OLG Dresden, Beschl. 14.4.2025 - 4 U 1466/24

Kein Laienprivileg bei journalistischem Auftritt eines Bloggers

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 08/2025
Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung gelten jedenfalls dann für einen privaten Blogbetreiber, wenn er sich gegenüber Dritten als Journalist geriert.

GG Art. 2 Abs. 1; BGB §§ 823, 1004 Abs. 1 Satz 2

Das Problem

In einem Artikel v. 18.9.2023 auf einem Blog war im Kontext betrugsnaher Vorwürfe u.a. zu lesen: „Investierte Anleger verloren dabei über 40 Millionen Euro, möglicherweise auch Kunden von [Namen des Betroffenen]“.

Die Entscheidung des Gerichts

Im einstweiligen Verfügungsverfahren sei ein Anspruch gegen den Blogger auf Unterlassung der Äußerung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung zuzuerkennen.

Behauptung konkreter Handlungen:Der Begriff „abgewickelt“ lege gemeinsam mit der Information „Anleger verloren dabei über 40 Millionen Euro“ unabweislich den Schluss nahe, die Firma sei wegen erfolgloser Investments in Insolvenz gegangen, der Betroffene habe den Anlegern wertlose Anlagen verkauft und auf Investments in eine Aktiengesellschaft hingewirkt. Die einschränkenden Zusätze wie „möglicherweise“, „sehen wir“ und „unserer Sicht nach“ änderten an der Einordnung als Tatsachenbehauptung nichts (Rz. 10 des Hinweisbeschlusses m.w.N.).

Zulässigkeit ungeklärter Tatsachenbehauptungen:Eine Tatsachenbehauptung von öffentlichem Interesse dürfe trotz ungeklärten Wahrheitsgehalts geäußert oder verbreitet werden, sofern sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich erscheine (Art. 5 GG, § 193 StGB). Voraussetzung sei eine hinreichend sorgfältige Recherche zum Wahrheitsgehalt. Da sich ihr Umfang nach den konkreten Aufklärungsmöglichkeiten richte, unterlägen Privatpersonen weniger strengen Anforderungen als Medien. Andererseits stiegen die Anforderungen mit der Eingriffsschwere, wobei auch das öffentliche Informationsinteresse zu berücksichtigen sei (Rz. 12 m.w.N.).

Kein Laienprivileg bei journalistischem Anschein:Das Privileg, wonach Privatpersonen anders als Journalisten sich auf unwidersprochene Presseberichte ungeprüft stützen dürften, greife hier nicht. Der Blogger betreibe – wie aus zahlreichen Verfahren bekannt – seit Jahren seine Website und Domain unter einem auf Kolumnen hinweisenden Titel und verweise dort auf eigene Recherchen, Presseanfragen und journalistische Tätigkeit. Auch der streitgegenständliche Artikel beruhe nicht auf Drittquellen. Im Impressum werde er als „Chefredakteur“ und DJV-Mitglied bezeichnet; sein Mitarbeiterstab firmiere als „Redaktion“ (Rz. 13 m.w.N.; Ls. 1).

Journalistische Sorgfalt:Eine zulässige journalistische Darstellung erfordere einen Mindestbestand an Beweistatsachen, die den Wahrheitsgehalt stützten und öffentlichen Mitteilungswert verliehen. Es dürfe nicht der Eindruck einer bereits erfolgten Überführung des Betroffenen erweckt werden. Seine Stellungnahme sei vor Veröffentlichung zu ermöglichen und ggf. im Bericht erkennbar zu berücksichtigen. Dabei sei auch ein bloßes Dementi zur Vermeidung einer Vorverurteilung relevant (Rz. 15 f. m.w.N.).

Unzureichende Stellungnahmemöglichkeit:Die Presseanfrage vom 18.10.2022 erfülle nicht die Anforderungen an eine vollständige konkrete Vorhaltung aller in der Berichterstattung erhobenen Verdächtigungen, so dass dahinstehen könne, ob ausweichendes Antwortverhalten als endgültige Ablehnung aufzufassen sei (Rz. 17 m.w.N.).

Unzulässigkeit identifizierender Berichterstattung:Fehlten – wie hier – im Artikel konkrete Anknüpfungstatsachen für etwas Belastbares, mangle es für eine gerechtfertigte Namensnennung entweder am ausreichend gewichtigen Ereignis für ein öffentliches Informationsinteresse oder an einer über eine bloße Meinungsäußerung hinausgehenden, hinreichend substantiellen Tatsachenäußerung (Rz. 18 m.w.N.; Ls. 2).

Rechtswidriger Eingriff ins Persönlichkeitsrecht:Vorliegend überwiege das Betroffeneninteresse am Persönlichkeits- und Rufschutz aus Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, 8 Abs. 1 EMRK das Interesse des Bloggers an Meinungs- und Medienfreiheit aus Artt. 5 Abs. 1 GG, 10 EMRK. Auch die Identifizierung eines Betroffenen unterliege dieser Abwägung. Ausschlaggebend seien hierbei Tatart und Betroffenenstellung (BGH v. 15.11.2005 – VI ZR 286/04 – Prinz von Hannover Rz. 17, AfP 2006, 62). Selbst bei rein die Sozialsphäre betreffender Berichterstattung über wirtschaftliche Verfehlungen seien bei einer öffentlich unbekannten Person die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung einzuhalten (Rz. 19 ff. und Abweisungsbeschluss m.w.N.).


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