Wer auffährt, ist immer schuld. Stimmt das?

25.07.2023, Autor: Herr Daniel Tabaka / Lesedauer ca. 3 Min. (47 mal gelesen)
In den meisten Fällen ist der Auffahrende tatsächlich schuld an einem Auffahrunfall (weshalb zunächst der sog. Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden spricht). Im Einzelfall kann jedoch ein atypischer Geschehensablauf vorliegen (bspw. grundlose Vollbremsung oder riskanter Spurwechsel des Vorausfahrenden), der bei entsprechender Beweisbarkeit dazu führt, dass dem Auffahrenden gerade kein Verschulden vorgeworfen werden kann und damit eigene Schadensersatzansprüche des Auffahrenden gegen den Vorausfahrenden in Betracht kommen und geltend gemacht werden können.

Bei einem Auffahrunfall kollidiert ein fahrendes Fahrzeug mit einem vor ihm fahrenden oder stehenden Fahrzeug. In der Regel kollidiert die Front des auffahrenden Fahrzeuges mit dem Heck des vor ihm befindlichen (stehenden oder fahrenden) Fahrzeuges.

In diesem Fall gilt der sog. Anscheinsbeweis (auch Beweis des ersten Anscheins genannt) dahingehend, dass derjenige, der aufgefahren ist, auch schuld an den Auffahrunfall ist. Es wird also zunächst vermutet, dass der Fahrer des auffahrenden Fahrzeuges

a) zu schnell gewesen ist und deshalb nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte,

b) zu geringen Sicherheitsabstand zu dem vor ihm befindlichen Fahrzeug eingehalten hat oder

c) schlicht zu unaufmerksam war (und bspw. nicht merkte, dass das vor ihm befindliche Fahrzeug anhält bzw. langsamer wird).

Dieser Vermutung liegt die auf Erfahrungssätzen beruhende Annahme zugrunde, dass bei einem Auffahrunfall in aller Regel (Anmerkung: Aber eben nicht immer!) der Auffahrende durch ein sorgfaltswidriges Verhalten seinerseits den Auffahrunfall auch allein schuldhaft verursacht hat (typischer Geschehensablauf bei Auffahrunfällen).

Diese dem sog. Anscheinsbeweis zugrundeliegende Vermutung kann allerdings erschüttert werden, d.h. der Auffahrende, gegen den der Anscheinsbeweis zunächst spricht und dem dadurch zunächst ein Verschulden unterstellt wird, kann durchaus Tatsachen für einen atypischen Geschehensablauf darlegen und beweisen, mithin Umstände vortragen,

a) die gerade dagegensprechen, dass er sich als Auffahrender sorgfaltswidrig und damit schuldhaft verhalten habe, und

b) die gerade dafürsprechen, dass sich vielmehr der Vorausfahrende sorgfaltswidrig verhalten und den Auffahrunfall damit allein schuldhaft verursacht hat.

Beispielsweise kann der Auffahrende vortragen und ggfs. unter Beweis stellen (bspw. durch einen Beifahrer als Zeugen), dass der Vorausfahrende grundlos und ohne Not eine Vollbremsung vorgenommen hat, während der Auffahrende trotz aufmerksamer und ordnungsgemäßer Fahrweise (Einhaltung des Sicherheitsabstandes usw.) aufgrund des plötzlich stoppenden Fahrzeuges den Auffahrunfall nicht mehr vermeiden/abwenden konnte.

Auch ein kurz vor dem Auffahrunfall von dem Vorausfahrenden vorgenommener Wechsel in die Fahrspur des Auffahrenden und vor dessen Fahrzeug (bspw. auf mehrspurigen Landstraßen oder Autobahnen) kann dazu führen, dass der Anscheinsbeweis zu Lasten des Auffahrenden gar nicht erst zur Anwendung kommt, zumindest aber erschüttert werden kann (weil der die Fahrspur wechselnde Vorausfahrende bei seinem Spurwechsel bspw. nicht darauf geachtet hat, für einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu den Fahrzeugen zu sorgen, die in der anderen Spur - möglicherweise mit höherer Geschwindigkeit - angefahren kommen).

Kann der Auffahrende den gegen ihn zunächst sprechenden Anscheinsbeweis („wer auffährt, ist auch schuld“) erschüttern bzw. kommt der Anscheinsbeweis gar nicht erst zur Anwendung, gilt die im Zivilprozessrecht allgemein geltende Beweislastverteilung, d.h. der Vorausfahrende muss beweisen, dass der Auffahrende auch tatsächlich schuld an den Unfall ist. Genauso muss der Auffahrende den atypischen Geschehensablauf (bspw. grundlose Vollbremsung des Vorausfahrenden, riskanter Spurwechsel usw.) beweisen, will er den bei ihm durch den Auffahrunfall verursachten Unfallschaden von dem Vorausfahrenden ersetzt bekommen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach der Lebenserfahrung in den meisten Fällen der Auffahrende auch tatsächlich schuld an dem Auffahrunfall ist (weshalb zunächst der sog. Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden spricht), im Einzelfall jedoch ein atypischer Geschehensablauf vorliegen kann (bspw. grundlose Vollbremsung oder riskanter Spurwechsel des Vorausfahrenden), der bei entsprechender Beweisbarkeit dazu führt, dass dem Auffahrenden gerade kein Verschulden vorgeworfen werden kann und damit eigene Schadensersatzansprüche des Auffahrenden gegen den Vorausfahrenden in Betracht kommen und geltend gemacht werden können.



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