Corona-App: Droht Diskriminierung von Nichtnutzern?

22.06.2020, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Hand,kein Zutritt Drohen App-Nichtnutzern unangenehme Folgen? © Rh - Anwalt-Suchservice

Nach Einführung der Corona-App macht sich so mancher Nichtnutzer der App Sorgen, dass er bald vom Zutritt zu Geschäften, zum Kino oder zur Fahrt im Bus ausgeschlossen werden könnte.

Seit Kurzem gibt es nun die sogenannte Corona-Warn-App, die ihren Nutzer darüber benachrichtigen bzw. warnen soll, wenn sie in “näheren” Kontakt mit einem Coronainfizierten gekommen sind. Die Nutzung dieser App ist nach aktuellem Stand freiwillig. Die Landesregierungen der Bundesländer oder auch private Betreiber könnten aber auf die Idee kommen, Bürger, welche die Corona-App nicht nutzen, von bestimmten Leistungen sowie Veranstaltungen auszuschließen. Zu nennen wären beispielsweise die Nutzung von Bus, Bahn und Taxis, oder auch der Besuch von Veranstaltungen, Restaurants, Kinos und Theatern. Für diesen Fall liegt die Frage nahe, ob in einem solchen Ausschluss eine Diskriminierung der Nichtanwender der App läge.

Warum werden Benachteiligungen befürchtet?


Die Herangehensweise der Bundesländer bei den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus war in den vergangenen Monaten oft sehr unterschiedlich - man vergleiche nur einmal Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Ein Begleitgesetz, dass die Nutzung der Corona-App regelt, gibt es bisher nicht. Es ist durchaus denkbar, dass eine Landesregierung auf die Idee kommt, das Vorzeigen des Smartphones mit der Anzeige der Corona-App zur Zugangsvoraussetzung für Veranstaltungen oder Behördengänge zu machen. Auch haben einige Politiker die Idee geäußert, Bürgern mit Corona-App mehr Freiheiten von Corona-Beschränkungen zu gewähren als solchen ohne App. Aber auch private Betreiber von Restaurants, Verkehrsmitteln oder Geschäften könnten auf diese Idee kommen.

Nun gibt es aber in Deutschland - für Smartphone-Fans völlig unverständlich - immer noch viele Menschen, die ein einfaches Handy statt eines Smartphones nutzen, die gar kein Handy verwenden, ihr Handy nicht ständig dabei haben oder die etwa wegen Datenschutzbedenken einfach diese App nicht nutzen möchten. Auch Besitzer älterer Smartphones können die Corona-App nicht verwenden. Dürfen nun alle diese Menschen einfach von Leistungen verschiedenster Art ausgeschlossen werden?

Was sagt das Grundgesetz?


Zumindest Staat und Verwaltung müssen sich bei ihrem Handeln an den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes halten.

Dazu zunächst ein Zitat:
"Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sowie wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird."
(Aus: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zum Urteil über die Ungleichbehandlung von eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe beim beamtenrechtlichen Familienzuschlag, Az. 2 BvR 1397/09).

Kann man sich nun einfach auf den Standpunkt stellen, dass ja zum Beispiel alle Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel gleich behandelt werden, weil ja jeder die Corona-App vorzeigen muss, bevor er oder sie in den Bus steigt? Dies dürfte wohl zweifelhaft sein. Unter Umständen könnte man hier nämlich von einer Ungleichbehandlung von Personengruppen sprechen, also der Personen mit und ohne Corona-App.
Bei einer möglichen Ungleichbehandlung von Personengruppen verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass es für diese einen Grund von solcher Art und von solchem Gewicht gibt, dass dieser die Ungleichbehandlung rechtfertigen kann.

Hier kommt dann auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip zur Anwendung - und zwar um so strenger, je weniger sich der Bürger gegen die Ungleichbehandlung wehren kann. Das bedeutet: Die Ungleichbehandlung muss ein legitimes Ziel verfolgen, sie muss außerdem geeignet, erforderlich und angemessen sein.

