BGH, Urt. 12.5.2022 - I ZR 203/20

Keine Irreführung durch Konsumentenbefragung

Autor: RA Dr. Geert Johann Seelig, Fachanwalt für gewerblichen RechtsschutzLuther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 08/2022
Eine geschäftliche Handlung, die eine i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 2 Fall 1 UWG a.F. unwahre Angabe enthält, kann unabhängig davon irreführend sein, ob diese Angabe einen der in § 5 Abs. 1 S. 2 Fall 2 UWG a.F. aufgeführten Umstände betrifft. Die fehlende Unabhängigkeit oder Neutralität des Veranstalters einer Konsumentenbefragung kann nicht allein daraus gefolgert werden, dass der Veranstalter den zu bewertenden Unternehmen Werbematerialien zur Verfügung stellt, mithilfe derer Verbraucher zur Abgabe einer Bewertung aufgefordert werden können.Zweifel an der Objektivität einer Verbraucherbefragung können sich allerdings dann ergeben, wenn die Werbematerialien geeignet sind, die von den Kunden abzugebende qualitative Bewertung der Unternehmen oder das Abstimmungsergebnis zu beeinflussen.

UWG § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 a.F.

Das Problem

Die Beklagte – eine in den Niederlanden ansässige Versandapotheke – ist darauf spezialisiert, Arzneimittel nach Deutschland zu liefern. Im Jahr 2019 warb sie mit folgendem Slogan:

Um den Titel „Webshop Award Germany“ (rechter Bildrand) zu führen, bedarf es einer Nominierung des Unternehmens; dafür benötigt das Unternehmen mindestens 380 Befragungen. Dabei stellte der Veranstalter dieser Befragungen den Unternehmen Werbematerial gegen Entgelt zur Verfügung. Mit diesem Material konnten die Unternehmen ihre Kunden zur Teilnahme an den Befragungen aufrufen.

Die Klägerin – die Berufsvertretung der Apotheker im Bezirk Nordrhein – sah darin eine unwahre Tatsachenbehauptung und damit eine irreführende geschäftliche Handlung, da die Verbraucherbefragung aufgrund der entgeltlichen Bewerbung weder objektiv noch neutral sei. Der Klage auf Unterlassung gab das Landgericht Stuttgart statt; die Berufung blieb im Wesentlichen ohne Erfolg. Der Durchschnittsverbraucher erwarte bei der Werbung mit einem Testergebnis, dass der Test objektiv, neutral, sachkundig und repräsentativ durchgeführt worden sei. Hier fehle es an der gebotenen Neutralität, da der Testveranstalter nicht unabhängig sei. Diese Unabhängigkeit gebe der Testveranstalter auf, indem er kostenpflichtige Werbepakete anbiete.

Gegen die Entscheidung des OLG Stuttgart richtet sich die Revision der Beklagten.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Revision hat Erfolg; der Senat entscheidet in der Sache selbst.

Offener Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Fall 1 UWG aF:

Auf Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts sei keine irreführende geschäftliche Handlung in Sinne des § 5 Abs. 1 UWG a.F. anzunehmen.

Nach § 5 Abs. 1 UWG a.F. handele unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Diese geschäftliche Handlung sei irreführend, wenn sie unwahre Angaben (§ 5 Abs. 1 S. 2 Fall 1 UWG a.F.) oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Ergebnisse oder wesentliche Bestandteile von Tests der Waren oder Dienstleistungen enthalte (§ 5 Abs. 1 S. 2 Fall 2 Nr. 1 UWG a.F.). Es komme vorliegend nicht darauf an, ob die Herausstellung der „Webshop Awards Germany“ eine Angabe über die Ergebnisse eines Tests i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 2 Fall 2 Nr. 1 UWG a.F. darstelle. Jedenfalls komme auch der Unlauterkeitstatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Fall 1 UWG a.F. in Betracht. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung könne eine geschäftliche Handlung, die eine i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 2 Fall 1 UWG a.F. unwahre Angabe enthalte, irreführend sein, unabhängig davon, ob diese Angabe einen der in § 5 Abs. 1 S. 2 Fall 2 UWG a.F. aufgeführten Umstände betreffe. Denn Fall 1 sei ein völlig offener Tatbestand. Außerdem seien die beiden Fälle durch das Wort „oder“ getrennt, so dass sich die in § 5 Abs. 1 UWG a.F. vorhandene Aufzählung lediglich auf Fall 2 beziehe.

Keine ausreichenden Feststellungen zu einer fehlenden Objektivität:

Nach ständiger Rechtsprechung liege eine Irreführung in Sinne des § 5 Abs. 1 UWG a.F. vor, wenn das Verständnis, das eine Angabe bei den relevanten Verkehrskreisen erwecke, nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimme. Das Berufungsgericht habe sich hier bereits nicht vertieft mit der Frage auseinandergesetzt, welches Verständnis die beanstandete Werbung bei den damit angesprochenen Verkehrskreisen erwecke. Zudem habe das Berufungsgericht keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass es an der Unabhängigkeit des Testveranstalters fehle. Zwar sei dem Oberlandesgericht zuzustimmen, dass sich Zweifel an der Objektivität eines Tests oder einer Kundenbefragung dann ergeben könnten, wenn auf das Abstimmungsverhalten der Befragten oder auf das Abstimmungsergebnis selbst Einfluss genommen werden solle. Jedoch sei vorliegend weder ersichtlich, dass allein die zur Verfügung gestellten Werbematerialien das Abstimmungsverhalten bzw. -ergebnis beeinflussten, noch habe das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen getroffen. Die Feststellung, der Veranstalter der Befragung helfe den Unternehmen mittels entgeltlicher Werbemöglichkeiten, die Kunden zur Teilnahme an der Befragung zu motivieren, reiche vorliegend nicht aus.

Fehlende Unabhängigkeit/Neutralität nicht festgestellt:

Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts sei der Verkauf von Werbematerialien mittelbar ein Anreiz für den Veranstalter der Befragung, die zahlungswilligen Unternehmen zu bevorzugen.

Laut BGH seien für eine solche Annahme jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich. Vor allem die Folgerung, ein Anreiz zur Bevorzugung ergebe sich daraus, dass Unternehmen selbstverständlich davon ausgingen, ihre Chancen durch den Kauf der Werbematerialien zu verbessern, werde von den tatsächlichen Feststellungen nicht getragen. Es sei bereits unklar, welche „Chancen“ – etwa eine Nominierung oder eine bessere Bewertung – das Berufungsgericht im Blick habe. Auch ein vom Berufungsgericht hergestellter Zusammenhang zwischen dem Anreiz des Testveranstalters und den Erwartungen der Unternehmen, ihre Chancen zu verbessern, erschließe sich nicht.


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