Wann wird aus einem Totschlag ein Mord?

14.07.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 6 Min. (4073 mal gelesen)
Mord,Totschlag,Mordmerkmale,Freiheitsstrafe,Vorsatz Wann ist ein Tötungdelikt Mord? Oft ist dies keine einfache Frage. © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Heimtücke: Ein Totschlag wird zu einem Mord, wenn die Tat heimtückisch ausgeführt wurde, also der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst ausnutzt, um dieses zu töten.

2. Niedrige Beweggründe: Auch, wenn die Tat aus besonders niedrigen Beweggründen erfolgt, kann ein Totschlag als Mord gewertet werden.

3. Andere Mordmerkmale: Darüber hinaus kann eine grausame Begehungsweise, die Verwendung von gemeingefährlichen Mitteln oder das Vorliegen anderer in § 211 StGB genannten Mordmerkmale einen Totschlag zum Mord qualifizieren.
Mord und Totschlag sind Straftatbestände. Beide haben gemeinsam, dass ein Vorsatz des Täters nachgewiesen werden muss. Ein Vorsatz allein macht also aus einem Totschlag noch keinen Mord. Ein deutlicher Unterschied zwischen beiden besteht in der Strafandrohung: Ein Mörder wird nach § 211 des Strafgesetzbuches (StGB) mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Wer jedoch einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein – also einen Totschlag begeht – bekommt nach § 212 StGB eine Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Das genaue Strafmaß bestimmt das Gericht je nach Tat. Nur in besonders schweren Fällen des Totschlags wird eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Nebenbei: Der in § 211 StGB geregelte Totschlag muss seinerseits von der fahrlässigen Tötung unterschieden werden (§ 222 StGB).

Die Mordmerkmale: Wann ist es Mord?


Für eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes muss eines der in § 211 StGB genannten Mordmerkmale erfüllt sein.

Nach § 211 Absatz 2 StGB ist ein Mörder, wer

- aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
- heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
- um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Vor Gericht sind also einerseits die Gründe für die Tat entscheidend, andererseits aber auch die Begehungsweise. Im Folgenden erläutern wir einige der Mordmerkmale an Beispielen.

Fall: Der Berliner Mord an einer Pferdewirtin


Der Bundesgerichtshof befasste sich vor Jahren mit einem Aufsehen erregenden Mordfall. Dabei wurden mehrere Mitglieder einer Familie sowie deren Bekannte aufgrund eines Mordkomplotts zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt – ein eher seltener Fall. Das Opfer war eine 21-jährige Pferdewirtin in Berlin-Lübars. Deren Lebensgefährte, ein Springreiter, und seine Mutter träumten von einem eigenen Reiterhof. Zur Erfüllung dieses Traums war ihnen offenbar jedes Mittel recht.
Daher schlossen sie auf den Namen der jungen Frau mehrere Lebensversicherungen in Gesamthöhe von 2,5 Millionen Euro zugunsten ihres Lebensgefährten ab. Die Verträge wurden ihr teilweise mit der Erklärung zur Unterschrift untergeschoben, dass damit Kredite abgesichert werden sollten. Sobald die Lebensversicherungen abgeschlossen waren, entwickelten sie Pläne, um die junge Frau zu töten.

Wann liegt das Mordmerkmal der Heimtücke vor?


Im April 2012 rammte die Mutter des Lebensgefährten in Absprache mit ihrem Sohn der 21-Jährigen ein Messer in den Rücken. Die junge Frau wehrte sich jedoch und überlebte. Die 57-Jährige redete sich mit einem "Blackout" heraus.

Aus rechtlicher Sicht liegt hier als Motiv und Mordmerkmal Habgier vor. Zudem war die Begehungsweise heimtückisch. Damit ist ein weiteres Mordmerkmal erfüllt. Heimtücke liegt vor, wenn der Täter oder die Täterin die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst ausnutzen. Die Täter greifen das Opfer also in einer Situation an, in dem dieses keinen Angriff auf Leib oder Leben erwartet und nicht verteidigungsbereit ist.

