Markengebundene oder freie Werkstatt? Verweis auf günstigere Werkstatt bei konkreter und fiktiver Abrechnung zulässig?

13.12.2023, Autor: Herr Daniel Tabaka / Lesedauer ca. 6 Min. (198 mal gelesen)
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage, ob und ggfs. wann Kfz-Haftpflichtversicherungen - je nach Wahl der Abrechnung des Unfallschadens (konkrete oder fiktive Abrechnung) - auf eine günstigere, freie Werkstatt verweisen dürfen und wann in jedem Fall Reparaturkosten zu erstatten sind, die in einer markengebundenen Werkstatt anfallen/anfallen würden.

I. Konkrete und fiktive Abrechnung im Überblick

Im Falle eines reparaturwürdigen Fahrzeugschadens kann der Geschädigte zwischen der konkreten und fiktiven Schadensabrechnung wählen. Genauer gesagt bedeutet

a) die konkrete Abrechnung die Durchführung der Reparatur in einer Werkstatt auf Rechnung und Erstattung der angefallenen und abgerechneten Reparaturkosten inkl. Mehrwertsteuer durch die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung,

b) die fiktive Abrechnung die Erstattung der Netto-Reparaturkosten (ohne MwSt.) durch die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung auf Grundlage eines Haftpflichtschaden-Gutachtens oder Kostenvoranschlages, ohne dass es auf eine tatsächliche Reparatur des Fahrzeuges und tatsächlich angefallene Reparaturkosten ankommt.


II. Durchführung der Reparatur mit Reparaturrechnung (konkrete Abrechnung)

Entscheidet sich der Geschädigte nach dem Verkehrsunfall für eine konkrete Abrechnung und möchte sein beschädigtes Fahrzeug in einer Werkstatt reparieren lassen, stellt sich bereits die Frage, ob er für eine Reparatur eine Markenwerkstatt (also eine Werkstatt seiner Fahrzeugmarke) aufsuchen darf oder aber auf eine oftmals günstigere, freie Werkstatt (nicht markengebunden und für sämtliche Fahrzeugmarken und Modelle) zurückgreifen muss, welche die Reparatur genauso wie eine Markenwerkstatt, jedoch zu günstigeren Konditionen durchführen kann:

Bei Fahrzeugen 

a) nicht älter als drei Jahre oder 

b) älter als drei Jahre, aber bis zum Unfallzeitpunkt durchgängig in der Markenwerkstatt gepflegt (scheckheftgepflegt), gewartet und/oder ggfs. repariert, 

besteht in jedem Fall ein Anspruch auf Reparaturdurchführung in einer markengebundenen Werkstatt. Verweise auf eine günstigere, freie Werkstatt sind klar unzulässig.

Zudem gilt unabhängig von Alter, Laufleistung, Zustand (bspw. scheckheftgepflegt/nicht scheckheftgepflegt) – zumindest bisher –, dass in jedem Fall ein Anspruch auf eine Reparaturdurchführung in einer markengebundenen Werkstatt besteht, soweit auf Grundlage des Schadengutachtens bzw. Kostenvoranschlages der Reparaturauftrag bereits erteilt wird, bevor die gegnerische Kfz-Versicherung – ggfs. unter Verweis auf Fahrzeugalter, Laufleistung, bisherige Wartung und Pflege usw. – auf eine möglicherweise günstigere, freie Werkstatt verweist. Ein Verweis auf eine günstigere, freie Werkstatt, der erst nach Erteilung des Reparaturauftrages erfolgt, ist unzulässig. Ob sich dies irgendwann einmal – aufgrund des vielfach, nicht zuletzt auch vom Bundesgerichtshof (BGH) behaupteten Gleichlaufs von konkreter und fiktiver Abrechnung (zur fiktiven Abrechnung sogleich) – ändern wird, bleibt abzuwarten.

Jedenfalls kann sich ein Anspruch auf Durchführung der Reparatur in einer Markenwerkstatt dann schwieriger gestalten, wenn der Reparaturauftrag in der Markenwerkstatt noch nicht erteilt ist, die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung jedoch schnell gearbeitet und umgehend – bspw. unter Verweis auf Fahrzeugalter etc. – auf eine günstigere, freie Werkstatt verwiesen hat. Insoweit stellt sich durchaus die Frage, ob der Unfallgeschädigte in diesem Fall aufgrund seiner sog. Schadensminderungspflicht (er darf den Schaden nicht ohne Not größer werden und ausufern lassen) von der Erteilung eines Reparaturauftrages in der Markenwerkstatt absehen und von vornherein die günstigere, freie Werkstatt aufsuchen muss. So urteilte bspw. bereits das AG Coburg mit Urteil vom 09.09.2021, Az. 12 C 1956/21, wie folgt:

„Gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes erforderlichen Reparaturkosten. Erforderlich in diesem Sinne sind die Kosten, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Person des Geschädigten für erforderlich halten darf.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der überwiegenden Rechtsmeinung sind das grundsätzlich die in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten […]. Der Geschädigte ist dabei unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten, im Rahmen des Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann.

