Zulässigkeit von Presseberichten über ein laufendes Strafverfahren

Autor: RA Dr. Yvonne Kleinke, Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht, MoserBezzenberger Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 07/2013
Die Berichterstattung während eines laufenden Strafverfahrens über Äußerungen des Angeklagten, aus denen sich Rückschlüsse auf sexuelle Neigungen ergeben, kann im Nachhinein nach Verlesung der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung zulässig werden.

BGH, Urt. v. 19.3.2013 - VI ZR 93/12

Vorinstanz: OLG Köln, Urt. v. 14.2.2012 - 15 U 123/11
Vorinstanz: LG Köln, Urt. v. 22.6.2011 - 28 O 956/19

BGB §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1; GG Art. 1, 2 Abs. 1

Das Problem:

Im März 2010 wurde ein Fernsehmoderator und Journalist verhaftet, da die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts der Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ermittelte. Inzwischen wurde er rechtskräftig von den Tatvorwürfen freigesprochen. Im Rahmen der kurz nach der Verhaftung einsetzenden intensiven Medienberichterstattung über das gegen ihn geführte Strafverfahren sowie über sein bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend unbekanntes Privatleben berichtete u.a. auch ein Internetportal-Betreiber nach Anklageerhebung, jedoch vor Eröffnung des Hauptverfahrens unter der Überschrift „Der K.-Krimi: Neue Indizien aus der Tatnacht” über intime Details, die aus der Einlassung des Moderators in seiner ersten richterlichen Vernehmung stammten. Das Protokoll dieser Vernehmung wurde nach der Berichterstattung auch in der öffentlichen Hauptverhandlung im Strafverfahren verlesen. Dabei wurde u.a. auch die in der Berichterstattung wiedergegebene Passage der Einlassung verlesen:

Es war dann so, das war das übliche Verfahren bei den Treffen, dass ich geklingelt habe, langsam die Treppe hoch ging, ich die Türe aufmachte, die angelehnt war, und sie wartete dann schon ausgezogen oder in diesem Fall mit schon hochgezogenem Strickkleidchen. In ihrem Besitz und zu ihrem Haushalt gehörten auch Handschellen, die sie in diesem Fall schon in der einen Hand hatte und eine Reitgerte, die auch zu ihrem Haushalt gehörte, die immer bei ihr war und die sie dann jeweils, wenn sie Lust darauf hatte, bereitlegte.

Die Entscheidung des Gerichts:

Nachdem das LG – bestätigt durch das OLG – der Klage des Moderators stattgegeben und den Portalbetreiber zur Unterlassung hinsichtlich der Äußerungen verurteilt hatten, hob der BGH die Instanzurteile auf und wies die Klage ab.

Persönlichkeitsrechtsverletzung: Der Rechtsprechung der Instanzgerichte folgend sei in der Berichterstattung über Sexualpraktiken, die der Moderator in seiner Beziehung zur Anzeigenerstatterin angewandt haben soll, eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zusehen. Auch wenn die Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung erfüllt seien, dürften die Medien über die Person des Verdächtigen nicht schrankenlos berichten. Dem unantastbaren Kernbereich der Intimsphäre gehörten grundsätzlich Ausdrucksformen der Sexualität an. Allerdings gehörten Sexualstraftaten, weil sie einen gewalttätigen Übergriff auf das Opfer beinhalteten, nicht in den absolut geschützten Kernbereich des Persönlichkeitsrechts des Tatverdächtigen.

Unschuldsvermutung gebietet Zurückhaltung bei Mitteilungen über den privaten Lebensbereich: Vorliegend falle aber zugunsten des Moderators ins Gewicht, dass die streitbefangene Berichterstattung aus seiner Einlassung bei der nicht öffentlichen Vernehmung anlässlich der Eröffnung des Haftbefehls stamme. Da die Berichterstattung während eines laufenden Strafverfahrens erfolgt sei, sei zugunsten des Moderators zudem im Rahmen der Abwägung die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Unschuldsvermutung zu berücksichtigen, die grundsätzlich Zurückhaltung bei der Mitteilung von Einzelheiten aus dem privaten Lebensbereich gebiete. Im vorliegenden Fall werde der Moderator jedoch als Person mit sadomasochistischen Neigungen dargestellt, was zu einer Stigmatisierung des Moderators in der Öffentlichkeit führe, so dass die Berichterstattung im Juni 2010 rechtswidrig gewesen sei.

Wegfall der Wiederholungsgefahr: Gleichwohl bestehe kein Unterlassungsanspruch des Moderators wegen der streitbefangenen Berichterstattung. Bei einem Strafverfahren sei regelmäßig die Kenntnis der Einlassung des Angeklagten für die Beurteilung des weiteren Verfahrensverlaufs und das Verständnis der Beweiserhebung von erheblicher Bedeutung, so dass eine ausgewogene Berichterstattung kaum auf die Wiedergabe der Einlassung verzichten könne. Unter diesen Umständen sei die Wiederholungsgefahr nicht mehr gegeben, weil ein überwiegendes Schutzinteresse des Moderators einer aktuellen Berichterstattung hinsichtlich der seiner Einlassung entstammenden Aussagen nicht mehr entgegenstehe, nachdem sie durch Verlesung des Vernehmungsprotokolls in öffentlicher Hauptverhandlung einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden seien.


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