BGH, Urt. 28.3.2019 - I ZR 132/17

Öffentliche Wiedergabe von Software – Testversion

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 11/2019
Das Bereithalten eines Computerprogramms zum Abruf auf einem Downloadportal stellt eine öffentliche Wiedergabe in Form des öffentlichen Zugänglichmachens dar, wenn der Betreiber des Downloadportals das Computerprogramm auf einem eigenen Rechner vorhält und auf diese Weise die Kontrolle über seine Bereithaltung ausübt. Das gilt auch dann, wenn das Computerprogramm zuvor vom Urheberrechtsinhaber auf einer anderen Internetseite frei zugänglich im Internet zur Verfügung gestellt worden ist.

BGH, Urt. v. 28.3.2019 - I ZR 132/17

Vorinstanz: OLG München, Urt. v. 1.6.2017 - 29 U 2554/16
Vorinstanz: LG München I, Urt. v. 3.5.2016 - 33 O 11469/15

RL 2001/29/EG Art. 3 Abs. 1; UrhG §§ 15 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3, 19a, 69c Nr. 4

Das Problem

In den Jahren 2013 und 2014 erwarben Testkäufer bei einem Händler Exemplare von „Microsoft Office Professional Plus 2013”. Der Händler übersandte den Testkäufern in allen Fällen E?Mails, in denen ein als „Lizenzschlüssel” bezeichneter Product-Key sowie ein Download-Link auf den Webserver des Händlers mitgeteilt wurden, auf dem die Software für den Download bereitgehalten wurde. Die Software konnte von sämtlichen Besuchern dieser Internetseite ohne Product-Key als 30 Tage-Testversion genutzt werden.

Die Entscheidung des Gerichts

Der Anspruch der Microsoft Corp. gegen den Händler auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht sei gegeben.

Öffentliches Zugänglichmachen: Das Bereithalten der Software durch den Händler auf seinem Downloadportal zum Abruf durch Dritte verletze das Recht auf öffentliches Zugänglichmachen gem. §§ 19a, 69c Nr. 4 UrhG, bei dem es sich um ein besonderes Recht der öffentlichen Wiedergabe handle (vgl. § 15 Abs. 2 und 3 UrhG als vollständige Harmonisierung von Art. 3 Abs. 1 RL 2001/29/EG).

Regelungslücke: Die RL 2009/24/EG sehe kein eigenständiges Recht zur öffentlichen Wiedergabe vor. Hier liege eine Lücke im Unionsrecht vor, die für das deutsche Recht klarstellend durch § 69c Nr. 4 UrhG geschlossen worden sei (vgl. RegE, BT-Drucks. 15/38, 22). Die RL 2009/24/EG lege abschließend fest, welche Ausschließlichkeitsrechte die Schutzberechtigten geltend machen könnten (vgl. Erwgrd. 4 bis 6 RL 2009/24/EG), so dass Art. 3 Abs. 1 RL 2001/29/EG ein ausschließliches Recht des Urhebers eines Computerprogramms zur öffentlichen Wiedergabe einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung begründe (vgl. Erwgrd. 15 RL 2001/29/EG i.V.m. Art. 4, 8 WTC).

Wiedergabehandlung: Art. 3 Abs. 1 RL 2001/29/EG habe zwei Tatbestandsmerkmale, nämlich eine Wiedergabehandlung und deren Öffentlichkeit. Im Rahmen einer individuellen Beurteilung seien eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen, die unselbständig und miteinander verflochten seien. Die Handlung der Wiedergabe setze voraus, dass der Nutzer in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens – also absichtlich und gezielt – tätig werde, um Dritten einen Zugang zum geschützten Werk zu verschaffen, den diese sonst nicht hätten. Dies sei vorliegend der Fall.

Öffentlichkeit: Der Begriff der Öffentlichkeit sei nur bei einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt. Um eine „unbestimmte Zahl potentieller Adressaten” handle es sich, wenn die Wiedergabe für Personen allgemein erfolge und nicht nur für private Gruppen. Hinsichtlich des Kriteriums „recht viele Personen” sei die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der gleichzeitigen oder sukzessiven Zugänglichmachung der Werke ergebe.

Anderes technisches Verfahren: Die Einstufung als „öffentliche Wiedergabe” erfordere weiterhin, dass ein geschütztes Werk unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheide, oder für ein Publikum wiedergegeben werde, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht habe, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubt habe. Die Software sei sowohl von der Microsoft Corp. als auch vom Händler im Internet zum Download und damit nach demselben technischen Verfahren bereitgehalten worden.

Neues Publikum: Keine Wiedergabe für ein neues Publikum liege vor, wenn auf einer Internetseite anklickbare Links zu Werken bereitgestellt würden, die auf einer anderen Internetseite mit Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber für alle Internetnutzer frei zugänglich seien. Werde hingegen das Werk statt per Hyperlink auf der anderen Website gespeichert zum Abruf bereitgehalten, erfolge dies für ein neues Publikum unabhängig davon, ob die ursprüngliche Wiedergabe durch Zugangsbeschränkungen eingeschränkt sei (EuGH v. 7.8.2018 – C-161/17 – Land Nordrhein-Westfalen/Renckhoff, Rz. 35, CR 2018, 654 = ITRB 2018, 248; BGH v. 10.1.2019 – I ZR 267/15 – Cordoba II, Rz. 51, MDR 2019, 952). Da dies der Fall sei, sei das Recht der öffentlichen Wiedergabe in seiner besonderen Erscheinungsform des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung verletzt.


Wussten Sie schon?

Werden Sie jetzt Teilnehmer beim Anwalt-Suchservice und Sie greifen jederzeit online auf die Zeitschrift „IT-Rechtsberater“ des renommierten juristischen Fachverlags Dr. Otto Schmidt, Köln, zu.

Die Zeitschrift ist speziell auf Praktiker zugeschnitten. Sie lesen aktuelle Urteilsbesprechungen inklusive speziellem Beraterhinweis sowie Fachaufsätze und Kurzbeiträge zum Thema IT-Recht und zwar 24/7, also wo und wann immer Sie wollen.

Infos zur Teilnahme