Ziel der App ist die Verlangsamung der Ausbreitung des Virus. Darin kann man schon ein legitimes Ziel sehen. Ist die Ungleichbehandlung geeignet, dieses Ziel zu erreichen? Folgt man den Virusexperten, wird auch dies der Fall sein.
Erforderlich ist eine Ungleichbehandlung, wenn keine weniger einschneidende Maßnahme denkbar ist, um das gleiche Ziel zu erreichen. Hier wird die Sache zweifelhaft, denn auch die Pflicht, Masken zu tragen, verringert bereits in verschiedenen Lebensbereichen das Infektionsrisiko - wie auch Abstandsregeln und andere Hygienemaßnahmen, die es ja gerade deshalb gibt. All dies sind weniger einschneidende Maßnahmen als ein Zutrittsverbot ohne App. Die App ist vielmehr eine Maßnahme unter vielen - und ein Zutrittsverbot in Läden, Ämtern oder ÖPNV ohne App wäre für Nichtnutzer durchaus eine harte Maßnahme.

Zuletzt wäre da die Angemessenheit. Ist die Ungleichbehandlung zur Erreichung des gesetzten Zieles angemessen - auch wenn man die Nachteile bedenkt?
Hier wird man wohl starke Zweifel haben können. Das Infektionsrisiko in Deutschland ist inzwischen deutlich gesunken. Nun zu verlangen, dass sich auch alle Nicht-Smartphone-Nutzer, alle Senioren und alle Menschen mit Datenschutzbedenken ein Smartphone kaufen, einen entsprechenden Vertrag abschließen und die App downloaden, um sie dann bei ganz alltäglichen Geschäften vorzuzeigen, erscheint in der heutigen Situation übertrieben. Eine derartige soziale Ausgrenzung von Nichtnutzern der App dürfte wohl nicht angemessen sein.

Welche Grundrechtseinschränkungen erlaubt das Infektionsschutzgesetz?


Das Infektionsschutzgesetz gilt nur für staatliches Handeln und hat in den letzten Monaten immer wieder zur Einschränkung von Grundrechten geführt - etwa zu Kontaktverboten oder Ausgangsbeschränkungen. Es benennt ausdrücklich die Grundrechte, die durch Infektionsschutzmaßnahmen eingeschränkt werden können. Dies betrifft zum Beispiel die Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz). Gleichheitsrechte können jedoch auf dieser Basis nicht eingeschränkt werden.

Nach dem Infektionsschutzgesetz sind zum Beispiel gesetzliche Regelungen möglich, die Restaurant-Inhaber dazu verpflichten, die Anschriften von Gästen zu notieren - zwecks Verfolgung von Infektionsketten. Dies ist jedoch mit dem Vorzeigen der Corona-App nicht ganz zu vergleichen. Ein Notieren der Adresse ermöglicht eine Verfolgung von Infektionsketten. Gibt es dafür ein "milderes Mittel"? Kaum. Die Corona-App selbst ersetzt das Notieren von Adressen nicht, da sie etwa einem Gastwirt keine Identifizierung des Gastes ermöglicht und auch keine sichere Aussage über dessen Gesundheit trifft.

Was gilt für private Unternehmer?


Private Unternehmer wie Restaurantbetreiber, Veranstalter oder Betreiber von Verkehrsmitteln müssen sich zwar nicht unbedingt an das Grundgesetz halten. Im Bereich zivilrechtlicher Verträge gilt allerdings das Antidiskriminierungsgesetz - eigentlich das Allgemeine Gleichbehandlungs-Gesetz (AGG). Schützt dieses Gesetz nun einen App-Nichtnutzer davor, draußen vor der Tür bleiben zu müssen?

Das AGG soll Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern. Die Nichtnutzung von Handy-Apps oder Smartphones ist hier nicht berücksichtigt. Das AGG wird also sehr wahrscheinlich keine Handhabe gegen derartige Schritte bieten.

