EuGH, Urt. 27.2.2020 - C-240/18 P

Unionsmarke „Fack Ju Göhte“ als Verstoß gegen die guten Sitten?

Autor: RA Dr. Geert Johann Seelig, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 04/2020
Der Begriff der „guten Sitten“ i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Buchst. f. VO (EG) Nr. 207/2009 bezieht sich auf die grundlegenden moralischen Werte und Normen, die sich im Laufe der Zeit entwickeln und von Ort zu Ort unterschiedlich sein können. Sie sind anhand des vorherrschenden gesellschaftlichen Konsens zu bestimmen. Die Annahme eines absoluten Eintragungshindernisses wegen Sittenverstoßes nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. f. VO (EG) Nr. 207/2009 bedarf immer einer substantiierten Einzelfallprüfung, die auch Hintergründe und Begleitumstände der Markenanmeldung, mithin den Gesamtkontext, berücksichtigt. Wurde ein Ausdruck, der später als Unionsmarke eingetragen werden soll, in der Vergangenheit in anderem Kontext bereits öffentlichkeitswirksam verwendet und von den maßgeblichen Verkehrskreisen nicht als anstößig empfunden, muss ein Sittenverstoß gerade wegen der Verwendung als Marke hinreichend plausibel erklärt werden.

VO (EG) Nr. 207/2009 § 7 Abs. 1 Buchst. f

Das Problem

Die Rechtsmittelführerin meldete im Jahr 2015 beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eine Unionsmarke für zahlreiche Waren und Dienstleistungen an. Diese bestand aus dem Wortzeichen „Fack Ju Göhte“, was identisch mit dem Titel einer im Jahr 2013 von der Rechtsmittelführerin produzierten deutschen Filmkomödie ist. Diese zählte zu den größten Kinoerfolgen des Jahres 2013, so dass es in den Jahren 2015 und 2017 zwei Fortsetzungen namens „Fack Ju Göhte 2“ und „Fack Ju Göhte 3“ gab. Die Anmeldung wurde vom EUIPO wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gem. Art. 7 Abs. 1 Buchst. f. VO (EU) Nr. 207/2009 zurückgewiesen. Ende 2016 wurde eine gegen die ablehnende Entscheidung des EUIPO erhobene Beschwerde der Rechtsmittelführerin ebenfalls zurückgewiesen. Der Begriff „Fack Ju“ werde mit dem englischen Ausdruck „Fuck you“ in Verbindung gebracht, welcher naturgemäß vulgär und anstößig sei. Im Jahr 2017 erhob die Rechtsmittelführerin gegen diese Entscheidung Klage beim Gericht der Europäischen Union (EuG), welche im Folgejahr zurückgewiesen wurde. Daraufhin zog die Rechtsmittelführerin vor den EuGH.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH hat das Urteil des EuG und die Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO aufgehoben.

Das Vorliegen eines Sittenverstoßes nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. f. VO (EU) Nr. 207/2009 erfordere eine Einzelfallprüfung und müsse konkret nachgewiesen werden:

Die „guten Sitten“ würden sich auf die grundlegenden moralischen Werte und Normen, an denen eine bestimmte Gesellschaft im jeweiligen Zeitpunkt festhält, beziehen. Sie müssten anhand des gesellschaftlichen Konsenses bestimmt werden, der innerhalb der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beurteilung vorherrscht. Bei der Anwendung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. f. VO (EU) Nr. 207/2009 sei es ferner erforderlich alle Aspekte des Einzelfalles zu berücksichtigen, um zu bestimmen wie die maßgeblichen Verkehrskreise das Zeichen in seiner konkreten Verwendung auffassen würden. Dazu müssten die Wahrnehmung einer vernünftigen Person mit durchschnittlicher Empfindlichkeits- und Toleranzschwelle zugrunde gelegt und der Kontext der voraussichtlichen Markenwahrnehmung, sowie besondere Umstände (wie Erfahrungswerte aus der Vergangenheit) berücksichtigt werden.

Es sei bei der Prüfung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. f. VO (EU) Nr. 207/2009 mithin nicht nur eine abstrakte Beurteilung vorzunehmen, sondern es müsse nachgewiesen werden, dass die Benutzung der Marke im sozialen Kontext von den maßgeblichen Verkehrskreisen als Verstoß gegen die moralischen Werte und Normen wahrgenommen wird. Dies gelte insbesondere, wenn der Anmelder Aspekte vorgetragen hat, die gegen eine solche Wahrnehmung sprechen.

Zudem sei bei der Anwendung der Unionsmarkenverordnung, entgegen der Ansicht des EuG, immer und in vollem Umfang den Grundrechten und Grundfreiheiten Rechnung zu tragen. Dies gelte insbesondere für das Recht auf Meinungsfreiheit nach Art. 11 EU-Grundrechtecharta.

Anders als das EuG und das EUIPO annahmen, würden mehrere Begleitumstände gegen die Wahrnehmung des Ausdrucks „Fack Ju“ als moralisch verwerflich sprechen: Zwar würde allein der große Kinoerfolg der gleichnamigen Filmkomödie der Rechtsmittelführerin nicht ohne weiteres eine gesellschaftliche Akzeptanz des Filmtitels beweisen, allerdings sei er zumindest als Indiz dafür anzusehen. Diese Indizwirkung hätte vom EuG und von der Beschwerdekammer des EUIPO durch eine Einzelfallbeurteilung aller widerstreitenden Umstände konkret entkräftet werden müssen. Dies sei jedoch unterblieben, als die Vorinstanzen annahmen, dass der Begriff „Fack Ju“ mit dem englischsprachigen Ausdruck „Fuck you“ gleichzusetzten ist, welcher wiederum naturgemäß vulgär sei. Vielmehr hätte ausreichend berücksichtigt werden müssen, dass der Titel der gleichnamigen Filmkomödie, trotz großer Präsenz in den maßgeblichen Verkehrskreisen, nicht zu Kontroversen in der Öffentlichkeit führte. Es hätte zudem gewürdigt werden müssen, dass der Film für Jugendliche freigegeben worden war und sogar vom Goethe-Institut, dem Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland, zu Unterrichtszwecken genutzt wurde. Schließlich würde der Ausdruck „Fuck you“ beim deutschsprachigen Publikum nicht zwangsläufig denselben Effekt wie beim englischsprachigen Publikum haben. Insofern könne die Empfindsamkeit bei Muttersprachlern wesentlich höher sein, als bei deutschsprachigen Rezipienten. All diese Hintergrundelemente sprächen letztlich für eine Akzeptanz des Titels in der breiten, deutschsprachigen Öffentlichkeit.

Die Verwendung des Wortzeichens als Unionsmarke, würde eine andere Beurteilung nur rechtfertigen, wenn das plausibel gemacht wird: Schließlich hätten weder das EuG, noch das EUIPO ausreichend dargelegt, warum die maßgeblichen Verkehrskreise die Verwendung des Wortzeichens „Fack Ju Göhte“ als Verstoß gegen grundlegende moralische Werte und Normen wahrnehmen würden, wenn dieses als Unionsmarke verwendet wird, obwohl derselbe Ausdruck in seiner Verwendung als Filmtitel, nach allen Anhaltspunkten nicht als Sittenverstoß wahrgenommen worden sei.


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