BGH, Urt. 6.6.2019 - I ZR 216/17

Unzulässige Zahlungsaufforderung für E-Mail-Dienst

Autor: RA, FA IT-Recht Dr. Aegidius Vogt, Herberger Vogt von Schoeler, München – www.hvs-rechtsanwaelte.de
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 12/2019
Eine Zahlungsaufforderung ist auch dann wettbewerbswidrig, wenn der Unternehmer irrtümlich von einer ordnungsgemäßen Bestellung ausgeht, etwa bei Identitätsdiebstahl.

BGH, Urt. v. 6.6.2019 - I ZR 216/17

Vorinstanz: OLG Koblenz v. 6.12.2017 - 9 U 589/17

RL 2005/29/EG Art. 5 Abs. 5 Anh. I, Art. 6 Abs. 1; UWG § 3 Abs. 1, § 3 Abs. 3 Anh. Nr. 29, § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 8 Abs. 1, 2, 3 Nr. 3

Das Problem

Eine Anbieterin von E?Mail-Diensten forderte einen Verbraucher – selbst, per Inkasso und Rechtsanwalt – mehrfach zur Zahlung auf, obwohl dieser keinen Vertrag abgeschlossen hatte. Die Anbieterin berief sich auf einen für sie nicht erkennbaren Identitätsdiebstahl und stornierte die Rechnung.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen, welche die Anbieterin auf Unterlassung verurteilt hatten.

Unwahre Angaben: Mit den Zahlungsaufforderungen habe die Anbieterin in Ermangelung einer tatsächlich erfolgten Bestellung unwahre Angaben i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 UWG gemacht.

Unbeachtlicher Irrtum: Ein Irrtum der Anbieterin sei auch dann nicht zu deren Gunsten zu berücksichtigen, wenn dieser nicht vorwerfbar sei. Die Annahme einer irreführenden Handlung i.S.v. Art. 6 RL 2005/29/EG setze grds. nicht voraus, dass der Unternehmer vorsätzlich eine objektiv falsche Angabe mache (EuGH v. 16.4.2015 – C-388/13, CR 2015, 576). Auch aus Art. 9 lit. c RL 2005/29/EG, der ein bewusstes Handeln des Unternehmers voraussetze, könne nicht entnommen werden, dass stets ein subjektives Element gegeben sein müsse. Ferner brauche bei Vorliegen aller Voraussetzungen einer irreführenden Handlung nicht mehr geprüft zu werden, ob eine Geschäftspraxis auch den Erfordernissen der beruflichen/unternehmerischen Sorgfalt widerspreche, um sie als unlauter anzusehen (EuGH v. 19.9.2013 – C-435/11, BeckRS 2013, 81824).

Objektive Umstände: Allerdings habe der Senat bislang entschieden, dass Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG nicht erfüllt sei, wenn der Unternehmer irrtümlich von einer Bestellung ausgehe und der Irrtum seine Ursache nicht in dessen Verantwortungsbereich habe, etwa weil die Bestellung von einem Dritten unter dem Namen des Belieferten veranlasst worden sei (BGH v. 17.8.2011 – I ZR 134/10, IPRB 2012, 30). Daran werde nicht mehr festgehalten. Vielmehr sei es unerheblich, ob der Unternehmer irrtümlich von einer Bestellung ausgehe. Denn ein Verstoß gem. Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG sei nach dem Wortlaut der Bestimmung objektiv zu beurteilen. Die Vorschrift stelle auf die objektive Handlung des Unternehmers und die in ihr angelegte Drucksituation für den Verbraucher ab und verbiete diese Handlung per se. Einzelfallabwägungen, auch solche über Irrtum und Verschulden des Unternehmers, seien ausgeschlossen, da solche Gesichtspunkte an der unzumutbaren Belästigung des Verbrauchers nichts änderten, sondern nur zu einer der Rechtssicherheit abträglichen Motivforschung beim Unternehmer führen würden (OLG Stuttgart v. 1.7.2010 – 2 U 96/09, BeckRS 2011, 9499). Für dieses Verständnis sprächen auch die europarechtlichen Vorgaben. Nicht zuletzt sei zu berücksichtigen, dass der Zweck der RL 2005/29/EG u.a. in der Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus liege. Zudem seien die Bestimmungen der RL im Wesentlichen aus der Sicht des Verbrauchers als Adressat und Opfer unlauterer Geschäftspraktiken konzipiert.

Kein Wertungswiderspruch: Der Gesichtspunkt der Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem Irreführungstatbestand nach § 5 Abs. 1 UWG und den besonderen Unlauterkeitstatbeständen des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG zwinge nicht zu einer anderen Beurteilung, da Letztere die allgemeinen Vorschriften nicht verdrängten, sondern lediglich ergänzten (BGH v. 17.8.2011 – I ZR 134/10). Dennoch seien im Rahmen der systematischen Gesetzesauslegung grds. auch das Gesamtsystem des Lauterkeitsrechts und die sich daraus ergebenden Wertungen zu beachten. Demnach dürfe die Prüfung nach den allgemeinen Bestimmungen nicht zu einem Wertungswiderspruch zu den Tatbeständen des Anhangs führen. Letztlich könne diese Frage aber dahinstehen, da hier sowohl § 5 Abs. 1 UWG als auch Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG tatbestandlich erfüllt seien.


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