EuGH, Urt. 12.1.2023 - C-132/21

Verhältnis der Rechtsbehelfe nach Art. 77 bis 79 DSGVO

Autor: RA Dr. Ingemar Kartheuser, LL.M. (Canterbury)RRef’in Josephine Tobold, Norton Rose Fulbright LLP, Hamburg
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 03/2023
Die Rechtsbehelfe nach Art. 77 bis 79 DSGVO können unabhängig und nebeneinander geltend gemacht werden. Es ist Sache des entscheidenden Gerichts, einen effektiven Rechtsschutz des Betroffenen sicherzustellen.

DSGVO Art. 77, 78, 79; GRC Art. 47

Das Problem

Ein Teilnehmer der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft beantragte erfolglos bei der Gesellschaft, ihm den Tonmitschnitt zu übermitteln, der aufgezeichnet worden war. Er beschwerte sich bei der ungarischen Datenschutzbehörde, wiederum ohne Erfolg. Daraufhin erhob er im Verwaltungsrechtsweg Klage gegen die Entscheidung der Aufsichtsbehörde und parallel – mit gleichem Sachverhalt – vor dem zuständigen Zivilgericht gegen die Gesellschaft. Letzteres stellte in einem rechtskräftig gewordenen Urteil fest, dass die Gesellschaft das Recht des Betroffenen auf Zugang zu seinen personenbezogenen Daten verletzt hat.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH antwortete auf Fragen des vorlegenden ungarischen VG zum Verhältnis der Rechtsbehelfe zueinander.

Kein Vorrang eines Rechtsbehelfs: Die DSGVO sehe weder eine vorrangige oder ausschließliche Zuständigkeit noch einen Vorrang der Beurteilung der Aufsichtsbehörde oder eines Gerichts zum Vorliegen einer Verletzung der DSGVO vor. Somit könnten die in der DSGVO vorgesehenen verwaltungs- und zivilrechtlichen Rechtsbehelfe nebeneinander und unabhängig voneinander eingelegt werden.

Begrenzte Regelungen: Regelungen fänden sich zur Zusammenarbeit, gegenseitigen Amtshilfe und Koordinierung mehrerer Aufsichtsbehörden (Art. 60 bis 63 DSGVO). Bei Verfahren der Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten griffen Art. 81 Abs. 2 und 3 DSGVO. Der hier einschlägige Fall mehrerer zuständiger Gerichte eines Mitgliedstaats sei dagegen nicht vom Unionsgesetzgeber aufgegriffen worden.

Autonomie der Mitgliedstaaten: Mangels Regelung zum Vorrang eines Rechtsbehelfs habe das vorlegende Gericht zu entscheiden, wie mit den eingelegten Rechtsbehelfen umzugehen sei, und zwar im Einklang mit dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Dabei dürfe die praktische Wirksamkeit der Datenschutzrechte nicht in Frage gestellt und insb. die Rechtsbehelfe aus Art. 77 bis 79 DSGVO und das in Art. 47 GRC niedergelegte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werden. Es könne vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidungen des Verwaltungs- und des Zivilgerichts sich widersprächen und damit die gleichmäßige und einheitliche Anwendung der DSGVO (Erwgrd. 10 der DSGVO) fraglich sei. Dies könne zu einer Schwächung des Schutzes des Betroffenen und zu Rechtsunsicherheit führen.


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