Das sog. Quotenvorrecht in der verkehrsrechtlichen Schadensregulierung – Was ist das?

23.08.2023, Autor: Herr Daniel Tabaka / Lesedauer ca. 5 Min. (415 mal gelesen)
Im besten Fall erhält der Geschädigte nach einem Verkehrsunfall sämtliche Schadenspositionen (bspw. Reparaturkosten, Wertminderung, Sachverständigenkosten, Nutzungsausfallentschädigung oder Mietwagen, Auslagenpauschale) zu 100% von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners ersetzt, weil die Haftungslage eindeutig und der Unfallgegner sowie dessen Versicherung zu 100% einstandspflichtig und  leistungsbereit sind.

Kommt allerdings eine Teilschuld des Unfallgeschädigten in Betracht oder behauptet die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners zumindest eine Mitverursachung des Unfalls, werden die Schadenspositionen des Unfallgeschädigten lediglich auf Grundlage einer (behaupteten) Haftungsquote ausgeglichen.

Beispiel für eine Haftung nach Quote: 

Die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung behauptet eine Mitschuld des Geschädigten an dem Verkehrsunfall zu 50%. In diesem Fall erhält der Unfallgeschädigte lediglich 50%, d.h. die Hälfte von den geltend gemachten Schadenspositionen. Auf den anderen 50% bleibt er sitzen, was eine nicht unerhebliche Vermögenseinbuße für ihn darstellen kann (bspw. werden ihm von 10.000,- € Reparaturkosten dann nur 5.000,- € von der gegnerischen Versicherung erstattet).


Über diesen ärgerlichen Umstand kann die zusätzliche Inanspruchnahme der eigenen Vollkaskoversicherung und die Anwendung des sog. Quotenvorrechts hinweghelfen:

Über dieses beabsichtigte Vorgehen sollte die eigene Vollkaskoversicherung (nachfolgend "Kaskoversicherung") und die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung so früh wie möglich, d.h. umgehend und gleich zu Beginn der zivilrechtlichen Schadensabwicklung in Kenntnis gesetzt werden.

Inanspruchnahme der eigenen Vollkaskoversicherung für den Schaden am Fahrzeug:

Zunächst einmal gilt, dass die eigene Kaskoversicherung – soweit eine solche abgeschlossen wurde und besteht – im Schadensfall regelmäßig nur den eigentlichen Schaden am Fahrzeug selbst ersetzt (vor allem Reparaturkosten bzw. bei Totalschaden den Wiederbeschaffungsaufwand). Zusätzliche Schadenspositionen wie Wertminderung, Sachverständigenkosten, Nutzungsausfallentschädigung/Mietwagenkosten und unfallbedingte Auslagenpauschale, die regelmäßig von der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung übernommen werden, gleicht die eigene Kaskoversicherung in aller Regel nicht aus.

Inanspruchnahme der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung um Übrigen:

Der Geschädigte kann folglich im Nachgang zum Verkehrsunfall seine eigene Kaskoversicherung in Anspruch nehmen, um seinen Schaden am Fahrzeug zu beseitigen (insb. durch eine sach- und fachgerechte Reparatur auf Kosten der eigenen Kaskoversicherung). Hierdurch wird zwar die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung zunächst entlastet, weil diese im obigen Beispiel entsprechend der (behaupteten) Haftungsquote immerhin 50% dieser Kosten tragen müsste.

