BVerfG, Urt. 1.10.2024 - 1 BvR 1160/19

Bundeskriminalamtsgesetz II

Autor: RA, FA IT‑Recht Dr. Kay Oelschlägel, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 04/2025
Einzelne gesetzliche Befugnisse des BKA zur Datenerhebung (§ 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG) und Datenspeicherung (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BKAG) sind in Teilen verfassungswidrig.

GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1; BKAG §§ 45, 18

Das Problem

Mehrere Personen wandten sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen Vorschriften des BKAG gültig ab 25.5.2018. Zum einen hielten sie die Ermächtigung des BKA zum Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus, soweit diese eine heimliche Überwachung von Kontaktpersonen erlaubt (§ 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 2 BKAG), für nicht vereinbar mit ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.

Zum anderen rügten sie Regelungen zur Weiterverarbeitung bereits erhobener personenbezogener Daten im Informationssystem des BKA und im polizeilichen Informationsverbund (§ 16 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1; § 18 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4, Abs. 2 Nr. 1 und 3 und Abs. 5 i.V.m. § 13 Abs. 3, § 29 BKAG) sowie zu polizeilichen Hinweisen (§ 16 Abs. 6 Nr. 2 i.V.m. § 29 Abs. 4 Satz 2 BKAG).

Die Entscheidung des Gerichts

Die Verfassungsbeschwerde habe teilweise Erfolg. Sie sei, soweit zulässig, teilweise begründet.

Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung:Während § 16 Abs. 1 BKAG verfassungsgemäß sei (vgl. insoweit Rz. 118–151), verletzten § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG sowie § 18 Abs. 2 Nr. 1 BKAG, soweit diese i.V.m. §§ 13 Abs. 3, 29 BKAG die Speicherung von Daten durch das BKA als Zentralstelle erlaubten, die Betroffenen jedoch in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, da sie unverhältnismäßig seien.

§ 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG:§ 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG ermächtige BKA, heimliche Überwachungsmaßnahmen nach § 45 Abs. 2 BKAG gegenüber Personen i.S.d. § 39 Abs. 2 BKAG durchzuführen, gegen die selbst kein Verdacht terroristischer Aktivitäten bestehe, die aber in einem Näheverhältnis zu einer polizeirechtlich verantwortlichen Personen stünden („Kontaktpersonen“). Diese Maßnahmen stellten Eingriffe in das Recht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung von teilweise erheblichem Gewicht dar, etwa im Falle langfristiger dauerhafter Aufzeichnung des gesprochenen Worts und Bildes oder durch die Ausnutzung des Vertrauens einer Person durch den Einsatz verdeckte Ermittler.

Zumindest in Bezug auf solche schwerwiegenden Eingriffe halte § 45 Abs. 1 Nr. 4 BKAG den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – also dem Gebot der Angemessenheit – nicht stand und sei damit unverhältnismäßig. Zwar verfolge die Vorschrift einen legitimen Zweck, indem sie das BKA mit Befugnissen ausstatte, um Gefahren des internationalen Terrorismus i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 2 BKAG abwehren zu können. Die Befugnis, heimliche Überwachungsmaßnahmen auch gegenüber Kontaktpersonen vornehmen zu dürfen, sei zudem zur Erreichung dieses Zwecks auch geeignet und erforderlich.

Eingriffsschwelle:Die Vorschrift sei allerdings unangemessen, da sie eine zu niedrige Eingriffsschwelle für die heimliche, teils grundrechtsintensive Überwachung von Kontaktpersonen aufstelle. Zwar sei die heimliche Überwachung von Kontaktpersonen grundsätzlich mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Es gelte insofern jedoch ein besonders strenger Verhältnismäßigkeitsmaßstab. Neben einer mindestens konkretisierten Gefahr, die von der polizeirechtlich verantwortlichen Person ausgehen müsse, zu der der Betroffene in Kontakt stehe, bedürfe es zusätzlich einer spezifischen individuellen Nähe der Kontaktperson zu der aufzuklärenden Gefahr.

Tatnähe:Im Fall der Befugnisnorm des § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG dürfe jedoch unabhängig von der spezifischen individuellen Gefahrennähe der zu überwachenden Kontaktperson bereits die über den Verweis auf § 39 Abs. 2 Nr. 1 BKAG in § 39 Abs. 2 Nr. 2 BKAG in Bezug genommene polizeirechtlich verantwortlichen Person nicht heimlich mit besonders eingriffsintensiven Mitteln überwacht werden. Die Überwachung könne daher gegenüber bloßen Kontaktpersonen erst recht nicht an ein Näheverhältnis zu einer solchen Person geknüpft werden. § 39 Abs. 2 BKAG regle originär die Voraussetzungen für die Erhebung personenbezogener Daten zur Verhütung von Straftaten i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 BKAG. Nach Nr. 1 sei diese gegenüber einer Person zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass sie beabsichtige, eine Straftat gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 BKAG zu begehen. Nach ihrer gesetzlichen Konzeption diene die Norm folglich nur der Ermächtigung zu weniger eingriffsintensiven Maßnahmen und bleibe dementsprechend auch weit hinter den Anforderungen der § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-3 BKAG zurück, die die Datenerhebung mit besonderen Mitteln i.S.d. § 45 Abs. 2 BKAG bei polizeirechtlich verantwortlichen Personen regelten.