Vorliegend übersandte die Klägerin zunächst der Beklagten das Sachverständigengutachten des Sachverständigenbüros F…… . Die Beklagte hat dieses Gutachten durch die DEKRA prüfen lassen. Der entsprechende Prüfbericht ging der Klägerin unstreitig vor Erteilung des Reparaturauftrages zu. Ausweislich des DEKRA-Prüfberichtes wurde ein Referenzbetrieb angegeben. Insbesondere wurden dem Prüfbericht die dort maßgeblichen Endverbraucherpreise zu Grunde gelegt […].

Wenn nun die Klägerin sich dafür entscheidet, die Reparatur in einer anderen Werkstatt durchzuführen, die deutlich höhere Preise ansetzt, insbesondere auch Verbringungskosten berechnet, so liegt ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor. Die Durchführung der Reparatur in dieser Referenzwerkstatt war grundsätzlich auch zumutbar, da die Entfernung zur Klägerin 20,6 km beträgt. Ein schutzwürdiges Interesse der Klägerin, die Reparatur in der deutlich teureren Werkstatt durchführen zu lassen, ist daher nicht gegeben.

Grundsätzlich sind die Ausführungen der Klägerin insoweit zutreffend, dass der Geschädigte die freie Wahl des Reparaturbetriebes hat. Der Geschädigte ist aber auch gehalten, die Reparatur günstig durchführen zu lassen. In diesem konkreten Einzelfall war zu berücksichtigen, dass die Klägerin vor Beauftragung der Werkstatt von der Beklagten wirksam auf eine andere Reparaturwerkstatt verwiesen wurde und damit positive Kenntnis von den deutlich günstigeren Preisen der anderen Werkstatt gehabt hat. Von daher liegt ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor.

Es ist also in jedem Fall Vorsicht geboten, wenn zumindest bei einem älteren, nicht durchgängig in einer Markenwerkstatt gepflegten und gewarteten Fahrzeug, bei welchem dem Grunde nach durchaus eine Verweisung auf eine günstigere, freie Werkstatt in Betracht käme, bereits vor Erteilung eines Reparaturauftrages eine Verweisung auf einen günstigeren Werkstattbetrieb durch die gegnerische Versicherung erfolgt ist und der Geschädigte dann dennoch, d.h. bei positiver Kenntnis von einer günstigeren Reparaturmöglichkeit in Erwägung zieht, sein Fahrzeug in einer markengebundenen Werkstatt reparieren zu lassen.

Tipp: 

Bei Fahrzeugen, die älter als drei Jahre und nicht mehr scheckheftgepflegt sind bzw. nicht durchgängig in einer Markenwerkstatt gewartet und/oder ggfs. repariert wurden, sollte, sofern eine Reparatur in einer Markenwerkstatt beabsichtigt und gegenüber einer freien Werkstatt bevorzugt wird, der Reparaturauftrag für die Markenwertstatt schnellstmöglich und am besten direkt nach Übermittlung des Schadensgutachtens/Kostenvoranschlages und vor bzw. bereits im Zuge der ersten Kontaktaufnahme mit der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung erfolgen. Damit ist dann der Reparaturauftrag in der Markenwerkstatt in jedem Fall  vor einer etwaigen Verweisung auf eine freie Werkstatt bereits erteilt, sodass ein Verweis auf eine freie Werkstatt unzulässig bzw. unbeachtlich ist und die gegnerische Versicherung in jedem Fall die möglicherweise teureren Reparaturkosten der Markenwerkstatt übernehmen.

Achtung: 

Selbst wenn tatsächlich eine Verweisung auf eine günstigere, freie Werkstatt in Betracht käme, sollten die Angaben zu den Preisen der Verweisungswerkstatt dennoch eingehend auf den Prüfstand gestellt werden: Ein Verweis auf die günstigeren Stundenverrechnungssätze der Verweisungswerkstatt ist nur dann zulässig, wenn es sich um die allgemeinen, d.h. allen Werkstattkunden zugängliche und damit gegenüber sämtlichen Kunden der Verweisungswerkstatt abgerechnete Aushanglöhne handelt, es sich dabei also um ihre eigenen marktüblichen Konditionen und nicht nur um Sonderkonditionen (bspw. auf Grundlage einer gesonderten Vereinbarung zwischen Verweisungswerkstatt und der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung) handelt.

