BGH, Urt. 12.6.2018 - VI ZR 284/17

Entfallen des Schutzes der Privatsphäre bei Selbstöffnung

Autor: Dr. Donata Störmer, Fachanwältin für Urheber- und MedienrechtIRLE MOSER Rechtsanwälte PartG, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 01/2019
Der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme kann dort entfallen oder zumindest im Rahmen der Abwägung zurücktreten, wo sich der Betroffene selbst damit einverstanden gezeigt hat, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden; die Erwartung, dass die Umwelt die Angelegenheiten oder Verhaltensweisen in einem Bereich mit Rückzugsfunktion nur begrenzt oder nicht zur Kenntnis nimmt, muss situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden (st. Rspr., vgl. nur Senat, Urt. v. 20.12.2011 – VI ZR 261/10, NJW 2012, 771, 772). (Rz. 14)Die Selbstbegebung gibt nicht stets thematisch und inhaltlich die exakte Grenze vor, in deren Rahmen sich die hinzunehmende Veröffentlichung bewegen muss. Diese ist vielmehr im Rahmen einer Güterabwägung im Einzelfall zu bestimmen. (Rz. 18 – 27)

BGH, Urt. v. 12.6.2018 - VI ZR 284/17

Vorinstanz: OLG Köln, Urt. v. 22.6.2017 - 15 U 181/16
Vorinstanz: LG Köln, Urt. v. 9.11.2016 - 28 O 122/16

BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1

Das Problem

Der Kläger, ein bekannter Schauspieler, Musiker und Spross einer Theaterfamilie, sieht seine Persönlichkeitsrechte durch eine Berichterstattung der Beklagten, Betreiberin des Online-Auftritts einer Wochenzeitschrift, über Dreharbeiten seiner Frau mit dem Stiefbruder des Klägers sowie über seine Familienverhältnisse verletzt. Gegenstand der Berichterstattung war u.a. der Umstand, dass der Stiefbruder des Klägers lange nichts von der Existenz des Klägers gewusst habe. Vielmehr habe der Stiefbruder des Klägers seinen Stiefvater, den Vater des Klägers, fälschlicherweise immer für seinen leiblichen Vater gehalten, da sein Stiefvater mit ihm und seiner Mutter zusammengelebt habe. Thematisiert wurde weiter, dass der Stiefbruder erst mit 12 Jahren erfahren habe, dass sein Vater nicht sein leiblicher Vater war und dieser auch noch einen leiblichen Sohn, den Kläger, hatte. Der Kläger habe seinem Stiefbruder bis dahin nie begegnen dürfen. Wenn dies doch einmal geschehen sei, so habe er nicht sagen dürfen, wer er sei. Unter Verwendung angeblicher Zitate des Stiefbruders gegenüber einer anderen Zeitung wurde in der streitgegenständlichen Berichterstattung weiter ausgeführt, dass die Situation für den Kläger wahnsinnig schwer gewesen sei, weil der Stiefbruder den Vater gehabt habe, den der Kläger selbst nicht hatte. Die Berichterstattung ging darüber hinaus noch weiter auf die Entwicklung des Verhältnisses zwischen den beiden Brüdern ein.

Einige Jahre zuvor hat der Kläger eine Autobiografie mit dem Titel „Soundtrack meiner Kindheit” veröffentlicht. In dieser hatte er ausgeführt, dass sein Vater nach der Trennung seiner Eltern nur noch „Gast in seiner Kindheit” gewesen sei, er sich aber mit seinem Stiefbruder bestens verstehe und man sich „Halbbruder” nenne.

Das LG Köln verurteilte die Beklagte zur Unterlassung der angegriffenen Berichterstattung. Das OLG Köln wies die Berufung der Beklagten im Wesentlichen zurück.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hebt das Urteil des OLG Köln auf und verweist es zurück an das Berufungsgericht.

Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Unterlassung der beanstandeten Teile des Berichts über den „verlorenen Bruder” zu. Zwar beeinträchtige die angegriffene Berichterstattung das Recht des Klägers auf Achtung der Privatsphäre. Eine Beeinträchtigung sei insbesondere auch nicht etwa deshalb zu verneinen, weil der Kläger in seiner Autobiografie selbst mitgeteilt habe, dass sein Vater nach der Trennung seiner Eltern mit der Mutter seines Stiefbruders und diesem wie in einer Familie zusammenlebte. Zwar könne sich der Betroffene nicht auf ein Recht zur Privatheit hinsichtlich solcher Tatsachen berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben habe. Deshalb könne der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme dort entfallen oder zumindest im Rahmen der Abwägung zurücktreten, wo sich der Betroffene selbst einverstanden gezeigt habe, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden; die Erwartung, dass die Umwelt die Angelegenheiten oder Verhaltensweisen in einem Bereich mit Rückzugsfunktion nur begrenzt oder nicht zur Kenntnis nehme, müsse situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden. Indes umfasse die Selbstöffnung des Klägers nicht die beanstandeten Details der im Rahmen der angegriffenen Berichterstattung offen gelegten persönlichen und familiären Beziehungen.

Auch sei dem Kläger eine Selbstöffnung seines Stiefbruders nicht zuzurechnen. Jedoch sei die Beeinträchtigung des Rechts des Klägers auf Achtung seiner Privatsphäre durch die angegriffenen Äußerungen nicht rechtswidrig. Das Recht der Beklagten auf Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und ihr Interesse an der Information der Öffentlichkeit überwögen das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit. Bei dem Kläger handele es sich um einen bekannten deutschen Schauspieler und Musiker, demnach um eine Person des öffentlichen Lebens. Als prominente Person könne der Kläger gegenüber der Allgemeinheit, insbesondere seinen Anhängern, eine Leitbild- und Kontrastfunktion erfüllen. Der angegriffenen Berichterstattung könne ein Beitrag zur öffentlichen Diskussion und Bildung der öffentlichen Meinung zur Bewältigung von elterlicher Trennung und Scheidung und Ausbildung neuer Familienstrukturen auch bei überwiegend unterhaltender Ausrichtung, nicht abgesprochen werden.

Zwar habe sich der Kläger nicht hinsichtlich der beanstandeten Details der Berichterstattung selbst geöffnet und diese im Rahmen seiner Autobiografie selbst öffentlich gemacht. Wohl aber habe der Kläger darin über das Privatleben seiner Eltern – Trennung und Scheidung – und die neue Lebensgemeinschaft seines Vaters unter namentlicher Nennung der Lebensgefährtin und deren Sohnes sowie über deren Berufe berichtet. Zudem habe der Kläger in seiner Autobiografie sein Verhältnis zum Stiefbruder – wenn auch oberflächlich – beleuchtet und selbst die Bezeichnung „Halbbruder” gewählt, die eine engere Beziehung als die zu einem Stiefbruder nahelege. Darüber hinaus werfe die Beschreibung des Vaters – „zu Gast in meiner Kindheit” – ein aus Sicht des Klägers vorsichtig kritisches Licht auf diesen. Der Kläger habe damit Teile seines Privatlebens bzw. des Privatlebens seines Vaters und seines Stiefbruders offengelegt. Eine Erwartung der Geheimhaltung weiterer Details über die von ihm preisgegebenen Informationen hinaus habe er nicht konsistent zum Ausdruck gebracht, denn er habe es nicht bei der Schilderung der rechtlichen Beziehungen und faktischen Lebensverhältnisse belassen, sondern identifizierend berichtet und die Beziehungen aus seiner Sicht wertend eingeordnet.

Der Kläger habe daher damit rechnen müssen, dass die Neugier der Öffentlichkeit geweckt werde und einer der von seinen Informationen Betroffenen der Öffentlichkeit einen etwas tieferen Einblick in die Familiengeschichte geben würde. Gegenüber der Darstellung in der Autobiografie des Klägers handele es sich bei der angegriffenen Berichterstattung um eine thematisch korrespondierende, wenig intensive Vertiefung der Informationen, die nicht der Intimsphäre zuzuordnen sei.


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