EuGH, Urt. 13.10.2022 - C‑355/21

Markenrechtlicher Vernichtungsanspruch erstreckt sich auf Grauimportwaren

Autor: Rechtsanwältin Dr. Monika Küppers, LL.M. (University of London, King’s College London), Fachanwältin für gewerblichen Rechtsschutz, Heuking Kühn Lüer Wojtek PartmbB, Stuttgart
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 02/2023
Art. 10 Abs. 1 Durchsetzungsrichtlinie steht der Auslegung einer nationalen Bestimmung entgegen, wonach keine Vernichtung von Originalwaren angeordnet werden kann, die ohne Zustimmung des Unionsmarkeninhabers im Europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr gebracht worden sind.

TRIPS-Übereinkommen Art. 46; Richtlinie 2004/48/EG Erwägungsgründe 3, 4, 5, 7, 9, 10, 17, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2, Art. 10; Verordnung (EG) Nr. 207/2009 Art. 9, Art. 102; Ustawa – Prawo własności przemysłowej (polnisches Gesetz über das gewerbliche Eigentum) Art. 286

Das Problem

Die Procter & Gamble International Operations SA (Procter & Gamble) stellt Parfümeriewaren her. Sie ist ausschließliche, antrags- und klagebefugte Lizenzinhaberin der für dieses Warensegment eingetragenen Unionsmarke HUGO BOSS.

Die Perfumesco.pl sp. z o.o. sp.k. (Perfumesco.pl) betreibt einen Großhandel für Parfümeriewaren in Polen. Perfumesco.pl bot unter anderem als Tester gekennzeichnete und nicht für den Verkauf bestimmte Parfumproben der Marke HUGO BOSS zum Verkauf an.

Procter & Gamble erwirkte daraufhin einen Sicherungsbeschluss, bei dessen Vollstreckung mit der Marke HUGO BOSS gekennzeichnete Parfümeriewaren beschlagnahmt wurden. Es handelte sich dabei teilweise um überhaupt nicht zum Verkauf bestimmte, als Tester gekennzeichneten Waren. Daneben wurden auch Originalwaren sichergestellt, die ausweislich ihrer Kennziffern nur zur Inverkehrbringung außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) bestimmt waren oder bei denen aufgrund fehlender oder überklebter Sicherungscodes eine entsprechende Vermutung im Raum stand.

In dem anschließenden Gerichtsverfahren machte Procter & Gamble unter anderem einen Anspruch auf Vernichtung dieser Grauimportwaren geltend. Der insoweit einschlägige Art. 286 des polnischen Gesetzes über das gewerbliche Eigentum bezog sich nach seinem Wortlaut allerdings nur auf widerrechtlich hergestellte oder widerrechtlich gekennzeichnete Waren. Da es sich um Originalware handelte, die Procter & Gamble selbst als Lizenznehmerin der Marke HUGO BOSS rechtmäßig hergestellt und mit der Marke HUGO BOSS rechtmäßig gekennzeichnet hatte, argumentierte Perfumesco.pl, dass ein Vernichtungsanspruch im Hinblick auf diese Waren nicht in Betracht komme.

Die polnischen Instanzgerichte folgten dieser Argumentation jeweils nicht, sondern erkannten den von Procter & Gamble begehrten Anspruch auf Vernichtung zu. Sie legten dafür Art. 286 des polnischen Gesetzes über das gewerbliche Eigentum im Lichte des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Durchsetzungsrichtlinie) so aus, dass als widerrechtlich hergestellt im Sinne der Vorschrift jede Ware gelte, die ein Recht des geistigen Eigentums verletze.

Auf die von Perfumesco.pl erhobene Kassationsbeschwerde verwies das Oberste Gericht das Verfahren zur Vorabentscheidung an den EuGH. In ihrem Vorabentscheidungsersuchen wiesen die Richter dabei insbesondere darauf hin, dass Art. 286 des polnischen Gesetzes über das gewerbliche Eigentum im Zuge der Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie geändert worden war, was gegen eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung spreche. Der EuGH hatte somit zu klären, ob Art. 10 Abs. 1 Durchsetzungsrichtlinie einer Auslegung einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach sich der markenrechtliche Vernichtungsanspruch nicht auf Grauimportwaren erstreckt.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH hat eine am Wortlaut haftende Auslegung unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung zurückgewiesen und sich der Argumentation der polnischen Instanzgerichte angeschlossen.

Art. 10 Abs. 1 Durchsetzungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass geeignete gerichtliche Maßnahmen in Bezug auf Waren angeordnet werden können, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen. Eine dieser Maßnahmen ist gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. c Durchsetzungsrichtlinie die Vernichtung der rechtsverletzenden Waren. Diese Vorschrift differenziert also nicht nach dem Grund, weswegen eine Ware ein Recht des geistigen Eigentums verletzt.

