OLG Frankfurt, Urt. 11.3.2021 - 6 U 273/19

Kein rechtsmissbräuchliches Verhalten beim Ausnutzen einer weltweiten Bestellmöglichkeit im Rahmen eines Testkaufs

Autor: RA Dr. Geert Johann Seelig, Fachanwalt für gewerblichen RechtsschutzLuther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 11/2021
Das Angebot eines in Nordirland ansässigen, englischsprachigen Internetshops zum weltweiten Versand begründet jedenfalls dann eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, wenn auf einen Testkauf hin eine Lieferung nach Deutschland erfolgt. Dies begründet zugleich einen „commercial effect“ in Deutschland mit der Folge, dass eine Markenverletzung in Deutschland vorliegt. Ist eine Modellbezeichnung Teil der hervorgehobenen Angebotsüberschrift eines Bekleidungsangebots und besteht ein räumlicher Zusammenhang zu einer bekannten Herstellerangabe, können diese Umstände dafür sprechen, dass der Verkehr die Modellbezeichnung als Herkunftshinweis im Sinne einer Zweitmarke auffasst. Das Ausnutzen einer angebotenen „weltweiten“ Bestellmöglichkeit in Form der Veranlassung eines Testkaufs und Lieferung nach Deutschland stellt kein rechtsmissbräuchliches Verhalten dar.

MarkenG § 14 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5; EuGVVO Art. 7 Nr. 2; BGB § 242

Das Problem

Die Klägerin war Inhaberin der nationalen Modemarke „MO“. Die Beklagte, Betreiberin einer Boutique in Nordirland, vertreibt Produkte über ihren Online-Shop, welcher lediglich in englischer Sprache verfügbar ist. Zudem werden die Preise in britischen Pfund angegeben; laut Website besteht aber die Möglichkeit eines weltweiten Versands. Ein von der Klägerin beauftragter Testkäufer bestellte das unter der Bezeichnung „Tommy Hilfiger MO Logo Scarf“ angebotene Halstuch. Daraufhin klagte sie – nach erfolgloser Abmahnung – u.a. auf Unterlassung und Erstattung der Abmahnkosten. Nach Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung gab die Klägerin hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs und eines Teils der Folgeansprüche eine einseitige Erledigungserklärung ab. Das LG hat festgestellt, dass die Unterlassungsklage in der Hauptsache erledigt sei und hat die Beklagte zur Zahlung der Abmahnkosten verurteilt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Die Entscheidung des Gerichts

Die zulässige Berufung hat in der Sache im Wesentlichen keinen Erfolg.

Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte:

Da die UMV nicht anwendbar sei, regele die EuGVVO die Zuständigkeit abschließend und verdränge die Vorschriften der ZPO. Nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO könne im Falle einer unerlaubten Handlung die Klage auch vor dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei oder einzutreten drohe. Unter dem Ort des schädigenden Ereignisses verstünden der EuGH sowie der BGH sowohl den Ort, an dem der Schaden eingetreten sei, als auch den Ort des ursächlichen Geschehens.

Vorliegend sei in Deutschland ein Schaden eingetreten. Denn das Internetangebot der Beklagten richte sich auch an deutsches Publikum. Es fehle zwar an einem Angebot in deutscher Sprache. Dem sei jedoch im Zeitalter des Internets aufgrund zunehmender grenzüberschreitender Versandmöglichkeiten lediglich eine geringe Bedeutung beizumessen, sofern das Angebot in englischer Sprache abgefasst sei. Ob allein das ausdrückliche Angebot der Beklagten, Produkte international zu versenden, für die Begründung einer internationalen Zuständigkeit ausreiche, könne dahinstehen. Denn durch die tatsächliche Durchführung des Versands nach Deutschland habe sie ihre Bereitschaft, nach Deutschland zu liefern, deutlich gemacht. Dass laut Aussage der Beklagten der Versand durch den Testkauf „provoziert“ worden sei, führe zudem nicht zum Entfall der internationalen Zuständigkeit. Die Klägerin habe lediglich die von der Beklagten angebotene Bestellmöglichkeit ausgenutzt und sie nicht zu einer Lieferung nach Deutschland gedrängt.

Auch die örtliche Zuständigkeit bestimme sich ausschließlich nach Art. 7 EuGVVO, welcher u.a. § 14 UWG verdränge. Da sich das Angebot der Beklagten – wie bereits ausgeführt – an ganz Deutschland richte, bestehe insoweit ein fliegender Gerichtsstand.

