Recht zum Gegenschlag – Meinungsfreiheit schützt auch emotionalisierte Äußerungen

Autor: Rechtsanwalt Prof. Dr. Elmar Schuhmacher, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht LLS Lungerich Lenz Schuhmacher, Köln
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 08/2016
Die Meinungsfreiheit umfasst auch die Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert darzustellen. Dies gilt insbesondere bei einer Erwiderung auf einen unmittelbar vorangegangenen Angriff auf die Ehre, der gleichfalls in emotionalisierender Weise erfolgt ist.

BVerfG, Beschl. v. 3.3.2016 - 1 BvR 2844/13

Vorinstanz: BGH, Beschl. v. 30.7.2013 - VI ZR 518/12
Vorinstanz: OLG Köln, Urt. v. 6.11.2012 - 15 U 97/12
Vorinstanz: LG Köln, Urt. v. 30.5.2012 - 28 O 1065/11

GG Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1; StGB § 186

Das Problem

Der ehemalige Wettermoderator Kachelmann ist mit einer Frau liiert, bis diese ihn wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung anzeigt. Im darauf folgenden Strafprozess wird der Moderator freigesprochen, da ihm eine Straftat nicht nachgewiesen werden kann. Am Tag des Freispruchs sowie danach äußern sich seine Anwälte bei verschiedenen Gelegenheiten öffentlich über die Frau. Etwa eine Woche nach Verkündung des freisprechenden Urteils erscheint ein Interview mit ihm unter der Überschrift „Mich erpresst niemand mehr”, in dem er u.a. sagt:

„...das, was die Nebenklägerin mit mir gemacht hat, als sie sich den Vorwurf der Vergewaltigung ausdachte – das ist keine Verarsche. Das ist kriminell. Dafür gibt es keine Rechtfertigung... Viel interessanter wäre doch zu erfahren, was psychologisch in der Frau vorging, die mich einer Tat beschuldigt, die ich nicht begangen habe.”

Daraufhin gibt die Frau ihrerseits ein Interview, welches eine Woche später erscheint. Darin sagt sie u.a.:

„Wer mich und ihn kennt, zweifelt keine Sekunde daran, dass ich mir diesen Wahnsinn nicht ausgedacht habe”, „...die Tat könne sich nicht so abgespielt haben, wie es die Nebenklägerin, also ich, behauptet – und man selbst sitzt zu Hause, liest das und weiß ganz genau: ES WAR ABER SO!”

und

„In seinen Augen hat er in der besagten Nacht ja nichts falsch gemacht. Er hat nur die Machtverhältnisse wieder so hergestellt, wie sie seiner Meinung nach richtig sind”.

Weiter erklärt sie, dass sie eigentlich drei Traumata zu verarbeiten habe. Eines davon sei die Tat. Zudem schildert sie, dass der Moderator sie beim Verlassen ihrer Wohnung in jener Nacht mit dem Tod bedroht habe. Gegen diese Äußerungen geht der Moderator gerichtlich vor und verlangt Unterlassung. Das LG verurteilt die Frau entsprechend und das OLG weist ihre dagegen gerichtete Berufung im Wesentlichen zurück. Ihre Nichtzulassungsbeschwerde wird durch den BGH zurückgewiesen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sie sich gegen diese Entscheidungen.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BVerfG stellt fest, dass die Frau durch die Verurteilung zur Unterlassung in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt sei, hebt die Entscheidungen auf und verweist die Sache an das OLG zurück.

Schutzbereich: Durch die Urteile sei der Schutzbereich der Meinungsfreiheit berührt. Die Gerichte seien zutreffend davon ausgegangen, dass auch die als Tatsachenbehauptungen eingeordneten Äußerungen durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt seien. Diese Tatsachenbehauptungen seien auch nicht erwiesen unwahr, da im Strafverfahren nicht geklärt werden konnte, wessen Angaben der Wahrheit entsprechen. Nach dem Freispruch würden sich die verschiedenen Wahrnehmungen als subjektive Bewertungen eines nicht aufklärbaren Geschehens darstellen, die nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern als Meinungen zu behandeln seien.

Abwägung: Von Bedeutung bei der gebotenen Abwägung sei u.a., ob die Äußerung lediglich eine private Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen betrifft oder ob von der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht werde. Handele es sich bei der Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, so späche eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede. Allerdings beschränke sich die Meinungsfreiheit nicht allein auf die Gewährleistung eines geistigen Meinungskampfs in öffentlichen Angelegenheiten. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG könne nicht auf ein rein funktionales Verständnis zur Förderung einer öffentlichen Debatte mit Gemeinbezug reduziert werden. Vielmehr sei das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung als subjektive Freiheit des unmittelbaren Ausdrucks der menschlichen Persönlichkeit ein grundlegendes Menschenrecht. Die Meinungsfreiheit sei als individuelles Freiheitsrecht folglich auch um ihrer Privatnützigkeit willen gewährleistet und umfasse nicht zuletzt auch die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen.

„Recht auf Gegenschlag”: Zu berücksichtigen sei, dass grundsätzlich auch die überspitzte Meinungsäußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung unterliege. Dabei könne insbesondere bei Vorliegen eines unmittelbar vorangegangenen Angriffs auf die Ehre eine diesem Angriff entsprechende, ähnlich wirkende Erwiderung gerechtfertigt sein. Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben habe, müsse eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindere. Soweit die Instanzgerichte davon ausgegangen seien, dass sich die Frau auf eine Wiedergabe der wesentlichen Fakten und eine sachliche Darstellung des behaupteten Geschehens zu beschränken gehabt hätte, sei die durch das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert zu bewerten, verkannt worden. Diese Auffassung übersähe auch das öffentliche Interesse an einer Diskussion der Konsequenzen und auch Härten, die ein rechtsstaatliches Strafprozessrecht aus Sicht möglicher Opfer haben könne. Zudem hätten die Gerichte in die erforderliche Abwägung auch nicht den Druck eingestellt, der auf der Frau lastete und sie dazu brachte, das Ergebnis des weithin von der Öffentlichkeit begleiteten Prozesses kommunikativ verarbeiten zu wollen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sich die Frau in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem (noch nicht rechtskräftigen) Freispruch äußerte und in Bezug auf das Strafverfahren auch keine neuen Tatsachen vorbrachte, sondern lediglich wiederholte, was der Öffentlichkeit auf Grund der umfänglichen Berichterstattung zu dem Verfahren bereits bekannt war. Auch hätten die Gerichte verkannt, dass das „Recht auf Gegenschlag” hier nicht auf eine sachliche, am vorausgegangenen Interview des Moderators orientierte Erwiderung beschränkt gewesen sei, weil sich auch dieser und seine Anwälte nicht sachlich, sondern gleichfalls in emotionalisierender Weise geäußert hätten. Wer auf diese Weise an die Öffentlichkeit träte, müsse eine entsprechende Reaktion hinnehmen.


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