BAG, Urt. 5.12.2024 - 8 AZR 372/20

Schadensersatz für Teilzeitbeschäftigte wegen Benachteiligung bei Überstundenzuschlägen

Autor: RA Dr. Florian Wieg, Gleiss Lutz, Düsseldorf
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 05/2025
Ein schuldhafter Verstoß gegen das in § 4 Abs. 1 TzBfG geregelte Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten kann zu einem Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB führen.

BGB § 823 Abs. 2; TzBfG § 4 Abs. 1

Das Problem

Die klagende Pflegekraft begehrt vom beklagten Arbeitgeber, einem ambulanten Dialyseanbieter, eine Zeitgutschrift für Überstundenzuschläge auf ihrem Arbeitszeitkonto und eine Entschädigung nach dem AGG.

Der Beklagte beschäftigt ca. 5.000 Arbeitnehmer, davon rund 53 % in Teilzeit. Etwa 85 % der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Die Klägerin ist mit 80 % der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft tätig. Auf ihr Arbeitsverhältnis findet ein Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung. Nach dessen § 10 Nr. 7 Satz 2 sind nur Überstunden, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit einer Vollzeitkraft hinaus geleistet werden, mit 30 % zuschlagspflichtig.

Ende Februar 2018 wies das Arbeitszeitkonto der Klägerin ein Guthaben von 29 Stunden auf. Der Beklagte zahlte hierfür weder Überstundenzuschläge noch verbuchte er eine den Zuschlägen entsprechende weitere Zeitgutschrift. Letzteres forderte die Klägerin erstmals am 22.10.2018.

Die Entscheidung des Gerichts

Nach Vorabentscheidung durch den EuGH (EuGH, Urt. v. 29.7.2024 – C-184/22, ArbRB 2024, 261 [Meyer]) stellt das BAG die Teilnichtigkeit von § 10 Nr. 7 Satz 2 MTV wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten fest; außerdem bewertet es die Tarifregelung als geschlechtsdiskriminierend. Das BAG verurteilt den Beklagten antragsgemäß, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin weitere acht Stunden und 42 Minuten gutzuschreiben und spricht ihr eine Entschädigung i.H.v. 250,- € zu.

Der Anspruch auf die Zeitgutschrift folge mit Rücksicht auf dessen klaren Wortlaut nicht aus dem MTV und – im Streitfall – auch nicht aus § 612 Abs. 2 BGB. Zwar sei § 10 Nr. 7 Satz 2 MTV wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot aus § 4 Abs. 1 TzBfG gem. § 134 BGB teilnichtig. Die Klägerin habe aber die nach dem MTV für den Anspruch aus § 612 Abs. 2 BGB geltende sechsmonatige Ausschlussfrist versäumt.

Sie könne die Zeitgutschrift stattdessen aus § 823 Abs. 2 BGB verlangen. § 4 Abs. 1 TzBfG sei ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Dieses habe der Beklagte rechtswidrig und schuldhaft verletzt. Ein Verschulden sei erforderlich, obschon ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG auch ohne Verschulden möglich sei. Der Beklagte habe die von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung nicht widerlegt, insbesondere die Voraussetzungen eines unverschuldeten Rechtsirrtums nicht dargelegt. Die im MTV geregelten Ausschlussfrist („Ansprüche aus dem Tarifvertrag müssen [...] geltend gemacht werden“) erfasse den deliktischen Anspruch nicht.

Wegen des Entschädigungsanspruchs aus § 15 Abs. 2 AGG und dessen Höhe verweist das BAG auf seine Parallelentscheidung vom selben Tag (BAG, Urt. v. 5.12.2024 – 8 AZR 370/20, ArbRB 2025, 99 [Windeln]). § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV verstoße, soweit er einen Anspruch auf Überstundenzuschläge erst bei Überschreiten der kalendermonatlichen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft vorsehe, auch gegen das Verbot der mittelbaren Benachteiligung wegen des weiblichen Geschlechts, § 7 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 AGG.


Wussten Sie schon?

Werden Sie jetzt Teilnehmer beim Anwalt-Suchservice und Sie greifen jederzeit online auf die Zeitschrift „Arbeits-Rechtsberater“ des renommierten juristischen Fachverlags Dr. Otto Schmidt, Köln, zu.

Die Zeitschrift ist speziell auf Praktiker zugeschnitten. Sie lesen aktuelle Urteilsbesprechungen inklusive speziellem Beraterhinweis sowie Fachaufsätze und Kurzbeiträge zum Thema Arbeitsrecht und zwar 24/7, also wo und wann immer Sie wollen.

Infos zur Teilnahme