BGH, Urt. 9.12.2021 - I ZR 146/20

Unzulässige Werbung für ärztliche Fernbehandlung

Autor: RA Dr. Ingemar Kartheuser, LL.M. (Canterbury), Norton Rose Fulbright LLP, Hamburg
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 04/2022
Werbung für eine ärztliche Fernbehandlung ist nur zulässig, wenn für diese nach „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ ein persönlicher ärztlicher Kontakt nicht erforderlich ist. Dieser Begriff ist unter Rückgriff auf § 630a Abs. 2 BGB auszulegen.

UWG §§ 3, 8; HWG § 9; BGB § 630a

Das Problem

Eine Versicherung bewarb im Internet einen „digitalen Arztbesuch“ über eine Smartphone-App. Den Nutzern wurde damit die Möglichkeit eröffnet, über einen digitalen „Concierge“ Kontakt zu Ärzten eines Schweizer Unternehmens aufzunehmen und per Video „Diagnosen, Therapieempfehlung, Krankschreibung“ zu erhalten. Das Schweizer Unternehmen war dabei nur Vermittlerin, die Behandlungsverträge kamen mit den jeweiligen Schweizer Ärzten zustande. Eine Verbraucherzentrale verlange Unterlassung der Werbung.

Die Entscheidung des Gerichts

Der Unterlassungsanspruch greife im Wesentlichen durch.

Rechtswidrige Handlung: Die Werbung verstoße gegen § 9 HWG in seiner alten und seiner ab 19.12.2019 geltenden Fassung. Nach § 9 HWG a.F. sei bereits eine Fernbehandlung an sich unzulässig gewesen. Nach § 9 Satz 2 HWG n.F. sei zwar eine Fernbehandlung grundsätzlich zulässig, aber nur, wenn nach „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit der zu behandelnden Person nicht erforderlich sei. In der beanstandeten Werbung für umfassende Fernbehandlung komme diese Einschränkung nicht zum Ausdruck; sie sei nicht auf Fernbehandlungen begrenzt, die einen persönlichen Kontakt nicht erforderten. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass bei gesundheitsbezogener Werbung besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen seien.

Fachliche Standards: Der Begriff der „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ in § 9 Satz 2 HWG n.F. sei nicht nach dem ärztlichen Berufsrecht auszulegen, sondern nach dem entsprechenden Begriff in § 630a Abs. 2 BGB, der für medizinische Behandlungsverträge gelte. Dafür sprächen u.a. systematische und teleologische Erwägungen: Ein Gleichklang ermögliche den Rückgriff auf umfangreiche Rechtsprechung zu § 630a Abs. 2 BGB und die Anlegung des vom Gesetzgeber intendierten abstrakt-generalisierenden Maßstabs für die Zulässigkeit der Werbung. Dagegen enthalte die berufsrechtliche Norm des § 7 Abs. 4 MBO-Ä n.F. Anweisungen für eine konkrete Behandlung, was nicht zielführend sei.


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