Auch sollte immer überprüft werden, ob die Verweisungswerkstatt in einer zumutbaren Entfernung zum Wohnsitz des Unfallgeschädigten liegt. Von einer mühelosen Erreichbarkeit der Verweisungswerkstatt kann man grundsätzlich bei einer Entfernung von bis zu 20 Kilometern (+-) vom Wohnsitz des Unfallgeschädigten ausgehen, wobei selbst in dem Fall, dass sich die Verweisungswerkstatt innerhalb eines Radius von circa 20 Kilometern befindet, der Verweis gegebenenfalls dennoch unzulässig sein kann, wenn sich die markengebundene Werkstatt deutlich näher zum Wohnort des Unfallgeschädigten befindet und/oder die Fahrzeit (mit öffentlichen Verkehrsmitteln) und/oder der Transportaufwand für den Geschädigten unzumutbar sind.  

Weiter sollte immer auch die Vergleichbarkeit von Verweisungswerkstatt und Markenwerkstatt in qualitativer und technischer Hinsicht hinterfragt werden. Die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung sollte nachvollziehbar und nicht nur pauschal die tatsächliche Möglichkeit darlegen können, dass die Verweisungswerkstatt in der Lage ist, die erforderliche Reparatur genauso, d.h. mit demselben Qualitätsstandard, durchzuführen  wie eine markengebundene Werkstatt. Im Übrigen ist immer Vorsicht geboten, wenn der Verweis auf eine Alternativwerkstatt lediglich im Rahmen eines äußerst allgemein gehaltenen Prüfberichtes der gegnerischen Versicherung erfolgt und kein konkretes Reparaturangebot dieser Werkstatt vorgelegt wird, das hinsichtlich der technischen bzw. qualitativen Gleichwertigkeit der Reparatur einer eingehenden Überprüfung unterzogen werden kann.


III. Abrechnung auf Basis des Schadengutachtens/Kostenvoranschlages (fiktive Abrechnung)

Entscheidet sich der Unfallgeschädigte dazu, das Fahrzeug nicht reparieren zu lassen und lediglich die Netto-Reparaturkosten auf Grundlage eines Schadensgutachtens/Kostenvoranschlages einzufordern (Anmerkung: Die Brutto-Reparaturkosten, d.h. Reparaturkosten inkl. gesetzlicher MwSt., erhält der Unfallgeschädigte nur im Rahmen der konkreten Abrechnung auf Grundlage einer ordentlichen Reparaturrechnung), ist eine Kürzung der Reparaturkosten mit Verweis auf eine günstigere, freie Werkstatt dann unzulässig, wenn

a) das Fahrzeug nicht älter als drei Jahre ist, oder

b) das Fahrzeug zwar älter als drei Jahre ist, aber bis dato durchgängig in der Markenwerkstatt gepflegt (scheckheftgepflegt), gewartet und/oder ggfs. repariert wurde.

In diesen Fällen kann der Unfallgeschädigte also auch im Rahmen der fiktiven Abrechnung die Netto-Reparaturkosten beanspruchen, die bei einer Reparatur in einer Markenwerkstatt anfallen würden.

Bei Fahrzeugen, die älter als drei Jahre sind und nicht durchgängig in der Markenwerkstatt gepflegt, gewartet und ggfs. repariert wurden, darf die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung durchaus einen Verweis auf eine günstigere, freie Werkstatt vornehmen und die Netto-Reparaturkosten entsprechend kürzen, soweit die geltend gemachten Reparaturkosten auf Grundlage einer angenommenen Reparatur in einer Markenwerkstatt berechnet wurden. Auch hier gilt allerdings wieder zu beachten (siehe oben), dass

a) es sich bei den Stundenverrechnungssätzen der Verweisungswerkstatt auch tatsächlich um Aushanglöhne/-preise, d.h. um allgemeingültige Konditionen handelt, und nicht nur um Sonderkonditionen (bspw. einzig aufgrund einer gesonderten Vereinbarung mit der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung),

b) der Verweis auf die günstigere, freie Werkstatt im Vergleich zu einer markengebundenen Werkstatt auch von Entfernung und ggfs. Fahrtzeit (mit öffentlichen Verkehrsmitteln) sowie Transportaufwand für den Unfallgeschädigten zumutbar ist,

c) die Verweisungswerkstatt auch eine technisch und qualitativ gleichwertige Reparatur im Vergleich zu einer Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt durchführen kann, was nicht ohne Weiteres überprüfbar ist, wenn der Verweis auf die günstigere, freie Werkstatt lediglich im Rahmen eines allgemein gehaltenen Prüfberichtes und ohne Vorlage eines konkreten Reparaturangebotes der Verweisungswerkstatt erfolgt.

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Autor dieses Rechtstipps

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