Nichtstaatliche Unternehmer können sich grundsätzlich selbst aussuchen, mit wem sie Geschäfte machen. Die einzigen Grenzen setzt hier das AGG. Will eine Cafè-Betreiberin also keine Mütter mit Kleinkindern einlassen oder ein Nobelrestaurant keine Menschen im Motorrad-Outfit, so ist dies deren gutes Recht - und das zeigt, dass eine eindeutige gesetzliche Regelung in Sachen Corona-App durchaus wünschenswert wäre, um die von vielen Politikern beschworene Freiwilligkeit der Nutzung tatsächlich zu gewährleisten.

Was gilt für den Datenschutz?


Dem Bundesdatenschutzbeauftragten Professor Ulrich Kelber zufolge ist es nicht zulässig, dass Dritte Einblick in die App fordern. Vor einigen Tagen erklärte er vehement: "Ich kann die Inhaber von Geschäften oder öffentlichen Verkehrsmitteln nur dringend warnen: Versucht es erst gar nicht!" Kelber beaufsichtigt die Umsetzung der Corona-App in datenschutzrechtlicher Hinsicht.

Wie ist diese Aussage nun zu begründen? Hier lohnt es sich, einen Blick in die Datenschutz-Grundverordnung zu werfen. Diese hält eine Menge Vorschriften für die Nutzung personenbezogener Daten bereit. Der Inhalt der App (also Warnung oder keine Warnung) fällt sehr wahrscheinlich unter die personenbezogenen Daten - zumindest dann, wenn die Person für den anderen auf irgendeine Weise identifizierbar ist. Verlangt ein Busfahrer von einem Fahrgast mit Einzelkarte das Vorzeigen der App, kann er diesen jedoch eigentlich nicht identifizieren. Anders kann es aussehen, wenn eine Monatskarte mit Namen und Foto benutzt oder im Laden mit Karte bezahlt wird. Ganz so eindeutig scheint die Situation hier also nicht in jedem Fall unter den Schutz der DSGVO zu fallen.

Zur Sicherheit der Corona-App kann an dieser Stelle nicht viel gesagt werden. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hält sie grundsätzlich für unbedenklich, hat jedoch noch in ein paar Punkten Nachbesserungsbedarf angemeldet.
Kurios ist: Wer vor ein paar Monaten "Bluetooth" gegoogelt hat, fand ernste Warnungen von IT-Fachleuten, nach denen diese Funktion nur eingeschaltet werden sollte, wenn sie wirklich gebraucht wurde. Zu leicht sollten sich Fremde sonst Zugang zum Gerät verschaffen können. Nun ist Bluetooth der Hauptwerkzeug der Corona-App - und soll dauerhaft eingeschaltet sein. Ein Widerspruch? Experten zufolge nicht, da die (Datenschutz-...) Fachleute von Apple und Google die Schnittstellen der Geräte-Betriebssysteme entsprechend modifiziert haben. Da soll es dann Updates geben. Das stellt sicher keine große Beruhigung für die Menschen dar, die besagte Unternehmen selbst eher von ihren Daten fernhalten möchten.

Wie geht es weiter?


Es ist unwahrscheinlich, dass die Corona-App zur gesetzlichen Pflicht wird. Macht der Staat den Zugang zu Leistungen oder Örtlichkeiten vom Vorzeigen der App abhängig, ist dies im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz angreifbar. Die derzeitige Corona-App konnte nur gegen massive Bedenken verschiedenster Stellen umgesetzt werden. Eine gesetzliche "Vorzeigepflicht" wäre politisch kaum durchzusetzen. Im privatwirtschaftlichen Bereich kann dies anders aussehen - hier drohen allerdings unter Umständen hohe Bußgelder der Datenschutzbehörden.

Praxistipp


Wer sich gegen eine Ungleichbehandlung durch staatliche Stellen zur Wehr setzen will, sollte sich an einen Fachanwalt für Verwaltungsrecht wenden. Gegenüber Unternehmen ist ein Rechtsanwalt für Zivilrecht der richtige Ansprechpartner.

(Bu)


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 Stephan Buch
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