BGH, Urt. 22.9.2020 - VI ZR 476/19

Indirekte Auslistung

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 01/2021
Über das zur Wahrung der Rechte des Betroffenen Erforderliche geht die Schwärzung seines Namens in Artikeln eines Online-Archivs hinaus, falls dessen Betreiber auf die Weiterverbreitung über eine Namenssuche per Suchmaschine Einfluss nehmen kann.

GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; BGB § 823

Das Problem

Ein im Jahr 1982 wegen Mordes Verurteilter wurde 2002 nach verbüßter Strafe aus der Haft entlassen. Über den Fall veröffentlichte ein Nachrichtenmagazin vor 38 Jahren drei Artikel in seiner gedruckten Ausgabe, die seit 1999 auch in einem Online-Archiv ohne Zugangsbarrieren kostenlos zum Abruf bereitgehalten werden. Gibt man den Namen des Verurteilten in eine gängiges Internetsuchmaschine ein, werden die Artikel unter den ersten Treffern angezeigt.

Die Entscheidung des Gerichts

Nach Entscheidung des BVerfG verweist der BGH zwecks Prüfung technischer Einwirkungsmöglichkeiten des Online-Archivs auf Ergebnislisten der Internetsuchmaschinen an das Tatsachengericht zurück.

Persönlichkeitsrechtseingriff: Dem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verurteilten komme angesichts der online ermöglichten allgemeinen Verfügbarkeit der Artikel, die an erster Stelle der Ergebnislisten bereits bei Eingabe des Namens des Verurteilten erschienen, eine erhebliche Intensität zu.

Ursprüngliche Zulässigkeit: Die Zulässigkeit des Vorhaltens der öffentlich zugänglichen Artikel sei anhand einer Abwägung der im Zeitpunkt des jeweiligen Löschungsverlangens bestehenden gegenläufigen grundrechtlich geschützten Interessen zu beurteilen. Dabei sei die ursprüngliche Zulässigkeit des Berichts allerdings ein wesentlicher Faktor, der ein gesteigertes berechtigtes Interesse von Presseorganen begründe, diese Berichterstattung ohne erneute Prüfung oder Änderung der Öffentlichkeit dauerhaft verfügbar zu halten (BVerfG v. 25.2.2020 – 1 BvR 1282/17 – Kein Vergessen der Abstammung Rz. 10, AfP 2020, 218 = ITRB 2020, 182 [Rössel]).

Abwägungsfaktoren: Für die weitere Abwägung seien insb. die Schwere der wegen andauernder Verfügbarkeit drohenden Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung (BGH v. 18.12.2018 – VI ZR 439/17 – Strafverfahren gegen Steuerberater Rz. 16, CR 2019, 430), zwischenzeitliche damit in Zusammenhang stehende Ereignisse und Betroffenenverhalten (BVerfG v. 23.6.2020 – 1 BvR 1240/14 – Kein Vergessen des Examensausschlusses Rz. 20, AfP 2020, 307), die fortdauernde oder verblassende Breitenwirkung, die Priorität in Suchergebnislisten (BVerfG v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13 – Recht auf Vergessen I Rz. 125, CR 2020, 30 = ITRB 2020, 28 [Rössel]) sowie das generelle Interesse der Allgemeinheit und der Inhalteanbieter an dauerhafter unveränderter Verfügbarkeit (EGMR v. 28.6.2018 – 60798/10 – M. L. und W. W. / Deutschland Rz. 90, NJW 2020, 295) angemessen zu berücksichtigen.

Zumutbare technische Schutzmaßnahmen: Anzustreben sei ein Ausgleich, der einen ungehinderten Zugriff auf den Originaltext möglichst weitgehend erhalte, aber diesen insb. gegenüber namensbezogenen Suchabfragen einzelfallbezogen doch hinreichend begrenze (vgl. BGH v. 18.12.2018 – VI ZR 439/17 – Strafverfahren gegen Steuerberater Rz. 21 f., AfP 2019, 236 = CR 2019, 430). Technische Anstrengungen und Kosten für Schutzmaßnahmen seien dem Betreiber des Onlinearchivs grds. zuzumuten.


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