Hier war die versuchte Tat heimtückisch, weil der Angriff von hinten erfolgte, durch eine Person, der das Opfer vertraute. Zwar zog die junge Frau danach zu ihren Eltern, sie hielt jedoch weiter Kontakt zu dem Springreiter.

Heimtücke durch Vergiften?


Der Springreiter brachte nun eine 29-jährige Bekannte dazu, zur Tat zu schreiten. Diese hatte sich in ihn verliebt. Sie traf sich mit der Pferdewirtin anlässlich eines fingierten Pferdekaufs und bot ihr ein vergiftetes Glas Sekt an. Das Gift wirkte jedoch nicht wie gewünscht. Erneut überlebte die junge Frau.

Auch hier liegt das Mordmerkmal Heimtücke nahe, da eine harmlose Situation ausgenutzt wurde. Die Gerichte gehen meist von Heimtücke aus, wenn jemandem in einem Getränk oder Nahrungsmittel Gift verabreicht wird. Dass sich der Springreiter und seine Mutter ausführlich über Gifte informiert hatten, konnte die Polizei später durch ihren Browserverlauf beweisen.

Mordmerkmale Heimtücke und Habgier durch Erwürgen mit Belohnung?


Nun schritt auch noch der Bruder der 29-jährigen Bekannten zur Tat. Er heuerte einen finanziell schlecht gestellten Pizzaboten an, um die Pferdewirtin zu erwürgen. Zuerst lockten der Springreiter und die 29-Jährige das Opfer unter einem Vorwand auf einen Parkplatz. Dort wartete der Pizzabote. Er erdrosselte die junge Frau mit einem Seil. Dafür erhielt er 500 Euro. Auch hier handelt es sich um Heimtücke bei der Begehungsweise. Zusätzlich ist das Mordmerkmal der Habgier erfüllt.

Wen verurteilte das Gericht wegen Mordes?


Das Landgericht Berlin verurteilte die 57-jährige Mutter und ihren Sohn, den Lebensgefährten des Opfers, jeweils zu lebenslangen Freiheitsstrafen wegen Mordes. Es stellte obendrein die besondere Schwere der Schuld fest, da beide über sieben Monate hinweg Mordpläne ausgearbeitet und umzusetzen versucht hatten. In der Urteilsbegründung sprach das Gericht von "ungehemmter Geldgier und kaum zu übertreffender Gefühlskälte".

Auch der Pizzabote wurde wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Den Bruder der 29-jährigen Bekannten verurteilte das Gericht wegen Anstiftung (des Pizzaboten) zum Mord zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe.

Die 29-Jährige Bekannte erhielt wegen Mordes und versuchten Mordes eine Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten. Das Gericht sah hier ausnahmsweise von einer lebenslangen Freiheitsstrafe ab, da sie als einzige die Tat zugegeben und maßgeblich bei deren Aufklärung geholfen hatte. Eine solche Ausnahme ist nach § 46b StGB möglich. Trotzdem ist auch dann eine Mindeststrafe von zehn Jahren vorgeschrieben.

Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil des Landgerichts gegen sämtliche Täter (Beschluss vom 2. März 2016, Az. 5 StR 556/15).

Zahlt eine Lebensversicherung bei Mordverdacht?


Unter bestimmten Umständen zahlt eine Lebensversicherung nicht. Dazu gehört der Selbstmord des Versicherten. Aber auch bei Verdacht auf Mord wird die Versicherungsgesellschaft in aller Regel mit ihrer Zahlung bis zur Aufklärung des Falles warten. Hat der Begünstigte einer Lebensversicherung den Versicherten ermordet, gibt es natürlich kein Geld. Daher kann eine Zahlung bei Mordverdacht für lange Zeit aufgeschoben werden. Im oben beschriebenen Fall wäre niemals eine Lebensversicherung ausgezahlt worden.

Mordmerkmale: Was sind niedrige Beweggründe?


