BAG, Urt. 12.2.2025 - 5 AZR 127/24

Freistellung während der Kündigungsfrist – Unterlassener Zwischenverdienst in der Regel nicht böswillig

Autor: RA FAArbR Dr. Norbert Windeln, LL.M., avocado rechtsanwälte, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 05/2025
Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich und stellt den Arbeitnehmer trotz dessen Beschäftigungsanspruch von der Arbeit frei, unterlässt der Arbeitnehmer in der Regel nicht böswillig i.S.d. § 615 Satz 2 BGB anderweitigen Verdienst, wenn er nicht schon vor Ablauf der Kündigungsfrist ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis eingeht.

BGB §§ 242, 615 Satz 2

Das Problem

Die Parteien streiten über Annahmeverzugslohn für den Monat Juni 2023.

Die Beklagte kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis Ende März 2023 mit Wirkung zum 30.6.2023. Gleichzeitig stellte sie den Kläger unwiderruflich von der Arbeitspflicht frei, wobei dies zunächst unter Anrechnung von elf noch vorhandenen Urlaubstagen geschah.

Der Kläger meldete sich Anfang April bei der Arbeitsagentur arbeitssuchend, erhielt jedoch erst im Juli Vermittlungsvorschläge. Die Beklagte hingegen übersandte dem Kläger bereits im Mai diverse Stellenangebote. Auf sieben hiervon bewarb sich der Kläger, allerdings erst ab Ende Juni 2023.

Die Beklagte zahlte dem Kläger im Juni 2023 kein Gehalt, da sie der Ansicht ist, der Kläger hätte sich zeitnäher auf die ihm überlassenen Stellenangebote bewerben müssen. Da er dies böswillig i.S.d. § 615 Satz 2 BGB unterlassen habe, müsse er sich fiktiven anderweitigen Verdienst in Höhe des bei der Beklagten bezogenen Gehalts anrechnen lassen.

Das Arbeitsgericht weist die Klage auf Zahlung der Vergütung für Juni 2023 ab, das LAG gibt ihr statt.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG bestätigt die Entscheidung des LAG.

Die Beklagte habe sich aufgrund der einseitig erklärten Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist in Annahmeverzug befunden und schulde dem Kläger deshalb gem. § 615 Satz 1 BGB auch für Juni 2023 die vereinbarte Vergütung. Der Kläger müsse sich auf diese Vergütung keinen anderweitigen fiktiven Verdienst nach § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen.

Die Vorschrift enthalte eine Billigkeitsregelung. Für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger wider Treu und Glauben untätig geblieben sei und damit anderweitigen Erwerb „böswillig“ i.S.d. § 615 Satz 2 BGB unterlassen habe, komme es stets auf eine vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls an.

Vorliegend habe die Beklage den Kläger einseitig freigestellt, obwohl dieser einen Beschäftigungsanspruch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gehabt habe. Ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers sei nicht dargetan. Durch die einseitige Freistellung des Klägers habe die Beklagte ihre Beschäftigungspflicht verletzt und sich vertragsuntreu verhalten.

In dieser Situation sei der Kläger nicht verpflichtet gewesen, die Beklagte ohne Rücksicht auf die eigenen Belange finanziell zu entlasten. Es habe für ihn in dieser Situation nicht die Obliegenheit bestanden, bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist einer anderweitigen Beschäftigung nachzugehen.


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