Sind Sonderrechte für Corona-Geimpfte zulässig?

15.01.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Impfpass,Spritze Privilegien für Geimpfte - ist so etwas zulässig? © Rh - Anwalt-Suchservice

Über Sonderrechte und Privilegien für Geimpfte wird derzeit viel diskutiert. Auch Juristen sind sich hier nicht einig. Hier der Versuch eines Überblicks über den derzeitigen Stand der Meinungen.

Kaum hatten die Corona-Impfungen begonnen, wurden die ersten Stimmen laut, die Privilegien für Geimpfte forderten. Die Grundidee: Wer geimpft ist, könnte dann wieder Restaurants, Kinos, Kneipen oder Elektronikmärkte aufsuchen, all diese Geschäfte könnten wieder öffnen - nur für Geimpfte. Maskenpflicht, Desinfektionsmittel und Abstandsregeln wären dort dann Geschichte. Und natürlich könnten auch die Reiseveranstalter wieder den vollen Betrieb aufnehmen und geimpfte Bürger nach Mallorca oder Gran Canaria transportieren - ganz ohne Quarantäne und Testpflicht.
Politiker der Regierungskoalition - allen voran Gesundheitsminister Jens Spahn und Innenminister Horst Seehofer - haben allerdings jede Vorzugsbehandlung von geimpften Personen ausgeschlossen.

Welche Argumente gegen Sonderrechte hat die Politik vorgebracht?


Aus Sicht der Koalitionspolitiker gilt es, das Entstehen einer Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften zu vermeiden. So erklärte Jens Spahn, dass viele Menschen derzeit geduldig auf ihre Impfung warteten, damit andere zuerst geimpft werden könnten. Im Gegenzug müssten sich die Geimpften dann aber auch solidarisch gedulden, bis sie ihr normales Leben wieder aufnehmen könnten. Niemand solle Sonderrechte einfordern, bis alle eine Chance auf eine Impfung gehabt hätten. Seehofer äußerte, dass Sonderrechte für Geimpfte der Einführung einer Impfflicht gleichkämen - die er ablehne.

Ein eher praktisches Argument gegen Sonderrechte besteht darin, dass bisher gar nicht feststeht, ob geimpfte Personen nicht trotzdem für andere ansteckend sein können. Medizinisch ist dies möglich.

Ungleichbehandlung durch den Staat: Wie ist die Rechtslage?


Staatliche Stellen wie zum Beispiel Behörden sind an das Gleichheitsgebot aus Art. 3 des Grundgesetzes gebunden. Dieser Grundsatz wird verletzt, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Darf man nun zwei Bürger, die ihren Personalausweis verlängern möchten, ungleich behandeln, indem man nur den, der schon geimpft ist, in die Behörde lässt?

Man könnte hier argumentieren, dass es einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung gibt, dass also beide nicht mehr gleich sind, weil einer eben geimpft ist.

Das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt beim Thema Ungleichbehandlung auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dies gilt insbesondere bei einer Ungleichbehandlung größerer Intensität. Von dieser geht man zum Beispiel aus, wenn sie keine Sachverhalte, sondern Personengruppen betrifft (wie: Personen mit und ohne Impfung). Dies gilt ganz besonders, wenn sich die betroffenen Personen der Ungleichbehandlung nicht durch eine Änderung ihres eigenen Verhaltens entziehen können.
Hier könnte man argumentieren, dass jeder selbst entscheiden kann, ob er sich impfen lässt. Nur leider nützt diese Entscheidungsfreiheit niemandem etwas, solange es nur für wenige Personen Impfstoff gibt. Eine echte Entscheidungsfreiheit ist hier also zumindest derzeit nicht gegeben. Daher müssten Sonderrechte dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.

Geht man von einem legitimen Ziel der Ungleichbehandlung aus (wieder mehr Freiheiten für einen Teil der Bevölkerung), bedeutet die Verhältnismäßigkeitsprüfung: Das Unterscheidungskriterium muss geeignet sein, um dieses Ziel zu erreichen. Außerdem muss die Ungleichbehandlung erforderlich und angemessen sein. Erforderlich heißt: Es sind keine weniger belastenden Mittel verfügbar. Angemessen bedeutet: Ist das angestrebte Ziel wichtig genug, um genau diese Ungleichbehandlung zu rechtfertigen?

Spätestens an der Erforderlichkeit dürfte es wohl scheitern: Denn auch vor Einführung der Impfstoffe gab und gibt es Mittel und Wege, um die notwendigen Behörden-Angelegenheiten zu erledigen - ganz ohne Ungleichbehandlung. So geht vieles heute online, anderes mit Termin. Ansteckungen in größerem Umfang, die andere Maßnahmen erforderlich machen würden, sind dabei bisher wohl nicht aufgefallen.

So wird für den Staat wohl eine Ungleichbehandlung von geimpften und nicht geimpften Bürgern eher nicht zulässig sein. Wie sieht es nun aber in der Privatwirtschaft aus?

Sonderbehandlung in der Privatwirtschaft?


Im privaten Bereich herrscht in Deutschland Vertragsfreiheit. Hier kann sich jeder aussuchen, mit wem er Geschäfte macht. Zumindest, solange er das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beachtet. Dieses untersagt eine Ungleichbehandlung "aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität."

Andere Ungleichbehandlungen bleiben jedoch erlaubt. Ein Nachtclub- oder Discothekenbesitzer kann zum Beispiel Personen mit unpassender Kleidung oder offensichtlich Betrunkene am Eingang abweisen. Ein Vermieter darf den Abschluss eines Mietvertrages von der Bonität einer Person abhängig machen - aber nicht von deren Hautfarbe oder Religion.
Das AGG verhindert insofern nicht, dass ein Ladeninhaber oder Gastwirt nur noch Personen mit nachgewiesener Impfung einlässt. Denn dieses Kriterium ist im Gesetz nicht genannt.