Allerdings kann der Geschädigte dann alle weiteren Positionen, die nicht von der eigenen Kaskoversicherung übernommen werden und die den unmittelbaren Fahrzeugschaden betreffen (sog. "Positionen, die das Blech berührt haben“), gegenüber der Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners geltend machen, und zwar mit der Besonderheit, dass diese dann nicht nur anteilig entsprechend der (behaupteten) Haftungsquote (bspw. in Höhe von 50%) ausgeglichen werden, sondern in vollem Umfang, d.h. zu 100% ausgeglichen werden müssen. Hierunter fallen folgende Positionen („die das Blech berührt haben“):
  • Selbstbeteiligung, die durch die Inanspruchnahme der eigenen Kaskoversicherung angefallen ist (bspw. bei Durchführung einer sach- und fachgerechten Reparatur)
  • Unfallbedingte Wertminderung des Fahrzeuges
  • Kosten für die Einholung eines Schadengutachtens (Sachverständigenkosten)
  • Abschleppkosten
Hingegen muss die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung folgende Schadenspositionen nur anteilig entsprechend der (behaupteten) Haftungsquote regulieren ("Positionen, die das Blech nicht berührt haben"):
  • Nutzungsausfallentschädigung bzw. Kosten für die Inanspruchnahme eines Mietwagens
  • Unfallbedingte Auslagenpauschale (Unkostenpauschale)
  • Höherstufungs- bzw. Rückstufungsschaden in der eigenen Kaskoversicherung (Anmerkung: Durch die Inanspruchnahme der eigenen Kfz-Haftpflichtversicherung steigen künftig die Versicherungsbeiträge, weil man in der Schadensfreiheitsklasse höher- bzw. rückgestuft wird)
  • Schmerzensgeld

Einschränkung beim Quotenvorrecht:

Bei dieser Regulierungsmethode (kombinierte Inanspruchnahme der eigenen Kaskoversicherung und der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung unter Anwendung des sog. Quotenvorrechts) ist allerdings zu beachten, dass die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung dadurch, d.h. mit dem von ihr an den Unfallgeschädigten zu regulierenden Gesamtbetrag, nicht schlechter gestellt werden darf, als sie stünde, wenn sie den Schaden von vornherein entsprechend ihrer Haftungsquote (einschließlich der anteiligen Übernahme von Kosten zur Beseitigung des Fahrzeugschadens) reguliert hätte. Sie muss bei einer solch kombinierten Schadensabwicklung also maximal so viel zahlen, wie sie hätte zahlen müssen, wenn sie den Schaden von vornherein entsprechend ihrer Haftungsquote (einschließlich der anteiligen Übernahme von Kosten zur Beseitigung des Fahrzeugschadens) reguliert hätte.

Beispiel für die kombinierte Inanspruchnahme und das Quotenvorrecht:

Es kommt zum Verkehrsunfall, bei dem der Unfallgeschädigte folgende Schäden erleidet:
  • Reparaturkosten: 5.000,- €
  • Wertminderung: 750,- €
  • Sachverständigenkosten: 800,-€
  • Abschleppkosten: 500,- €
  • Nutzungsausfallentschädigung: 500,- € (10 Tage zu kalendertäglich 50,- €)
  • Auslagenpauschale: 25,- €
Gesamt: 7.575,- €

Die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung behauptet nun (möglicherweise zu Recht) eine Teilschuld des Unfallgeschädigten an dem Unfall zu 50% und damit eine Haftungsquote zu 50%. Sie ist demnach bereit, die vorstehend genannten Schadenspositionen jeweils zu Hälfte, mithin in einer Gesamthöhe von 3.787,50 € (7.575,- € - davon 50%), auszugleichen.

Der Unfallgeschädigte bleibt damit also auf einem Schaden in Höhe von 3.787,50 € sitzen (was der auf ihn entfallenden Haftungsquote von 50% entspricht).

Hingegen gestaltet sich die kombinierte Inanspruchnahme der eigenen Kaskoversicherung und der gegnerischen Haftpflichtversicherung unter Anwendung des sog. Quotenvorrechts in diesem Beispiel dann wie folgt:

Der Unfallgeschädigte nimmt in Bezug auf die Reparaturkosten, d.h. in Hinblick auf die Beseitigung seines unmittelbaren Fahrzeugschadens zunächst seine eigene Kaskoversicherung in Anspruch, für die eine versicherungsvertragliche Selbstbeteiligung im Schadensfall von 500,- € besteht. Die eigene Kaskoversicherung zahlt demnach auf die angefallenen Reparaturkosten von 5.000,- € einen Betrag von 4.500,- €, während für den Geschädigten die Selbstbeteiligung von 500,- € fällig wird.

