BGH, Urt. 20.2.2018 - VI ZR 30/17

Unzulässige Arztbewertung bei verdeckten Werbevorteilen

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 07/2018
Die Erhebung von personenbezogenen Daten im Rahmen eines Arztbewertungsportals im Internet ist unzulässig, wenn der Portalbetreiber seine Stellung als neutraler Informationsmittler verlässt, indem er durch die Werbung einzelnen Ärzten verdeckte Vorteile verschafft.

BGH, Urt. v. 20.2.2018 - VI ZR 30/17

Vorinstanz: OLG Köln, Urt. v. 5.1.2017 - 15 U 121/16
Vorinstanz: LG Köln, Urt. v. 13.7.2016 - 28 O 7/16

EMRK Art. 8 Abs. 1, Art. 10; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1; BDSG a.F. §§ 4 Abs. 1, § 35 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; BGB § 823 Abs. 2, § 1004 analog

Das Problem

Als eigene Informationen eines Arztbewertungsportals werden die sog. Basisdaten (Name, Fachrichtung usw.) eines Arzts angeboten. Daneben sind Bewertungen abrufbar, die Nutzer in Form eines Notenschemas und Freitextkommentaren abgegeben haben. Die Abgabe einer Bewertung erfordert die Verifizierung einer E?Mail-Adresse. Aus den Einzelbewertungen werden für jede Kategorie Durchschnittsnoten und aus ihnen eine Gesamtnote gebildet. Entgeltlich wird zusätzlich angeboten, das Profil der Ärzte mit Foto und zusätzlichen Informationen zu versehen. Diese „Serviceleistung” beinhaltet ferner, dass im Profil nicht zahlender Ärzte – als „Anzeige” gekennzeichnet – die Profilbilder unmittelbarer Konkurrenten gleicher Fachrichtung im örtlichen Umfeld eingeblendet werden, während das bei zahlenden Ärzten nicht der Fall ist. Laut Werbung steigere ein „Premium-Eintrag” die Aufmerksamkeit innerhalb des Portals und zudem die Auffindbarkeit über Google.

Die Entscheidung des Gerichts

Nach § 35 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BDSG a.F. seien personenbezogene Daten der klagenden nicht zahlenden Ärztin zu löschen, da ihre Speicherung unzulässig sei. Ein Unterlassungsanspruch ergebe sich aus § 823 Abs. 2, § 1004 BGB analog i.V.m. § 4 Abs. 1 BDSG a.F.

Anwendungsbereich des BDSG: Die Portalbetreiberin sei als juristische Person des privaten Rechts, die nicht unter § 2 Abs. 1 bis 3 BDSG a.F. falle, gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 BDSG a.F. eine nicht-öffentliche Stelle und verarbeite personenbezogene Daten i.S.d. § 3 Abs. 1 BDSG a.F. über die Ärzte unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen. Das Medienprivileg gem. § 57 Abs. 1 Satz 1 RStV i.V.m. § 41 Abs. 1 BDSG a.F. finde mangels journalistisch-redaktioneller Bearbeitung keine Anwendung.

Datenverarbeitung zur Übermittlung: Eine isolierte Betrachtung der aus allgemein zugänglichen Quellen entnommenen sog. Basisdaten führe nicht zur weniger strengen Vorschrift des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG a.F., da nur die gemeinsame Verwendung mit den Noten und Freitextkommentaren den von dem Portalbetreiber verfolgten Zweck erfülle, so dass einheitlich § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG a.F. als Prüfungsmaßstab zugrunde zu legen sei (vgl. BGH v. 23.9.2014 – VI ZR 358/13, Rz. 24, BGHZ 202, 242 = CR 2015, 116).

Kein schutzwürdiges Interesse: Das schutzwürdige Interesse bedürfe eine Abwägung des Rechts des Arzts auf informationelle Selbstbestimmung und dem Recht des Portalbetreibers sowie der Portalnutzer auf Kommunikationsfreiheit. Die ohne Registrierung mögliche Datennutzung sei auch unter Berücksichtigung des Rechts auf freie Berufsausübung nach Art. 12 GG grundsätzlich zulässig, obwohl der Arzt gezwungen werde, sich unter Einbeziehung von Bewertungen medizinisch unkundiger Laien in der durch Suchmaschinen verstärkten breiten Öffentlichkeit einem Vergleich mit Kollegen zu stellen und wegen der Anonymität die gesteigerte Gefahr von Missbrauch, Mehrfachbewertungen und Bewertungen ohne Behandlungskontakt bestehe. Denn die Daten berührten die Sozialphäre, in der sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt und unter Beobachtung der Öffentlichkeit vollziehe. Grenzen seien erst erreicht, wenn unwahre Tatsachenbehauptungen, Beleidigungen, Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen seien oder es zu Missbrauch etwa durch Mehrfachbewertungen oder Bewertungen ohne realen Hintergrund komme.

Öffentliches Interesse: Eine Bewertung durch Laien könne eine sinnvolle Ergänzung bisheriger Informationsquellen sein. Gegen anonyme Bewertungen seien die Ärzte nicht schutzlos. Anonyme Meinungsäußerungen würden von Art. 5 GG erfasst (BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, ITRB 2009, 195 = Rz. 38, CR 2009, 593), zumal es sich um sensible Gesundheitsinformationen handle, so dass widrigenfalls viele von einer Bewertung absähen.

Kein neutraler Informationsmittler: Die Portalbetreiberin verschaffe durch die Werbung einzelnen Ärzten verdeckte Vorteile (vgl. zum Hosting EuGH v. 12.7.2011 – C-324/09 – L’Oréal SA/eBay, Rz. 113, GRUR 2011, 1025), indem die Daten der ohne oder gegen ihren Willen gespeicherten und bewerteten Ärzte – im Gegensatz zu Premiumkunden – als Werbeplattform für die zahlenden Konkurrenten genutzt würden. Jedenfalls mit den örtlichen Verhältnissen und mit dem Geschäftsmodell der Portalbetreiberin nicht vertraute Internetnutzer könnten den unzutreffenden Eindruck gewinnen, dass Premiumkunden keinen örtlichen Konkurrenten hätten. Mit diesem Verfahren sollten ersichtlich potentielle Patienten stärker zu „Premiumkunden” der Portalbetreiberin gelenkt und Ärzte dazu bewegt werden, Premiumkunden zu werden. Dadurch verlasse die Portalbetreiberin ihre Stellung als neutraler Informationsmittler, so dass die Grundrechtsposition des betroffenen Arzts überwiege.


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