Pflichten und Haftung des Rechtsanwalts: Anwaltsvertrag, Beweislast, sicherster Weg, Verjährung

08.10.2011, Autor: Herr Hermann Kulzer / Lesedauer ca. 6 Min. (4814 mal gelesen)
Welche Pflichten hat der Rechtsanwalt?
Wann haftet er für Pflichtverletzungen und in welcher Höhe?
Wer muss was beweisen?
Wann verjährung Ansprüche?
Welche besonderen Pflichten bestehen z.B bei der Prozeßführung?

In vielen Fällen werden Rechtsanwälten außergerichtlich komplexe Rechtsprobleme geschildert,aber aus Kostengründen oft nur Teilbereiche zur Prüfung oder Bearbeitung übertragen.

Wann haftet der Anwalt für welche Fehler?

Welche Pflichten hat der Anwalt?

Hinweise zum Anwaltsvertrag, Haftung, Beweislast ua.

Ein wesentlicher Leitsatz vorab:

Der Anwalt hat den Mandanten vor Gefahren zu warnen, die sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung eines eingeschränkten Mandats aufdrängen, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass sein Auftraggeber sich dieser Gefahr nicht bewusst ist. Eine solche Verpflichtung kommt vor allem dann in Betracht, wenn Ansprüche gegen Dritte zu verjähren drohen (BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - IX ZR 145/05, WM 2008, 1563 Rn. 15 mwN), vgl. BGH, Beschluss des IX. Zivilsenats vom 7.7.2011 - IX ZR 161/09 -

1. Umfassende Beratung geschuldet
Aufgrund eines Dienstauftrags ist der Rechtsanwalt seinem Auftraggeber grundsätzlich zu einer umfassenden und erschöpfenden Beratung verpflichtet. Der Anwalt muß prüfen, ob der ihm vorgetragene Sachverhalt geeignet ist, den vom Auftraggeber erstrebten Erfolg herbeizuführen.

2. Schutz vor Nachteilen
Den Mandanten muß der Rechtsanwalt vor Nachteilen bewahren, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind; Zweifel und Bedenken, zu denen die Sachlage Anlaß gibt, muß der Anwalt darlegen und mit seinem Auftraggeber erörtern (BGH, Urt. v. 22. Oktober 1987 - IX ZR 175/86, NJW 1988, 563, 566; v. 29. April 1993 - IX ZR 101/92, NJW 1993, 2045; v. 20. Oktober 1994 - IX ZR 116/93, WM 1995, 398, 399 f, jeweils m.w.N.). '

3. Schutzpflicht auch bei Werkvertrag
Diese Pflichten obliegen dem Rechtsanwalt im wesentlichen auch dann, wenn er - abweichend vom Regelfall - einen Werkvertrag geschlossen hat (§§ 631, 675 BGB; vgl. Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars 5. Aufl. Rdnr. I 5).
Der Werkvertrag begründet nach seinem Zweck Pflichten des Unternehmers, den Besteller über Umstände zu unterrichten, die er nicht kennt, deren Kenntnis aber für seine Entschließungen bedeutsam sind, und ihn auf Gefahren für das Gelingen des Werks hinzuweisen (vgl. BGH, Urt. v. 9. Juli 1987 - VII ZR 208/86, WM 1987, 1303 f; v. 24. September 1992 - VII ZR 213/91, DB 1993, 1281).

4. Beschränktes und unbeschränktes Mandatsverhältnis
Wenn der Auftraggeber eindeutig zu erkennen gibt, daß er anwaltliche Hilfe nur in der behaupteten Art, Richtung und Reichweite bedürfe, dann kann er dem Anwalt aber nicht vorwerfen, dieser hätte über die in Auftrag gegebene Formulierungshilfe hinaus den Sachverhalt klären müssen (vgl. BGH, Urt. v. 22. Oktober 1987 - IX ZR 175/86, aaO.).
Wenn der Mandant dagegen ein unbeschränktes Mandat behauptet hat, das er beweisen muß (vgl. BGH, Urt. v. 28. Mai 1991 - IX ZR 181/90, WM 1991, 1427, 1429; Baumgärtel/Laumen, aaO. BGB § 675 Rdnr. 7), ist insoweit im Haftungsprozess eine Sachaufklärung gemäß den Beweisantritten der Parteien erforderlich.