Von der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung fordert der Unfallgeschädigte nun anschließend  eine 100%-ige Übernahme derjenigen Schadenspositionen, die nicht von der eigenen Kaskoversicherung übernommen werden und die den unmittelbaren Fahrzeugschaden betreffen ("Positionen, die das Blech berührt haben“), namentlich
  • Wertminderung: 750,- €
  • Sachverständigenkosten: 800,-€
  • Abschleppkosten: 500,- €
  • Selbstbeteiligung aufgrund Inanspruchnahme der eigenen Kaskoversicherung: 500,- €
Gesamt: 2.550,- €

Die übrigen Schadenspositionen, die nicht von der eigenen Kaskoversicherung übernommen werden und nicht zu 100% von der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung übernommen werden müssen, können zumindest entsprechend der Haftungsquote von 50% von der gegnerischen Versicherung gefordert werden, namentlich
  • Nutzungsausfallentschädigung: 250,- € (50% von 500,- €)
  • Auslagenpauschale: 12,50 € (50% von 25,- €)
  • Höherstufungs- bzw. Rückstufungsschaden in der eigenen Kaskoversicherung (kann meist noch nicht beziffert werden, sodass die gegnerische Versicherung diesbezüglich ihre anteilige Einstandspflicht zu 50% zu erklären hat = Schuldanerkenntnis)
Im Ergebnis steht der Unfallgeschädigte durch diese kombinierte Schadensregulierung unter Anwendung des sog. Quotenvorrechts besser als bei einer reinen 50%-Schadensregulierung durch die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung, bei der er auf einem Schaden von 3.787,50 € sitzen geblieben wäre. Durch die kombinierte Inanspruchnahme der eigenen Kaskoversicherung und der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung
  • sind die Reparaturkosten immerhin in Höhe von 4.500,- € von der eigenen Kaskoversicherung übernommen worden,
  • ist die Selbstbeteiligung in Höhe von 500,- € durch Inanspruchnahme der eigenen Kaskoversicherung von der gegnerischen Versicherung zu 100% ausgeglichen worden,
  • sind die Wertminderung, Sachverständigenkosten und Abschleppkosten von der gegnerischen Versicherung zu 100% ausgeglichen worden,
  • ist eine Nutzungsausfallentschädigung zumindest zu 50% gezahlt worden (was auch bei einer reinen Inanspruchnahme der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung der Fall gewesen wäre),
  • ist die Auslagenpauschale zumindest zu 50% gezahlt worden (was auch bei einer reinen Inanspruchnahme der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung der Fall gewesen wäre),
  • wird der Höher- bzw. Rückstufungsschaden in der eigenen Kaskoversicherung zumindest zu 50% von der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung ausgeglichen.
Der Schaden, auf dem der Unfallgeschädigte also sitzen bleibt, ist deutlich niedriger.

Vorliegend wird die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung durch eine solch kombinierte Schadensabwicklung auch nicht schlechter gestellt, als wenn sie einfach alles nach Quote, mithin in Höhe von 50% (= 3.787,50 €) gezahlt hätte. Im Ergebnis zahlt die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung lediglich 2.550,- € auf die Positionen, die sie zu 100% ausgleichen muss, sowie Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 250,- € (50% von 500,- €) und eine Auslagenpauschale von 12,50 € (50% von 25,- €). Hinzu kommt dann noch eine 50%-ige Beteiligung an dem Höher- bzw. Rückstufungsschaden in der eigenen Kaskoversicherung, was jedoch auch nicht dazu führt, dass der Regulierungsbetrag insgesamt einen Betrag von 3.787,50 € übersteigt.

Etwaige Kosten für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes zur Schadensabwicklung gehören übrigens auch zu denjenigen Positionen, die die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung bei kombinierter Schadensabwicklung anteilig, d.h. nach der (behaupteten) Haftungsquote, ausgleichen muss (nicht zu 100%). 

Sie hatten einen Verkehrsunfall, bei dem eine Teilschuld Ihrerseits in Betracht kommt oder bei dem zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung eine Teilschuld konstruieren könnte? Wir prüfen die Haftungsfrage eingehend unter allen relevanten Gesichtspunkten und finden den optimalen Weg, dass Ihr Schaden vollständig reguliert oder zumindest so klein wie möglich gehalten wird  – https://www.meinunfallpartner.de/


Autor dieses Rechtstipps

Rechtsanwalt
Daniel Tabaka

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