Wann verjährt der Urlaubsanspruch? – Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts

02.10.2023, Autor: Frau Cátia Sofia Dileone das Neves Sequeira / Lesedauer ca. 3 Min. (57 mal gelesen)
Die Frage nach dem Urlaubsanspruch und seiner Verjährung interessiert Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichermaßen. Sie wird auch und vor allem dann relevant, wenn Mitarbeitende das Unternehmen verlassen und Ansprüche auf Urlaubsabgeltung erheben. Teilweise haben sie über Jahre den ihnen zustehenden Urlaub nicht genommen, sodass bei einer Abgeltung stattliche Summen zusammenkommen könnten.

Es geht also bei der Frage nach der Verjährung von Urlaubsansprüchen nicht nur um Rechtssicherheit, sondern auch um bares Geld. Mit seinem Grundsatzurteil sorgt das Bundesarbeitsgericht für Klarheit (BAG, Urteil v. 20.12.2022, Az.:9 AZR 266/20).

Unterschiede zwischen deutschem Recht und Europarecht

Im deutschen Recht – konkret: im Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) – ist grundsätzlich eindeutig geregelt, dass Urlaubsansprüche mit dem Ende des Kalenderjahres, für das der Anspruch besteht, verfallen. Spätestens aber verfallen sie zum 31.3. des Folgejahres.

Anders ist es im Europarecht. Dort ist das Recht auf bezahlten Jahresurlaub in Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta geregelt und hat damit noch einmal eine ganz andere Bedeutung. Regelungen zum Urlaub finden sich auch in der Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG und in einer Vielzahl von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

Das hat auch Einfluss auch die Rechtsprechung des BAG. So hat es bereits 2019 eine Hinweis- und Aufklärungspflicht für Arbeitgeber geschaffen. Schon damals stellte das Gericht fest, dass Urlaubsansprüche nur dann verfallen können, wenn der Arbeitgeber seine Mitarbeitenden auf diese Möglichkeit hingewiesen hat. Ansonsten können Mitarbeitende Alturlaub einfordern bzw. – wenn sie aus dem Unternehmen ausgeschieden sind – Urlaubsabgeltung in Geld verlangen.

Unterschied Urlaubsanspruch und Abgeltungsanspruch?

Heißt das aber jetzt, dass Mitarbeitende ihre Urlaubsansprüche ohne zeitliche Begrenzung geltend machen können? Und nicht nur Urlaubsansprüche, sondern auch Abgeltungsansprüche? Oder verjähren diese Ansprüche nicht zumindest nach der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren?

Diese Frage war bis zum Grundsatzurteil des BAG noch offen und ist jetzt im Anschluss an eine entsprechende europarechtliche Entscheidung des EuGH geklärt worden.

Worum ging es im Fall vor dem BAG?

Eine Steuerfachangestellte war über 20 Jahre bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Seit 2013 hatte sich eine ganze Menge an Urlaubstagen angesammelt, die die Fachangestellte nicht nehmen konnte. Ihr Arbeitgeber hatte sie nicht darauf hingewiesen, dass Urlaubsansprüche verfallen können, wenn der Urlaub nicht genommen wird. Die Fachangestellte verlangte nach ihrem Ausscheiden aus der Kanzlei Urlaubsabgeltung für den nicht genommenen Urlaub. Der Arbeitgeber zahlte allerdings nur für 14 Tage, über weitere 101 nicht genommene Urlaubstage wurde man sich nicht einig. Der Fall landete vor Gericht.

In erster Instanz wurden der Fachangestellten nur Abgeltungsansprüche für 2017, das Jahr ihres Ausscheidens, zugesprochen. In zweiter Instanz wurde der Arbeitgeber verurteilt, auch für die weiter zurückliegenden Urlaubstage Abgeltung zu leisten – in Höhe von 17.376,64 € brutto. Der wehrte sich gegen diese Entscheidung vor dem Bundesarbeitsgericht.

BAG: Arbeitgeber muss Hinweispflicht erfüllen!

Ja, ein Urlaubsanspruch kann grundsätzlich regulär nach drei Jahren verjähren, so das Gericht. Das gilt allerdings nach Ansicht des BAG nur dann, wenn Unternehmen ihre Mitarbeitenden darauf hingewiesen haben, dass ihr Urlaubsanspruch verfallen kann, wenn er nicht (rechtzeitig) genommen wird.

Wenn der Arbeitgeber seine Hinweispflicht nicht erfüllt, kann er sich auch bei älteren Urlaubsansprüchen nicht auf die regelmäßige Verjährungsfrist berufen. Ohne einen entsprechenden Hinweis haben Mitarbeitende auch noch Jahre später einen Urlaubsanspruch. Unabhängig davon, wie lange das Jahr zurückliegt, aus dem der Anspruch stammt.

Dem Arbeitgeber half auch nicht, dass 2017 und früher die Hinweispflicht noch nicht vom BAG eingeführt worden war. Die Fachangestellte hat Anspruch auf Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung.
Das hatte der BAG sich vorab auch vom EuGH bestätigen lassen. Der EuGH sieht zwar, dass eine Verjährung von Urlaubsansprüchen bei den Arbeitgebern zu mehr Rechtssicherheit führen würde. Darauf könne man sich als Arbeitgeber aber nur berufen, wenn man es seinen Mitarbeitenden ermöglicht habe, ihren Urlaub tatsächlich wahrzunehmen. Eine Verjährung von Urlaubsansprüchen komme daher bei nicht aufgeklärten Mitarbeitenden nicht in Betracht.

Das bedeutet im Ergebnis, dass die ordentliche Verjährungsfrist von Urlaubsansprüchen erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber seine Mitarbeitenden darüber informiert hat, dass sie Anspruch auf Urlaub haben und dass dieser verfällt, wenn er nicht genommen wird.
Fehlt ein solcher Hinweis, dann verjähren weder Urlaubsansprüche von Mitarbeitenden noch Urlaubsabgeltungsansprüche von ehemaligen Mitarbeitenden!

Unsicherheit trotz Urteil des BAG

Für Arbeitgeber ist das Urteil des BAG insofern misslich, als dass für sie noch immer nicht klar ist, welche (finanziellen) Verpflichtungen sich für sie noch ergeben können. Zum einen müssen sie für den Fall einer Auseinandersetzung beweisen können, dass sie einen entsprechenden Hinweis gegeben haben oder dass sie den Urlaubsanspruch bereits erfüllt haben. Ansonsten besteht im Zweifel ein Anspruch der Mitarbeitenden auf Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung.

Zum anderen können Mitarbeitende immer noch Ansprüche aus den Jahren vor 2019 geltend machen, wenn der Arbeitgeber nicht schon vor Einführung der Hinweispflicht durch das BAG entsprechende Hinweise erteilt hat.

Sie möchten mehr zu den Hinweispflichten des Arbeitgebers wissen?

Sind Sie Arbeitgeber und möchten Ihre Mitarbeitenden rechtssicher darüber informieren, dass ihr Urlaub unter gewissen Voraussetzungen verfallen kann? Oder sind Sie Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer und unsicher, ob Ihr Arbeitgeber Sie korrekt informiert hat?

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