BAG, Urt. 14.5.2025 - 5 AZR 215/24

Vergütung von Umkleidezeiten während Krankheit und Urlaub

Autor: RA FAArbR Dr. Detlef GrimmRA Dr. Sebastian Krülls, LL.M, Loschelder Rechtsanwälte, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 08/2025
Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, bei Ausübung der geschuldeten Tätigkeit spezielle Schutzkleidung zu tragen, so ist das Umkleiden im Betrieb grundsätzlich vergütungspflichtige Arbeit. Diese Einordnung schließt aber individual- oder kollektivrechtliche Regelungen nicht aus, nach denen die für das innerbetriebliche Umkleiden aufgewendete Zeit anders zu vergüten ist als die „eigentliche Tätigkeit“. Eine solche besondere Form der Vergütung der Umkleidearbeit kann auch eine pauschale Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto sein.

BGB § 611a; BUrlG § 1; EFZG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; ZPO § 322 Abs. 1

Das Problem

Der Kläger war als Rettungssanitäter bei der Beklagten beschäftigt. Bei Ausübung seiner Tätigkeit muss er Schutzkleidung tragen, die im Betrieb an- und abgelegt wird. Der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Manteltarifvertrag (MTV) enthält eine Regelung zur Einrichtung eines Jahresarbeitszeitkontos, auf dem die individuelle Jahressonderleistung hinterlegt ist.

Die geschuldete Arbeit wird nach § 11 Abs. 2 MTV „durch Arbeit und Abwesenheit, die der Arbeit gleichsteht (z.B. Urlaub, Krankheit) erbracht“. Für das An- und Ablegen der Schutzkleidung wird nach § 23 Abs. 2 MTV pro geleisteter Schicht eine Zeitgutschrift von pauschal 12 Minuten auf dem Arbeitszeitkonto bewirkt. Diese Zeitgutschrift gewährt die Beklagte nur, wenn der Mitarbeiter tatsächlich arbeitet, jedoch nicht, wenn er im Urlaub oder krank ist.

Der Kläger verlangt mit einer Leistungsklage eine Zeitgutschrift für die Umkleidezeit im Umfang von 5,8 Stunden für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und 4,6 Stunden für Urlaubszeiten, insgesamt 10,4 Stunden. Zugleich hatte er eine Feststellungsklage erhoben, mit der eine entsprechende Pflicht der Beklagten zur Gutschrift der Umkleidezeiten festgestellt werden sollte.

Das Arbeitsgericht hat beide Anträge abgewiesen. In die Berufungsinstanz ist nur die Leistungsklage gelangt, die sukzessive erweitert worden war. Nach fast vier Jahren Berufungsverfahren hat das LAG der Klage stattgegeben, soweit die Ansprüche nicht nach der tarifvertraglichen Ausschlussfristenregelung verfallen waren.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Revision der Beklagten weist das BAG zurück. Die Zeitgutschrift nach § 23 Abs. 2 MTV für das An- und Ablegen der Schutzkleidung sei eine andere Form des Entgelts bzw. der Arbeitsvergütung. Da das vorgeschriebene Umkleiden im Betrieb zur Ausübung der Arbeitsleistung als Rettungssanitäter ausschließlich fremdnützig sei, handele es sich um vergütungspflichtige Arbeit i.S.v. § 611a BGB.

Die Tarifvertragsparteien hätten ferner eine kollektivrechtliche Regelung getroffen, nach denen die Zeit für das Umkleiden anders zu vergüten sei als die „eigentliche“ Tätigkeit – eben durch pauschale Zeitgutschrift. Dabei handele es sich um einen Teil des dem Kläger i.S.v. § 4 Abs. 1 EFZG „zustehenden Arbeitsentgelts“. Unerheblich sei, dass das Arbeitsentgelt für die „eigentliche“ Tätigkeit verstetigt gezahlt werde. Der MTV enthalte zudem keine andere Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts i.S.v. § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG. Wenn das so sein solle, müsse das hinreichend klar und deutlich im Tarifvertrag aufgenommen werden, was hier nicht der Fall sei.

Da der Kläger infolge des in § 4 Abs. 1 EFZG verankerten modifizierten Entgeltausfallprinzips die volle Vergütung erhalten müsse, die er erhalten hätte, wenn er nicht arbeitsunfähig gewesen wäre (dazu Vogelsang in HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 11. Aufl. 2024, § 4 EFZG Rz. 3), bestehe sein Anspruch.

Für den Erholungsurlaub folge Entsprechendes aus § 1 BUrlG, der den Arbeitgeber verpflichtet, grds. alle infolge des Urlaubs ausfallenden Arbeitsstunden zu vergüten. Dieser Anspruch sei nach den §§ 1, 3, 13 BUrlG auch durch Tarifvertrag nicht abdingbar und zudem europarechtlich geboten.


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