Gemäß Art. 10 Abs. 3 Durchsetzungsrichtlinie und deren Erwägungsgrund 17 ist die Entscheidung über die im Einzelfall zu erlassenden Abhilfemaßnahmen den Gerichten überlassen. Diese müssen bei ihrer Entscheidungsfindung jeweils berücksichtigen, ob die beantragten Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Schutzrechtsverletzung und etwaigen Interessen Dritter stehen.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass sämtliche Mitgliedstaaten und auch die Europäische Union selbst an das TRIPS-Übereinkommen gebunden sind, was in den Erwägungsgründen 4 und 5 Durchsetzungsrichtlinie ausdrücklich betont wird. Art. 46 TRIPS-Übereinkommen wurde mittels Art. 10 Durchsetzungsrichtlinie ins Unionsrecht umgesetzt. Dementsprechend ist Art. 10 Durchsetzungsrichtlinie im Einklang mit Art. 46 TRIPS-Übereinkommen auszulegen.

Art. 46 Satz 1 TRIPS-Übereinkommen sieht unter anderem vor, dass rechtsverletzende Waren vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Erfordernisse auf gerichtliche Anordnung hin vernichtet werden können. Art. 46 Satz 4 TRIPS-Übereinkommen enthält eine Spezialvorschrift, die nur nachgeahmte Markenwaren betrifft. Im Umkehrschluss ist davon auszugehen, dass Art. 46 Satz 1 TRIPS-Übereinkommen auf sämtliche Arten rechtsverletzender Waren Anwendung findet.

Ebenfalls relevant für die Auslegung ist das mit der Durchsetzungsrichtlinie verfolgte Ziel der Gewährleistung wirksamen Schutzes des geistigen Eigentums. Die Bestimmungen der Richtlinie zielen darauf ab, dass es wirksame Rechtsbehelfe geben muss, um jede Verletzung eines geistigen Eigentumsrechts zu verhüten, abzustellen oder zu beheben. Art. 3 Abs. 2 Durchsetzungsrichtlinie verlangt daher, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe vorsehen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. Ziel ist ein hohes Schutzniveau. Die Mitgliedstaaten dürfen über das von der Durchsetzungsrichtlinie geforderte Schutzniveau hinausgehen, aber nicht dahinter zurückbleiben. Dazu gehört auch, dass die Anwendung der in der Durchsetzungsrichtlinie genannten Maßnahmen nicht bestimmten Arten von Rechtsverletzungen vorbehalten sein darf, sondern grundsätzlich jede Maßnahme für jede Art von Rechtsverletzung verhängt werden kann. Denn gemäß Art. 2 Abs. 1 Durchsetzungsrichtlinie erstreckt sich ihr Anwendungsbereich auf jede Verletzung von geistigen Eigentumsrechten, die auf Unionsebene oder in den Mitgliedstaaten vorgesehen sind.

Daraus ergibt sich, dass Art. 10 Durchsetzungsrichtlinie für alle Waren gilt, die auf irgendeine Art und Weise Rechte des geistigen Eigentums verletzen. Die in Art. 10 Abs. 1 Buchst. c Durchsetzungsrichtlinie vorgesehene Abhilfemaßnahme der Vernichtung ist demnach nicht bei bestimmten Verletzungsarten per se ausgeschlossen.

Darüber hinaus kann der Unionsmarkeninhaber gemäß Art. 9 Abs. 3 Buchst. a UMV (Unionsmarkenverordnung Nr. 207/2009/EU) Dritten verbieten, die Unionsmarke auf einer Ware oder deren Verpackung anzubringen, während die in Art. 9 Abs. 3 Buchst. b und c UMV enthaltenen Verbietungsrechte auf die Vermarktung von Waren unter der Marke abzielen. Da es den Gerichten vorbehalten bleiben soll, die im Einzelfall angemessenen Abhilfemaßnahmen zu bestimmen, ist nach Auffassung des EuGH nicht davon auszugehen, dass eine Vernichtung von Waren nur dann in Betracht kommt, wenn die Unionsmarke rechtswidrig auf einer Ware oder deren Verpackung angebracht wurde, sondern auch dann, wenn der Rechtsverstoß in einer Verletzung der in Art. 9 Abs. 3 Buchst. b oder c UMV genannten Rechte besteht.

Der EuGH hat die Vorlagefrage daher dahingehend beantwortet, dass Art. 10 Abs. 1 Durchsetzungsrichtlinie

„dahin auszulegen ist, dass er der Auslegung einer nationalen Bestimmung entgegensteht, wonach eine Schutzmaßnahme, die in der Vernichtung von Waren besteht, nicht bei Waren angewendet werden kann, die mit Zustimmung des Markeninhabers hergestellt und mit einer Unionsmarke versehen worden sind, aber ohne seine Zustimmung im EWR in Verkehr gebracht worden sind.“


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