5. Beispiele einer Pflichtverletzung
a) die unterlassen Literaturrecherche
Nach einer Literaturmeinung führt die unterlassene Internetrecherche des Rechtsanwalts vor Klageerhebung gegen einen gegebenenfalls zahlungsunfähigen Beklagten über dessen gegebenenfalls bestehende Insolvenz () zumindest bei einem Fachanwalt für Insolvenzrecht zu einem Haftungsanspruch des Mandanten, wenn die Klage zwar erfolgreich, aber aufgrund der Insolvenz des Beklagten nicht vollstreckbar ist.
b) fehlende Ausgangskontrolle
Zur Organisationspflicht des Rechtsanwaltes gehört es, eine Ausgangskontrolle zu schaffen, die ausreichende Gewähr dafür bietet, dass fristwahrende Schriftstücke nicht über den Fristablauf hinaus im Büro liegen bleiben, vgl. OLG Bremen, Beschl. vom 31.08.2010.

6. Zustandekommen und Ende des Anwaltsvertrages
Ein Anwaltsvertrag kommt üblicherweise schriftlich zustande. Er kann jedoch auch durch schlüssiges Verhalten zustande kommen. Er endet (u.a.) mit der Erledigung des Auftrags (vgl.BGH, Urteil vom 20. Juni 1996 - IX ZR 106/ 95, WM 1996, 1832, 1833; NJW 1996, 2929; BGH, Beschluss des IX. Zivilsenats vom 7.7.2011 - IX ZR 161/09.

Die Beendigung des Mandats durch Erreichung des Vertragszwecks ist anzunehmen, wenn die übertragenen Aufgaben durch den Anwalt erledigt sind und der Anwalt zu erkennen gegeben hat, daß er seinen Auftrag als erfüllt ansieht, beispielsweise durch Übersendung der Schlussrechnung. Eine faktische Beendigung des Vertragsverhältnisses, etwa druch beiderseitige Untätigkeit, jedoch ohne Erreichung des Vertragszwecks ist dagegen nciht möglich, vgl. OLG Köln VersR 1980, 362; Franz-Josef Rinsche Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars 5. Auflage Randnummer I 24.

Da im laufenden Mandat umfangreiche Belehrungspflichten bestehen, darf eine Akte
erst nach Mandatsende geschlossen werden. In den meisten Fällen ist das Mandatsende
eindeutig, z. B. nach Abschluss der Instanz oder nach Übergabe eines Vertragsentwurfs.
Kritisch sind die Fälle, in denen sich der Mandant zunächst nicht entscheiden
kann, was er will, oder die weiteren Maßnahmen zeitlich zurückstellt. Hier muss der Rechtsanwalt mittels Wiedervorlageverfügung und Abschlussschreibens an den Mandanten manifestieren, dass bzw. wann man ein Mandat als beendet ansieht.

7. Warnung vor Gefahren
Der Anwalt hat den Mandanten vor Gefahren zu warnen, die sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung eines eingeschränkten Mandats aufdrängen, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass sein Auftraggeber sich dieser Gefahr nicht bewusst ist. (BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - IX ZR 145/ 05, WM 2008, 1563 Rn. 15 mwN).

8. Sicherster Weg
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichgtshofs muss ein Rechtsanwalt bei allem was er tut den „sichersten“ bzw. den „sichereren“ oder den „relativ sichersten“55) Weg aufzeigen, vgl. Rspr. seit BGH VersR 1967, 979; BGH NJW-RR 1997, 50; NJW 2000, 1267; BGH, NJW-RR 2006, 1645.
Wenn beispielsweise zweifelhaft ist, ob und inwieweit der Lauf einer Verjährungsfrist zwischenzeitlich gehemmt war oder welche Verjährungsfrist auf den Anspruch überhaupt anwendbar ist. Der sicherste Weg bedeutet hier, dass der früheste denkbare Verjährungsablauf für die Einreichung der Klage zu Grunde zu legen ist, vgl. BGH NJW 1999, 2183; BGH, Urt. v. 13.3.2008 – IX ZR 136/07.56.

Auszug aus dem BGH-Urteil:
In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziele zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risi-ken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist (BGH, Urt. v. 18. März 1993 - IX ZR 120/92, WM 1993, 1376, 1377; v. 4. Juni 1996 - IX ZR 51/95, WM 1996, 1824, 1825; v. 19. Januar 2006 - IX ZR 232/01, WM 2006, 927, 928; v. 23. November 2006 - IX ZR 21/03, WM 2007, 419; v. 1. März 2007 - IX ZR 261/03, NJW 2007, 2485, 2486, z.V.b. in BGHZ 171, 261).

