BPatG, Beschl. 27.7.2020 - 26 w (pat) 552/17

Verwechslungsgefahr wegen ausnahmsweise zergliedernder Betrachtung einer Einwortmarke

Autor: RA Dr. Geert Johann Seelig, Fachanwalt für gewerblichen RechtsschutzLuther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 01/2021
Eine Veranlassung des Verkehrs ein aus einem Wort bestehendes Zeichen zergliedernd aufzufassen, kann dann vorliegen, wenn das Wort aus einer älteren Marke mit gesteigerter Verkehrsbekanntheit und einer Endsilbe mit sehr geringer Kennzeichnungskraft besteht. Dazu kann bereits die gesteigerte Verkehrsbekanntheit der älteren Marke für solche Waren und Dienstleistungen ausreichen, die nicht eng verwandt mit den von der jüngeren Marke beanspruchten Waren und Dienstleistungen sind.Dekratex kann in „Dekra“ und „tex“ zergliedert werden, da sich der Gesamtbegriff aus der älteren Marke „DEKRA“ mit gesteigerter Verkehrsbekanntheit und der Endsilbe „tex“ mit geringer Kennzeichnungskraft zusammensetzt.

MarkenG § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2

Das Problem

Die Beschwerdegegnerin meldete am 8.5.2015 die Wortmarke „Dekratex“ für Waren und Dienstleistungen der Klasse 24 (Stoffe als Textilwaren in Ballenform) der Klasse 39 (Einsammeln von Abfällen) und Klasse 40 (Entsorgung [Recycling]) an. Die Marke wurde am 17.8.2015 beim DPMA eingetragen. Gegen diese Eintragung hat der Beschwerdeführer aus seiner Wortmarke „DEKRA“ Widerspruch erhoben. Die Widerspruchsmarke war für Waren und Dienstleistungen der Klassen 1 bis 45 eingetragen, also u.A. für Waren der Klasse 24 und Dienstleistungen der Klassen 39 (u.A. Transportwesen, Abschleppen von Kraftfahrzeugen, transportlogistische Beratungs‑, Organisations‑, Transportmanagement- und Planungsleistungen, Vermietung von Kraftfahrzeugen) und 40 (Lebensmittel- und Getränkebearbeitung; kundenspezifische Fabrikations- und Anfertigungsdienstleistungen; Polierarbeiten; Informationsdienste bezüglich Materialbearbeitung, Maschinelle Bearbeitung von Metall, Materialbearbeitungsauskunft, Schleifen etc.) Der Beschwerdeführer legte mitunter zwei GfK-Meinungsumfragegutachten von 2014 vor, in denen festgestellt wurde, dass die Bezeichnung „DEKRA“ in Deutschland einen Bekanntheitsgrad von 96,4 % bei Fachkreisen und 86,8 % beim allgemeinen Publikum erreicht. Beim Markenranking einer Beratungsgesellschaft habe die Marke Platz 47 der 50 bekanntesten deutschen Marken erreicht und die unter dieser Bezeichnung angebotenen Dienstleistungen genössen bundesweit sehr gutes Ansehen. Wegen der hohen Markenähnlichkeit würde die neuere Marke die Sogwirkung der bekannten Marke „DEKRA“ für sich ausnutzen. Mit Beschluss vom 11.5.2017 hat die Markenstelle für Klasse 24 des DPMA eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Widersprechenden.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BPatG gab der Beschwerde statt.