Auch niedrige Beweggründe für ein Tötungsdelikt sind ein Mordmerkmal und können damit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe führen. Sie sind ein sogenannter "Auffangtatbestand". Nach der Rechtsprechung sind Beweggründe für eine Tötung niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe stehen und daher besonders verachtenswert sind. Dabei kommt es darauf an, ob die Tat noch als nachvollziehbare Reaktion auf irgendetwas angesehen werden kann und ob die Motivation des Täters menschlich nachvollziehbar ist. Wenn dies der Fall ist und keine anderen Mordmerkmale erfüllt sind, handelt es sich nicht um einen Mord aus niedrigen Beweggründen, sondern um einen Totschlag.

Solche Erwägungen spielen oft bei Tötungen im Affekt eine Rolle, also etwa aus Wut, Rachsucht oder Eifersucht. Bei diesen Fällen kommt es besonders darauf an, ob der die Tat auslösende Affekt allein einer niedrigen Gesinnung des Täters zuzuschreiben ist.

Mit Vorsatz? Tötung durch Rasen und illegale Autorennen


In letzter Zeit tendieren deutsche Gerichten dazu, Personen, die bei illegalen Autorennen oder durch extremes Rasen andere zu Tode bringen, wegen Mordes zu verurteilen. In solchen Verfahren wird heftig um das Vorliegen von Mordmerkmalen gestritten. Im sogenannten Berliner Raser-Fall verurteilte 2019 das Landgericht Berlin die zwei Kontrahenten eines spontanen illegalen Autorennens, bei dem ein unbeteiligter Autofahrer getötet worden war, wegen gemeinschaftlichen Mordes.

Nach Ansicht des Gerichts hatten sie einen bedingten Tötungsvorsatz gehabt, da sie den Tod anderer billigend in Kauf genommen hätten. Hier seien die Mordmerkmale der gemeingefährlichen Begehung, der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe erfüllt. Mit ihren schweren Autos hätten die Angeklagten viele andere Verkehrsteilnehmer auf dem auch nachts belebten Kurfürstendamm gefährdet. Der Getötete sei arg- und wehrlos gewesen. Er habe zu Recht darauf vertraut, gefahrlos bei Grün losfahren zu können. Die niedrigen Beweggründe lägen darin, dass das Motiv der Angeklagten, das Autorennen um jeden Preis zu gewinnen, sittlich auf tiefster Stufe gestanden habe (Az. 532 Ks 9/18).

Letztendlich wurde der Fahrer, dessen Fahrzeug gar nicht an der Kollision beteiligt gewesen war, nicht wegen vollendeten Mordes verurteilt, sondern wegen Mordversuchs. Er bekam 13 Jahre Freiheitsstrafe. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil (Beschluss vom 19.1.2022, Az. 4 StR 319/21).

Wie hoch sind die Freiheitsstrafen bei Mord tatsächlich?


Ein Mord wird generell mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet. Allerdings dauert diese meist nicht bis zum Lebensende. Die genaue Haftdauer hängt neben dem Bundesland und seiner politischen Ausrichtung von verschiedenen Faktoren ab, darunter der Sozialprognose des Inhaftierten. Durchschnittlich sitzen "Lebenslängliche" in Deutschland für 22 Jahre im Gefängnis. Nach 15 Jahren besteht die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung bei guter Führung und guter Sozialprognose. Dies ist jedoch ausgeschlossen, wenn das Gericht im Urteil eine besondere Schwere der Schuld festgestellt hat.

Praxistipp zur Unterscheidung von Mord und Totschlag


Kommt es zu einem Strafverfahren wegen eines Tötungsdelikts, ist für den Angeschuldigten ein erfahrener Strafverteidiger unverzichtbar. Zu empfehlen ist ein Fachanwalt für Strafrecht. Ein Fachanwalt kann jedoch auch die Angehörigen des Mordopfers als Nebenkläger vor Gericht sachgerecht beraten und vertreten.

(Wk)


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 Günter Warkowski
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