BAG, Urt. 19.3.2025 - 10 AZR 67/24
Unwirksamkeit von Klauseln, die den Verfall „gevesteter“ Optionsrechte im Fall der Eigenkündigung anordnen
Autor: RA FAArbR Dr. Henning Hülbach, BOISSERÉE Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Köln, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht (TH Köln)
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 07/2025
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 07/2025
Klauseln in AGB, die den vollständigen Verfall bereits ausübbarer („gevesteter“) virtueller Optionsrechte bei einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers vorsehen, sind ebenso unwirksam wie Klauseln, die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Verfall „gevesteter“ Optionen in einem im Vergleich zu ihrer Entstehung doppelt so schnellen Zeitrahmen anordnen.
BGB § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, § 611a
Der Kläger nahm seit 2019 an einem virtuellen Optionsprogramm der beklagten Arbeitgeberin teil. Die Regelungen des Beteiligungsprogramms sahen neben geregelten Ausübungsereignissen auch eine über vier Jahre gestaffelte „Vesting-Periode“ vor. Darüber hinaus sollten ausübbare („gevestete“) Optionen verfallen, wenn das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers endete. Daneben sollten „gevestete“ Optionen innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sukzessive verfallen.
Nachdem der Kläger im August 2020 durch Eigenkündigung ausgeschieden war und die Beklagte seine im Juni 2022 geltend gemachten Ansprüche auf Fortbestand seiner virtuellen Optionen unter Verweis auf die Verfallregelungen abgelehnt hatte, hat der Kläger die Beklagte auf Auszahlung der gevesteten virtuellen Optionen in Anspruch genommen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision.
Zunächst seien die ausdrücklich als „freiwillig“ bezeichneten virtuellen Optionen als Gegenleistung für erbrachte Arbeit zu verstehen. Die Formulierung „freiwillig“ bringe lediglich zum Ausdruck, dass ein Anspruch hierauf nicht bereits durch Gesetz, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung bestanden habe. Der weitere Vorbehalt der Klausel könne sich auf einen bereits entstandenen Anspruch nicht auswirken. Die Klausel sei ihrem Wesen nach Gegenleistung für die in der Wartezeit erbrachte Arbeitsleistung, auch wenn dies so formuliert sei, dass die Optionen lediglich Anreiz für die Zukunft seien, und nicht für in der Vergangenheit erbrachte Leistungen gewährt würden. Entgegen dem Wortlaut kommt das BAG durch Auslegung zu seinem Ergebnis.
Die so verstandene Verfallregelung verstoße auch gegen den Grundgedanken von § 611a BGB. Die Regelung in den AGB berücksichtige nicht ausreichend, dass der Arbeitnehmer die Gegenleistung für die „gevesteten“ Optionen bei seinem Ausscheiden bereits vollständig erbracht habe. Das berechtigte Interesse eines Arbeitgebers, den Arbeitnehmer an das Unternehmen zu binden, werde bereits ausreichend durch den erforderlichen Verbleib des Arbeitnehmers während der vierjährigen „Vesting“-Periode erreicht.
Die Klausel verkürze außerdem die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers unverhältnismäßig, weil sie die Ausübung seines Kündigungsrechts unzulässig erschwere.
Auch die Regelung zum sukzessiven Verfall der „gevesteten“ Optionen nach Ausscheiden des Arbeitnehmers sei unwirksam, da die im Vergleich zu ihrem Entstehen doppelte Geschwindigkeit des Verfalls wiederum eine unangemessene Benachteiligung darstelle.
BGB § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, § 611a
Das Problem
Die Parteien streiten über einen geltend gemachten Zahlungsanspruch auf Auszahlung „gevesteter“ virtueller Aktienoptionen des Klägers.Der Kläger nahm seit 2019 an einem virtuellen Optionsprogramm der beklagten Arbeitgeberin teil. Die Regelungen des Beteiligungsprogramms sahen neben geregelten Ausübungsereignissen auch eine über vier Jahre gestaffelte „Vesting-Periode“ vor. Darüber hinaus sollten ausübbare („gevestete“) Optionen verfallen, wenn das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers endete. Daneben sollten „gevestete“ Optionen innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sukzessive verfallen.
Nachdem der Kläger im August 2020 durch Eigenkündigung ausgeschieden war und die Beklagte seine im Juni 2022 geltend gemachten Ansprüche auf Fortbestand seiner virtuellen Optionen unter Verweis auf die Verfallregelungen abgelehnt hatte, hat der Kläger die Beklagte auf Auszahlung der gevesteten virtuellen Optionen in Anspruch genommen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision.
Die Entscheidung des Gerichts
Das BAG gibt der Revision statt. Die Klage sei begründet. Unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (BAG, Urt. v. 28.5.2008 – 10 AZR 351/07, ArbRB online) hält der 10. Senat Klauseln, die den Verfall bereits „gevesteter“ Optionsrechte bei Eigenkündigung bzw. in bestimmten Zeiträumen nach Beschäftigungsende vorsehen, für unwirksam. Die Regelungen benachteiligten den Kläger unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.Zunächst seien die ausdrücklich als „freiwillig“ bezeichneten virtuellen Optionen als Gegenleistung für erbrachte Arbeit zu verstehen. Die Formulierung „freiwillig“ bringe lediglich zum Ausdruck, dass ein Anspruch hierauf nicht bereits durch Gesetz, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung bestanden habe. Der weitere Vorbehalt der Klausel könne sich auf einen bereits entstandenen Anspruch nicht auswirken. Die Klausel sei ihrem Wesen nach Gegenleistung für die in der Wartezeit erbrachte Arbeitsleistung, auch wenn dies so formuliert sei, dass die Optionen lediglich Anreiz für die Zukunft seien, und nicht für in der Vergangenheit erbrachte Leistungen gewährt würden. Entgegen dem Wortlaut kommt das BAG durch Auslegung zu seinem Ergebnis.
Die so verstandene Verfallregelung verstoße auch gegen den Grundgedanken von § 611a BGB. Die Regelung in den AGB berücksichtige nicht ausreichend, dass der Arbeitnehmer die Gegenleistung für die „gevesteten“ Optionen bei seinem Ausscheiden bereits vollständig erbracht habe. Das berechtigte Interesse eines Arbeitgebers, den Arbeitnehmer an das Unternehmen zu binden, werde bereits ausreichend durch den erforderlichen Verbleib des Arbeitnehmers während der vierjährigen „Vesting“-Periode erreicht.
Die Klausel verkürze außerdem die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers unverhältnismäßig, weil sie die Ausübung seines Kündigungsrechts unzulässig erschwere.
Auch die Regelung zum sukzessiven Verfall der „gevesteten“ Optionen nach Ausscheiden des Arbeitnehmers sei unwirksam, da die im Vergleich zu ihrem Entstehen doppelte Geschwindigkeit des Verfalls wiederum eine unangemessene Benachteiligung darstelle.