Die Widerspruchsmarke verfüge über einen normalen Schutzumfang: Die originäre Kennzeichnungskraft bestimme sich durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens einzuprägen. Lägen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprächen, müsse von normaler Kennzeichnungskraft ausgegangen werden. Vorliegend lägen keine Anhaltspunkte für eine durch intensive Nutzung gesteigerte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke vor. Für die Annahme einer erhöhten Kennzeichnungskraft durch gesteigerte Verkehrsbekanntheit bedürfe es hinreichend konkreter Angaben zum Marktanteil, zu Intensität, geografischer Verbreitung und Dauer der Benutzung, zum Werbeaufwand und zum Investitionsumfang zur Förderung der Marke, sowie zu demoskopischen Befragungen zwecks Ermittlung des Anteils der beteiligten Verkehrskreise, die die Marke als Herkunftshinweis erkennen würden. Diese Voraussetzungen müssten bereits im Anmeldezeitpunkt der jüngeren Marke vorgelegen haben und bis zum Entscheidungszeitpunkt fortbestehen. Zwar habe die Beschwerdeführerin GfK-Gutachten vorgelegt, diese bezögen sich allerdings ausschließlich auf technische Prüfungsdienstleistungen. Die erhöhte Kennzeichnungskraft könne nur auf eng verwandte Produkte und Dienstleistungen ausstrahlen. Die hier relevanten Textilstoffe, Abfalltransportdienste und Recyclingdienstleistungen wiesen keine enge Ähnlichkeit mit technischen Prüfungsdienstleistungen auf.

Die jüngere Marke halte den gebotenen deutlichen Abstand zur älteren Marke wegen weit überdurchschnittlicher Markenähnlichkeit nicht ein: Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit sei der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente. Dabei sei es möglich, dass ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den bei den angesprochenen Verkehrskreisen hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können. Voraussetzung dafür sei, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten. Die Vergleichsmarken „Dekratex“ und „Dekra“ würden sich in der Gesamtheit und schriftbildlich durch die zusätzliche Endsilbe „tex“ unterscheiden. Nichtsdestotrotz bestehe insgesamt eine sehr hohe klangliche Ähnlichkeit, denn die jüngere Marke sei durch den Bestandteil „Dekra“ geprägt.

Die Grundsätze der Prägung könnten auch auf einteilige Zeichen angewendet werden, wenn der Verkehr die Veranlassung habe, das zu einem Wort zusammengesetzte Zeichen zergliedernd aufzufassen: Vorliegend bestehe ausnahmsweise ein solcher Anlass. Die Endsilbe „tex“ werde als Abkürzung für „textil“ oder „Textilien“ aufgefasst und habe als beschreibender Hinweis auf das hier relevante Warengebiet keine oder nur sehr geringe Kennzeichnungskraft. Zwar sei die Abkürzung „Tex“ als Gewichtsmaßeinheit textiler Garne nur Fachkreisen bekannt und als Akronym für „Textil(ien)“ nur „Text.“ nachweisbar, jedoch sei die Endsilbe „tex“ seit langer Zeit als Hinweis auf Textilien oder textiles Material gebräuchlich. Es werde sogar vertreten, die Endsilbe „tex“ sei im Bereich Textilien und Bekleidung aufgrund vielfacher Verwendung verbraucht und könne nicht herkunftskennzeichnend wirken (BPatG,Beschl. v. 10.10.2000 – 27 w (pat) 175/99 – alltex/Peltex). Die Schlusssilbe „tex“ habe einen typisch endungsartigen Charakter. Sie setzte sich angesichts ihrer kurzen, harten Aussprache zudem vom vorangehenden Teil ab und verschmelze nicht zu einer einheitlichen Lautfolge, geschweige denn zu einer gesamtbegrifflichen Einheit. Der Anfangsteil „Dekra“ sei zumindest klanglich einem großen Teil kraftfahrzeugbesitzender Verkehrsteilnehmer als Hinweis auf die Kraftfahrzeugprüfgesellschaft des Widersprechenden bekannt. Wegen der zergliedernden Wahrnehmung steche der stärker beachtete Anfangsteil „Dekra“ der jüngeren Marke phonetisch hervor, während die kennzeichnungsschwache Schlusssilbe „tex“ zurücktrete. Mithin präge „Dekra“ den klanglichen Gesamteindruck der angegriffenen Marke, so dass sich die identisch ausgesprochenen Markenwörter „Dekra“ und „DEKRA“ gegenüberstünden und eine unmittelbare Verwechslungsgefahr in auditiver Hinsicht vorliege.


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