Benutzung im Inland:

Die Marke sei auch im Inland benutzt worden. Nach dem maßgeblichen Territorialitätsprinzip richte sich der Schutz der inländischen Kennzeichen nach dem Recht des Schutzlands, also Deutschland. Zudem sei der Schutzbereich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Jedoch sei nicht jede Kennzeichenbenutzung im Internet dem Schutz der nationalen Rechtsordnung unterworfen. Die Anwendung des Kennzeichenrechts dürfe nicht dazu führen, dass jedes im Inland abrufbare Angebot ausländischer Dienstleistungen im Internet bei Verwechslungsgefahr mit einem inländischen Kennzeichen markenrechtliche Ansprüche auslöse. Vielmehr müsse das Angebot einen hinreichenden wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug (commercial effect) aufweisen. Dieser Inlandsbezug sei im Rahmen einer Gesamtabwägung festzustellen. Es seien einerseits die Auswirkungen der Kennzeichennutzung auf die wirtschaftlichen Interessen des Markeninhabers zu berücksichtigen. Andererseits sei maßgeblich, ob die Kennzeichennutzung lediglich als unvermeidbare Begleiterscheinung auftrete oder ob der in Anspruch Genommene von der Lieferung in das Inland profitiere. Diesen Maßstäben folgend sei ein wirtschaftlich relevanter Inlandbezug des Anbietens auf der Internetseite anzunehmen. Aufgrund der vorliegenden Bestellmöglichkeit aus Deutschland und der Lieferung nach Deutschland könne unter Berücksichtigung der zunehmenden grenzüberschreitenden Bestellung im Europäischen Binnenmarkt ein commercial effect nicht verneint werden.

Zudem bestehe auch hinsichtlich des Inverkehrbringens ein ausreichender Inlandsbezug.

Anspruch aus § 14 Abs. 5, Abs. 2 Nr. 2 MarkenG:

Die Beklagte habe die Bezeichnung „MO“ auf ihrer Internetseite nach Art einer Marke benutzt. Die Benutzung müsse die Herkunftsfunktion der Marke beeinträchtigen, was sich nach dem Verständnis des angesprochenen Verkehrs richte. Dabei bestimme sich die Verkehrsauffassung nach der konkreten Aufmachung. Ausschlaggebend seien die Kennzeichnungsgewohnheiten im maßgeblichen Warensektor – im Modebereich gebe es mehrere Gewohnheiten. Vorliegend sehe der Durchschnittsverbraucher in der Modellbezeichnung „Tommy Hilfiger MO LOGO SCARF“ einen Herkunftshinweis im Sinne einer Zweitmarke. Es reiche zwar (allein) nicht aus, dass die Modellbezeichnung originär unterscheidungskräftig sei und die konkrete Verwendung nicht glatt beschreibend verstanden werde. Zudem sehe der angesprochene Verkehr häufig in der Herstellerangabe den alleinigen Herkunftshinweis. Sofern also in einem Angebot für Bekleidungsstücke neben der Herstellerangabe ein weiteres Zeichen als Modellbezeichnung verwendet werde, sei nicht ohne weiteres eine Verletzung der Herkunftsfunktion anzunehmen. Vielmehr hänge dies von der konkreten Art der Verwendung, der Angebotsgestaltung, die blickfangmäßige Herausstellung, der Bekanntheit der Dachmarke und der Modellbezeichnung oder dem unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit der Hersteller- oder Dachmarke ab. Vorliegend sei das Zeichen „MO“ Teil der hervorgehobenen Angebotsüberschrift. Aufgrund des klaren räumlichen Zusammenhangs der (nicht bekannten) Marke „MO“ und der Herstellerbezeichnung „Tommy Hilfiger“ verstehe der Verkehr die Bezeichnung „MO“ als Herkunftshinweis im Sinne einer Zweitmarke. Er messe der Bezeichnung „Tommy Hilfiger“ dabei die Funktion einer Dachmarke zu. Schließlich bestehe auch Verwechslungsgefahr zwischen den Zeichen: „MO“ sei durchschnittlich kennzeichnungskräftig, es bestehe Warenidentität und der Gesamteindruck der angegriffenen Zeichen werde durch den Bestandteil „MO“ geprägt. Der Verkehr fasse „LOGO“ und „SCARF“ lediglich beschreibend und „Tommy Hilfiger“ als Hersteller auf, so dass die streitgegenständlichen Zeichen durchschnittlich ähnlich seien.

Testkauf nach Deutschland nicht rechtsmissbräuchlich:

Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen seien Testkäufe grundsätzlich zulässig. Sie seien jedoch bei Vorliegen besonderer Umstände als sittenwidrig anzusehen. Darunter fielen Käufe, getätigt in der Absicht, den Mitbewerber „hereinzulegen“ sowie die Verwendung verwerflicher Mittel, um ein unzulässiges Geschäft herbeizuführen. Verwerfliche Mittel seien dabei auch sonstige von der Rechtsordnung verbotene Handlungen – und nicht nur Straftaten – des testenden Mitbewerbers, da Rechtsverletzungen nicht zur Verschaffung von Vorteilen für konkurrierende Unternehmen hingenommen werden sollten.

Überwachungen durch Testkäufe seien im Grundsatz nicht zu beanstande. Ausnahmsweise seien sie unzulässig, sofern der Überwacher verwerfliche Mittel einsetze, um eine Schutzrechtsverletzung festzustellen.

Vorliegend habe der Testkäufer lediglich eine bestehende Bestellmöglichkeit für das Ausland ausgenutzt. Es sei ferner nicht ersichtlich, dass der Testkäufer zur Markenverletzung angestiftet oder verwerfliche Mittel eingesetzt habe. Die bloße Inanspruchnahme einer von der Beklagten selbst geschaffenen Bestellmöglichkeit in das Ausland reiche zur Annahme eines unzulässigen – und somit rechtsmissbräuchlichen – Testkaufs nicht aus.


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