9. Maßstab und Fehler des Gerichts
Bei den Pflichten eines Anwalts wird nicht auf den juristischen Supermann abgestellt sondern auf einen gewissenhaften und erfahrenen Durchscnittsanwalt; Die Haftung des Rechtsanwalts, Ein Praxishandbuch, Fahrendorf, Mennemeyer/ Terbille, 8. Auflage, Carl Heyemann 2010, 878 Rdnr. 426ff.
Fallen Fehler des Gerichtes und des Anwaltes zusammen kann der Zurechnungszusammenhang zwischen Anwaltsfehler und Schaden unterbrochen sein ( Die Haftung des RA. vgll. oben Rn. 428). Umgekehrt hat der Anwalt auf Fehler des Gerichts hinzuweisen und zu versuchen, dass diese korrigiert werden (a.a.O. Rn. 440, 443); voraussehbaren Fehlern muss er entgegenwirken (a.a.O. Rn. 441 ff.).

Ein Fachanwalt schuldet einen höheren Sorgfaltsmaßstab als ein Allgemeinanwalt (a.a.O. Rn. 533; sehr zweifelhaft).

10. Prozeßführung
Der Anwalt hat die Pflicht zur Belehrung über die Prozessaussichten.
Eine Prozessführung bei mangelnder Beratung über die geringen oder fehlenden Prozessaussichten stellt eine Pflichtverletzung dar (BGH, VersR 1963, 387/388; OLG Celle, AnwBl. 1987, 491).
Ferner besteht die Pflicht des Anwalts zur Belehrung über Kosten.
Nur in Ausnahmefällen hat der Anwalt die Pflicht, den Mandanten ungefragt über entstehende Kosten zu informieren, so z. B. bei Anfall unvermutbarer, besonders hoher Kosten.
Der Rechtsanwalt hat die Pflicht den Mandanten vor nutzlosen Anwaltskosten zu bewahren (AG Düsseldorf, AnwBl. 1986, 353) und keine wirtschaftlich unnötigen Kostenrisiken einzugehen (OLG Düsseldorf, AnwBl. 1987, 283),

11. Beweislast für Pflichtverletzungen aus dem Anwaltsvertrag
Anwaltshaftung folgt aus einer Verletzung des Mandatsvertrages. Grundsätzlich muss der Mandant alle Voraussetzungen dafür beweisen. Die Rechtsprechung hat den Grundsatz entwickelt, dass die Beweislast dann auf den Anwalt übergeht, wenn der Schaden in seinem Verantwortungsbereich eingetreten ist. Das wiederum ist bei einer anwaltlichen Pflichtverletzung stets der Fall, weil er kraft des Mandatsvertrages die Interessen des Mandanten bestmöglich wahrzunehmen hat.

Auf die Beweislast wirkt sich das so aus, dass der Mandant nur eine objektive Pflichtverletzung des Anwalts beweisen muss (BGH NJW 1988, 706 = ZIP 1987, 1580; st. Rspr.). Gelingt ihm das, dann muss der Anwalt beweisen, dass ihn ausnahmsweise kein Verschulden trifft. Er muss also den Nachweis erbringen, dass er auch bei der gebotenen Sorgfalt nicht hätte erkennen können, wie er sich anders hätte verhalten sollen, um Schaden von seinem Mandanten abzuwenden, vgl. Schneider, Die Klage im Zivilprozeß 3. Auflage Randnummer 2325; 2326.

Der Mandant hat die Beweislast für die Pflichtverletzung des Anwalts.
Die Beweislast erstreckt sich nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 08.11.2007 - IX ZR 221/06 auch auf die Durchsetzbarkeit der (nunmehr) verlorenen Forderung. Er muss also beweisen, dass die Vollstreckung wahrscheinlich erfolgreich verlaufen wäre.

Bezüglich der Verjährungsfragen gelten für den Haftpflichtprozeß die allgemeinenen Beweisregeln. Jede Partei hat danach die Tatsachen zu beweisen, welche für sie günstig sind. Franz- Josef Rinsche Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars 5. Auflage Randnummer I 318.
Demzufolge hat den in Anspruch genommene Anwalt als Schuldner den Beginn und den Ablauf der Verjährungsfrist zu beweisen, vgl. BGH WM 1980, 534, Franz- Josef Rinsche Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars 5. Auflage Randnummer I 318.

12. Empfehlung
Wir haben zahlreiche Haftungsfälle erfolgreich bearbeitet und stehen Ihnen gerne kompetent zur Seite.

pkl Rechtsanwälte Steuerberater
Hermann Kulzer MBA
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
kulzer@pkl.com