabe i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 UWG. Diese sei auch zur Täuschung von Verbrauchern geeignet; es reiche die abstrakte Eignung zur Täuschung gegenüber einem erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrskreises aus. Da zahlreiche leicht zugängliche Möglichkeiten zum Abschluss eines Mobilfunkvertrags bestünden, die vielfach von den Anbietern auch mit anderen Inhalten kombiniert würden, könne ein erheblicher Teil der Durchschnittsverbraucher nach dem Zugang einer entsprechenden unberechtigten Zahlungsaufforderung annehmen, er habe den behaupteten Vertrag versehentlich abgeschlossen oder könne sich daran nicht mehr erinnern. Die mit der Zahlungsaufforderung verbundene unwahre Angabe eines zugrunde liegenden Vertragsschlusses sei geeignet gewesen, die Verbraucherin zu einer geschäftlichen Entscheidung (Zahlung des verlangten Entgelts und Erfüllung des behaupteten Vertrags) zu veranlassen, die sie anderenfalls nicht getroffen hätte.

Identitätsdiebstahl: Das Vorliegen eines Identitätsdiebstahls stehe der Annahme einer unlauteren geschäftlichen Handlung gem. § 5 Abs. 1 UWG nicht entgegen. Der Verbraucher befinde sich gegenüber dem Gewerbetreibenden hinsichtlich des Informationsniveaus nicht grundsätzlich in einer unterlegenen Position, sondern könne sich sogar bewusst sein, dass er den Vertrag nicht geschlossen habe, was der Gewerbetreibende hingegen nicht wisse. Ein Irrtum des Unternehmers über den Umstand einer vorhergehenden Bestellung durch den zur Zahlung aufgeforderten Verbraucher könne im Rahmen der Prüfung der Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung allerdings auch dann nicht zugunsten des Unternehmers berücksichtigt werden, wenn dieser Irrtum nicht vorwerfbar sei. Die Annahme einer irreführenden Handlung setze grundsätzlich nicht voraus, dass der Gewerbetreibende vorsätzlich eine objektiv falsche Angabe mache.

Leistungserbringung: Damit eine unzulässige geschäftliche Handlung nach Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG vorliege, müsse eine nicht bestellte Ware tatsächlich geliefert oder eine nicht bestellte Dienstleistung tatsächlich erbracht worden sein. Dies sei nicht der Fall. Weder das Inkassounternehmen noch seine Auftraggeberin hätten eine Ware an die Verbraucherin geliefert oder ihr gegenüber eine Dienstleistung erbracht. Es sei zwar ein auf die Verbraucherin lautender Mobilfunkanschluss mit einer bestimmten Rufnummer eingerichtet und freigeschaltet worden, die Verbraucherin habe hiervon jedoch keine Kenntnis gehabt, keine SIM-Karte erhalten und den Zugang zum Mobilfunknetz nicht nutzen können. Das bloße Inaussichtstellen einer Warenlieferung oder Dienstleistungserbringung unterfalle nicht dem Tatbestand. Der Zweck der Regelung liege darin, die durch die Zurverfügungstellung der unbestellten Ware oder die Erbringung einer nicht beauftragten Dienstleistung eintretende besondere Drucksituation zu vermeiden. Einem Verständnis der BGH-Rechtsprechung in Identitätsdiebstahl I dahingehend, dass für die Erfüllung des Tatbestands von Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG die bloße Einrichtung eines E‑Mail-Kontos, von dem der zur Zahlung aufgefordert der Verbraucher nichts weiß und auf das er auch kein Zugriff hat, genügen soll, erteilte der BGH eine Absage.

Verhältnis von Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 zu § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG: Die Nichterfüllung von Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG stehe der Annahme einer unlauteren geschäftlichen Handlung i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG nicht entgegen. Die spezielleren Tatbestände im Anhang zu § 3 verdrängten die allgemeinen Vorschriften der Unlauterkeit wegen irreführender und aggressiver Geschäftspraktiken nicht, sondern ergänzten diese. Erfassten die Tatbestände des Anhangs ein Verhalten nicht, so folge daraus nicht, dass es hinzunehmen sei. Vielmehr greife dann die Prüfung nach den allgemeinen Bestimmungen. Die sich aus den Tatbeständen des Anhangs ergebenden Wertungen seien dabei im Rahmen der Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Es sei also geboten zu fragen, ob es gesetzlich geregelte Verbotstatbestände oder Regelbeispiele gebe, die zumindest einen ähnlichen Fall erfassten und damit einen wertenden Rückschluss auf die lauterkeitsrechtliche Missbilligung einer entsprechenden Verhaltensweise erlaubten.


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