Kontaktperson:§ 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG könne keine vergleichbare Eingriffsschwelle für die heimliche Überwachung von Kontaktpersonen entnommen werden. Dies sei auch nicht im Weg einer verfassungskonformen Auslegung möglich. Insb. sei der Auffassung der Bundesregierung zu widersprechen, der Verweis auf § 39 Abs. 2 Nr. 2 BKAG in der Vorschrift beziehe sich nur auf die Tatnähekriterien, die in § 39 Abs. 2 Nr. 2 lit. a-c BKAG normiert wären, während das für die Verfassungsmäßigkeit erforderliche Näheverhältnis der Kontaktperson aber zu einer verantwortlichen Person i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-3 BKAG bestehen müsse. Gegen eine solche Auslegung spreche zum einen der Wortlaut der Vorschrift, aus dem sich nicht ergebe, dass § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG, der eine eigenständige Adressatengruppe normiere, auf die Adressatengruppen in Nr. 1-3 Bezug nehme, auch wenn die Voraussetzung, dass „die Abwehr der Gefahr oder die Verhütung der Straftaten auf andere Weise aussichtslos ist oder wesentlich erschwert wäre“, sich auf alle Adressatengruppen beziehe. Zum anderen lasse auch eine systematische Betrachtung der Norm bzw. des Gesetzes einen solchen Rückschluss nicht zu. Der Umstand allein, dass § 39 BKAG die allgemeine Befugnis zur Erhebung von personenbezogenen Daten und § 45 BKAG die speziellere Vorschrift für die Datenerhebung mit besonderen Mitteln sei, vermöge einen solchen Zusammenhang nicht herzustellen.

§ 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 BKAG:Auch § 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 BKAG sei verfassungswidrig, soweit er i.V.m. §§ 13 Abs. 3, 29 BKAG die Speicherung von Daten durch das BKA erlaube, da es für die Speicherung an der Normierung einer angemessenen Eingriffs- bzw. Speicherschwelle und ausreichenden Vorgaben zur Speicherdauer fehle.

Speicherschwelle:Für die Bestimmung einer angemessenen Speicherschwelle seien neben der Herkunft, Art und dem Umfang der gespeicherten Daten auch die Zwecke der Speicherung zu beachten. Im Fall der vorsorgenden Speicherung müsse sie sich insb. am Bestehen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit orientieren, dass die vorsorgend gespeicherten Daten zur Erfüllung des mit der Speicherung verfolgten Zwecks benötigt würden. Diene die Speicherung der Verfolgung und Verhütung von Straftaten, bedürfe es insofern einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit, dass die betroffenen Personen eine strafrechtlich relevante Verbindung zu möglichen anderen Straftaten aufwiesen und gerade die gespeicherten Daten zur Verfolgung und Verhütung dieser Straftaten beitragen könnten. Bei § 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 BKAG knüpfe die Speicherschwelle allein an die Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen an. Aufgrund der Unsicherheiten, die sich hinsichtlich des Beschuldigten mit Blick auf die tatsächliche Begehung der vorgeworfenen Straftat ohnehin ergäben, könne die Beschuldigteneigenschaft nicht herangezogen werden, um eine aus verfassungsrechtlicher Sicht ausreichende Schwelle für die vorsorgende Speicherung personenbezogener Daten für zukünftig zu verfolgende oder zu verhütende Straftaten zu schaffen. Soweit sich (noch) keine hinreichende Wahrscheinlichkeit bzgl. der Begehung der gegenwärtig vorgeworfenen Tat durch den Betroffenen prognostizieren lasse, könne erst recht kein belastbarer Schluss auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer relevanten Beziehung zu anderen zukünftigen Straftaten gezogen werden, deren Verfolgung bzw. Verhütung die vorsorgende Speicherung gerade dienen solle. Auch hier sei es für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit erneut nicht ausreichend, wenn in der Praxis das BKA prognostische Elemente vor der Speicherung berücksichtige, sondern komme es allein auf die gesetzliche Regelung und die sich aus ihr ergebene Reichweite für eine vorsorgende Speicherung und den damit verbundenen Grundrechtseingriff an.

Ebenso reiche es für die Angemessenheit der Vorschrift nicht aus, dass die Speicherung der Daten eine einzelabhängige Erforderlichkeitsprüfung durch das BKA voraussetze. Diese folge daraus, dass es § 18 BKAG an näher bestimmten gesetzlichen Vorgaben für diese Erforderlichkeitsprüfung fehle. Zudem könne zur Bestimmung der Speicherschwelle auch nicht auf die in § 12 Abs. 2 BKAG normierten Kriterien für die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten zurückgegriffen werden, da weder der Wortlaut der Vorschrift noch der Wille des Gesetzgebers darauf hinwiesen.

Speicherdauer:Daneben fehle es an einem hinreichend ausdifferenzierten Regelungskonzept zur Speicherdauer. Für eine verfassungsgemäße Ausgestaltung der vorsorgenden Speicherung personenbezogener Daten bedürfe es einer gesetzlichen Regelung einer angemessenen Speicherdauer. Welcher Zeitraum im konkreten Fall als angemessen anzusehen sei, bestimme sich dabei insbesondere durch das Eingriffsgewicht und die Belastbarkeit der Prognose, wobei diese im Laufe der Zeit an Überzeugungskraft verliere, sollten keine neuen relevanten Umstände hinzutreten. Im Falle der vorsorgenden Speicherung personenbezogener Daten bedürfe es für deren verfassungsrechtliche Angemessenheit gesetzlich ausdifferenzierter Prüfungs- und Aussonderungsfristen. Die existierenden Regelungen zur Löschung gespeicherter Daten in § 75 Abs. 2 u. 4 BDSG sowie § 77 Abs. 1 BKAG würden insoweit nicht ausreichen, da beide Vorschriften es letztlich dem BKA überließen entsprechende Fristen festzusetzen.


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