Ob diese Personen dann allerdings ohne Beachtung der allgemeinen Corona-Regeln (Abstände, Masken etc.) unbeschwert shoppen und Party machen dürften, ist eine ganz andere Frage. Dazu müssten erst einmal die Landesgesetze entsprechend geändert werden, die eine Vielzahl von Einschränkungen des öffentlichen Lebens aus Infektionsschutzgründen vorsehen und an die auch Wirte und Ladenbesitzer gebunden sind. Und zuerst müssten die entsprechenden Geschäfte natürlich wieder öffnen dürfen.

Zunächst zwingt aber nichts den Gesetzgeber dazu, eine solche Ungleichbehandlung von geimpften und nicht geimpften Personen zu ermöglichen. Allenfalls der Gleichheitsgrundsatz könnte hier für Klagen von Unternehmern einen Hebel bieten, wenn Derartiges in einigen Branchen zugelassen wird, in anderen aber nicht. Auch Klagen von einzelnen Geimpften wären denkbar, wobei die Urteile dann nur für den Einzelfall gelten würden.

An dieser Stelle hört man zum Teil das Argument, dass Einschränkungen nur so lange erlaubt sind, wie sie Sinn machen. Dies sei eben nicht mehr der Fall, wenn Geimpfte unter sich sind, denn dann kann sich ja niemand mehr anstecken.

Abgesehen davon, dass es medizinisch derzeit völlig unklar ist, ob Geimpfte niemanden anstecken können, würde dies ein System voraussetzen, in dem eine sichere Kontrolle des Impfstatus gewährleistet wäre. Also Impfnachweise, die dann zuverlässig kontrolliert werden. Zuständig wären dafür dann wohl unter anderem Aushilfskräfte im Supermarkt und im Kino, Verkäuferinnen, Kellnerinnen, Kneipenwirte, Disco-Türsteher oder Busfahrer. Man kann nun natürlich voraussetzen, dass all diese Personen selbstverständlich ohne Rücksicht auf Umsatz, Gewinn und Zeitdruck ihren Pflichten nachkommen, strenge Kontrollen durchführen und sich umfassend über das korrekte Aussehen der vermutlich 16 Varianten des Impfnachweises informieren werden (der gelbe Impfpass ist für den Alltagsgebrauch vielleicht etwas zu unübersichtlich).
Ein wenig unrealistisch erscheint diese Vorstellung dann aber doch.

Führende Datenschützer haben bereits deutlich ihre Meinung dazu geäußert, was sie von einem zentralen Datenabruf des Impfstatus von Bürgern aus Gesundheitsdatenbanken durch große Unternehmen halten (nämlich nichts).

Darf der Gesetzgeber eine Sonderbehandlung verbieten?


Um eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern, schlagen diverse Politiker bereits vor, die Gesetze im Hinblick auf die Privatwirtschaft zu ändern und eine Ungleichbehandlung wegen des Impfstatus im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu untersagen. Dann wäre eine Sonderbehandlung auch für die Privatwirtschaft verboten.

Als Gegenargumente werden hier gerne Vertragsfreiheit und Privatautonomie herangezogen - beides wird aus dem Grundgesetz abgeleitet. Allerdings schränkt das AGG ja auch in diversen anderen Bereichen die Vertragsfreiheit ein. Hier wird es auf die richtige Begründung ankommen. Ein solches Gesetz würde sicherlich vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden.

Problematik Seniorenheim und Pflege


Für Senioren - gerade in Heimen - stellen sich besondere Fragen. Eine Privilegierung von geimpften Senioren könnte dazu führen, dass Heimbewohner endlich wieder ohne Einschränkungen Besuch empfangen dürfen.
Die Kehrseite der Medaille wäre, dass privat geführte Heime womöglich neue Pflegeverträge nur noch mit Personen abschließen, die eine Impfung nachweisen können.
Hier wäre eine sensible und sinnvolle Regelung wünschenswert.

Erste Privilegien schon beschlossen?


In Sachsen-Anhalt gilt bereits eine Landesregelung, nach der Reisende bei der Rückkehr aus einem ausländischen Risikogebiet nicht mehr in Quarantäne müssen, wenn sie eine vollständige (also zweiteilige) Impfung nachweisen können - oder eine Corona-Infektion vor mindestens drei Wochen und vor maximal sechs Monaten. Das Land beruft sich dabei auf die neue Muster-Quarantäneverordnung des Bundes, die jedoch noch gar nicht beschlossen ist. Niedersachsen hat bereits betont, solche Ausnahmen nicht machen zu wollen. Viel hängt vom endgültigen Text der Muster-Verordnung ab.

Wie verhält sich die Wirtschaft?


Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) hat eine Sonderbehandlung für geimpfte Reisende abgelehnt. Dies werde dazu führen, dass nicht geimpfte Personen praktisch einem Reiseverbot unterliegen würden. Dem Deutschen Reiseverband (DRV) ist das Thema zurzeit noch zu theoretisch - die Frage der Ansteckung trotz Impfung sei noch nicht geklärt und die Zahl der Geimpften viel zu gering.

Praxistipp


Ob und in welchem Umfang es Privilegien für Geimpfte geben wird, bleibt abzuwarten. Rechtliche Auseinandersetzungen um dieses Thema sind abzusehen. Grundvoraussetzung wird sein, dass eine Infektion durch geimpfte Personen sicher auszuschließen ist. Je nachdem, ob es um Behörden oder Privatwirtschaft geht, kann ein Fachanwalt für Verwaltungsrecht oder ein Rechtsanwalt für Zivilrecht Beratung zum Einzelfall erteilen.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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