OLG München, Urt. 17.10.2019 - 29 U 1661/19

Dringlichkeitsschädliches Verhalten bei laufender Verletzung von Schutzrechten auf Online-Portalen

Autor: RA Dr. Geert Johann Seelig, Fachanwalt für gewerblichen RechtsschutzLuther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 09/2020
Bei einem Eilantrag gegen den Accessprovider auf Sperrung des Zugangs zu bestimmten Internetportalen, ist die Dringlichkeit „seitenbezogen“ und nicht „schutzrechtsbezogen“ zu beurteilen, soweit die Sperrung nicht ausschließlich schutzrechtsbezogen wirkt.Laufende Verletzungen der Rechte an unterschiedlichen Werken des Antragstellers, stellen im Hinblick auf die Sperrmaßnahme insgesamt, kerngleiche Verletzungen dar. Die Nichtgeltendmachung eines Sperranspruchs trotz längerer Kenntnis der Möglichkeit des Zugangs zu den streitgegenständlichen Internetportalen und kerngleicher Verletzungen auf diesen Portalen, stellt ein dringlichkeitsschädliches Verhalten dar. Insofern sind Rechteinhaber auch nicht privilegiert.

ZPO §§ 936, 917; TMG § 7

Das Problem

Die Antragsteller sind ein deutscher VOD-Anbieter und mehrere amerikanische Filmproduzenten. Diese hatten die Antragsgegnerin – eine Internetdienstanbieterin (Accessprovider) – bereits mit Schreiben vom 14.12.2018 aufgefordert, geeignete Maßnahmen zu treffen, um den Zugang ihrer Kunden zu sechs bestimmten Werken der Antragstellerinnen über die Internetportale KINOX.TO, BURNING SERIES und SERIEN STREAM zu verhindern. Mit Schreiben vom 18.12.2018 weigerte sich die Antragsgegnerin, dem Begehren nachzukommen. Einige Tage später beantragten die Antragstellerinnen im Wege der einstweiligen Verfügung eine DNS-Sperre gem. § 7 Abs. 4 TMG analog. Dass die Portale auch andere Werke aus ihrem Repertoire anboten, war ihnen zu diesem Zeitpunkt schon länger als einen Monat bekannt. So bezeichneten sie die Zugänglichmachung der sechs im Antrag aufgeführten Werke als „Intensivierung“ ihrer Schutzrechtsverletzungen. Das LG München wies den Antrag mit Urteil vom 22.2.2019 mangels Dringlichkeit zurück. Dagegen erhoben die Antragstellerinnen Berufung vor dem OLG München.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Berufung der Antragstellerinnen wurde zurückgewiesen.

Rechteinhaber seien für die Darlegung und Glaubhaftmachung der dringlichkeitsbegründenden Tatsachen verantwortlich:

Vorliegend würden die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG sowie die des § 140 Abs. 3 MarkenG weder direkt noch analog zur Anwendung kommen, so dass es den Antragstellerinnen gem. § 936, § 920 Abs. 2 ZPO obliege, die Dringlichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. Zudem dürfe kein dringlichkeitsschädliches Verhalten vorliegen. Ein solches sei anzunehmen, wenn das Gesamtverhalten erkennen lasse, dass die Interessenlage des Antragstellers die Belastung des Antragsgegners und die Bevorzugung der Sache gegenüber anderen Verfahren bei Gericht nicht rechtfertigen könne.

Bei einem Eilantrag auf Sperrung des Zugangs zu bestimmten Internetportalen, sei die Dringlichkeit „seitenbezogen“ und nicht „schutzrechtsbezogen“ zu beurteilen, soweit die Sperrung nicht ausschließlich schutzrechtsbezogen wirkt:

Das Begehren der Antragstellerinnen sei auf Sperrung des Zugangs zu den streitgegenständlichen Internetportalen insgesamt gerichtet. Zwar sei der Antrag auf konkret benannte Werke der Antragstellerinnen gestützt, jedoch ändere dies nichts daran, dass die beantragte DNS-Sperre tatsächlich seiten- und nicht schutzrechtsbezogen wirke. Die Sperre verhindere nämlich generell den Zugang der Kunden der Antragsgegnerin auf die Internetdienste, so dass sie auf sämtliche Inhalte der Portale keinen Zugriff mehr hätten. Daher müsse man auch die Dringlichkeit seitenbezogen beurteilen. Wollte man einen Accessprovider auf Sperrung des Zugangs zu bestimmten Portalen wegen laufender Urheberrechtsverletzungen an verschiedenen Werken beanspruchen, lägen im Hinblick auf die Sperrmaßnahme kerngleiche Verletzungen vor.

Untätigkeit trotz längerer Kenntnis der Möglichkeit des Zugangs zu Internetportalen und gleichwertiger Schutzrechtsverletzungen stelle ein dringlichkeitsschädliches Verhalten dar:

Ein Antragsteller zeige ein dringlichkeitsschädliches Verhalten, wenn er trotz Kenntnis der Möglichkeit eine Sperrung herbeizuführen, eine diesbezügliche einstweilige Verfügung nicht innerhalb eines Monats beantrage. Dies sei vorliegend der Fall. Die Antragstellerinnen hätten seit längerem gewusst, dass die antragsgegenständlichen Portale von Kunden der Antragsgegnerin über deren Dienste aufgerufen werden könnten. Zudem hätten die Antragstellerinnen mit der Behauptung der „Intensivierung“ der Rechtsverletzungen durch das Zugänglichmachen der sechs im Antrag benannten Werke auf den streitgegenständlichen Portalen, deutlich gemacht, dass es ihnen vorher bereits bekannte Rechtsverletzungen gegeben haben muss. Die Antragstellerinnen hätten nicht deutlich gemacht, warum ihnen eine Inanspruchnahme der Antragsgegnerin auf Vornahme einer DNS-Sperre wegen dieser vorangegangenen Rechtsverletzungen, nicht schon zuvor möglich war. Dahingehend treffe sie aber eine Begründungspflicht. Zudem lasse der Sachvortrag nicht erkennen, warum ein Wiederaufleben der Dringlichkeit wegen „wesentlicher Intensivierung“ der Rechtsverletzungen anzunehmen sei. Eine (seitenbezogene) Dringlichkeit könne angesichts dessen nicht angenommen werden.

Rechteinhaber seien nicht zu privilegieren:

Schließlich entstünden durch diese Vorgehensweise auch keine Rechtsschutzlücken oder Widersprüche zur Durchsetzungsrichtlinie. Den Antragstellerinnen stünde weiter ein Vorgehen im Hauptsacheverfahren offen. Ihnen sei auch nicht grundsätzlich die Möglichkeit der Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes verwehrt, diese sei nur an das Vorliegen eines Verfügungsgrundes geknüpft. Dass dieser Verfügungsgrund in der bisherigen Rechtsprechung des Senats bis zum 7.2.2019 werkbezogen beurteilt wurde, begründet auch keine andere Bewertung. Ein dahingehender Vertrauensschutz zugunsten der Antragstellerin würde die Antragsgegnerin einseitig belasten, was dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit entgegen- stünde.


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