BAG, Urt. 3.1.2025 - 2 AZR 178/24
Kündigung während der Wartezeit – Präventionsverfahren
Autor: RA FAArbR Dr. Stefan Sasse, GÖHMANN Rechtsanwälte, Magdeburg
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 09/2025
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 09/2025
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, vor einer ordentlichen Kündigung während der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) ein Präventionsverfahren i.S.d. des § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.
AGG §§ 1, 3, 7; BGB §§ 134, 242; KSchG § 1 Abs. 1; SGB IX § 167 Abs. 1
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 30.3.2023 zum 15.4.2023. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage, da er der Auffassung ist, die Kündigung sei gem. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG i.V.m. § 134 BGB nichtig und zudem gem. § 242 BGB unwirksam. Die Beklagte habe weder ein Präventionsverfahren gem. § 167 Abs. I SGB IX als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durchgeführt noch habe sie einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz angeboten.
Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, ist grds. geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein. Das Gericht hegt aber Zweifel an dieser Argumentation, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in Kenntnis der Schwerbehinderung einstellt und dann während des Beschäftigungsverhältnisses gegen behinderungsspezifische Regelungen verstößt. Ohne weiteres kann hier nicht von einem Desinteresse an der Beschäftigung von Schwerbehinderten gesprochen werden.
Letztlich stellt sich die Frage aber nicht, denn es liegt kein Verstoß gegen § 167 SGB IX vor. Das Gericht weist auf die bestehende Rechtsprechung zu der identischen Vorgängerregelung des § 84 Abs. 1 SGB IX a.F. hin und statuiert, dass die Norm ausschließlich für Kündigungen im zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich des KSchG gilt.
Der Wortlaut des § 167 Abs. 1 SGB IX knüpft an den Wortlaut des § 1 KSchG an. Es ist aber kein Grund erkennbar, an die Begrifflichkeiten des § 1 Abs. 2 KSchG anzuknüpfen, wenn dadurch nicht ein Bezug zu dieser Vorschrift hergestellt werden soll. Soweit § 167 Abs. 1 SGB IX nicht das Vorliegen von Kündigungsgründen fordert, sondern Schwierigkeiten und damit Unzuträglichkeiten ausreichen lässt, die noch nicht den Charakter von Kündigungsgründen aufweisen, beruht dies darauf, dass das in § 167 Abs. 1 SGB IX geregelte Verfahren ein präventives ist, das dem Entstehen von Kündigungsgründen i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG zuvorkommen soll.
Auch ist die Norm des § 167 Abs. 1 SGB IX eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der außerhalb des zeitlichen und betrieblichen Anwendungsbereiches des KSchG keine Anwendung findet. In einem obiter dictum hat das Gericht klargestellt, dass die Anwendung von § 167 Abs. 1 SGB IX auch in einem Kleinbetrieb ausgeschlossen ist.
AGG §§ 1, 3, 7; BGB §§ 134, 242; KSchG § 1 Abs. 1; SGB IX § 167 Abs. 1
Das Problem
Der Kläger ist schwerbehindert und stand seit dem 1.1.2023 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Seine Schwerbehinderung war der Beklagten bei Vertragsabschluss bekannt. Diese wurde im Hinblick auf das Anforderungsprofil und sein individuelles Leistungsvermögen berücksichtigt. Die Parteien vereinbarten eine Probezeit von sechs Monaten. Bei der Beklagten bestand weder ein Betriebsrat noch eine Schwerbehindertenvertretung.Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 30.3.2023 zum 15.4.2023. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage, da er der Auffassung ist, die Kündigung sei gem. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG i.V.m. § 134 BGB nichtig und zudem gem. § 242 BGB unwirksam. Die Beklagte habe weder ein Präventionsverfahren gem. § 167 Abs. I SGB IX als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durchgeführt noch habe sie einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz angeboten.
Die Entscheidung des Gerichts
Wie auch die Vorinstanzen weist das Gericht die Klage ab. Die Kündigung ist nicht wegen Verstoßes gegen § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG i.V.m. § 134 BGB nichtig.Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, ist grds. geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein. Das Gericht hegt aber Zweifel an dieser Argumentation, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in Kenntnis der Schwerbehinderung einstellt und dann während des Beschäftigungsverhältnisses gegen behinderungsspezifische Regelungen verstößt. Ohne weiteres kann hier nicht von einem Desinteresse an der Beschäftigung von Schwerbehinderten gesprochen werden.
Letztlich stellt sich die Frage aber nicht, denn es liegt kein Verstoß gegen § 167 SGB IX vor. Das Gericht weist auf die bestehende Rechtsprechung zu der identischen Vorgängerregelung des § 84 Abs. 1 SGB IX a.F. hin und statuiert, dass die Norm ausschließlich für Kündigungen im zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich des KSchG gilt.
Der Wortlaut des § 167 Abs. 1 SGB IX knüpft an den Wortlaut des § 1 KSchG an. Es ist aber kein Grund erkennbar, an die Begrifflichkeiten des § 1 Abs. 2 KSchG anzuknüpfen, wenn dadurch nicht ein Bezug zu dieser Vorschrift hergestellt werden soll. Soweit § 167 Abs. 1 SGB IX nicht das Vorliegen von Kündigungsgründen fordert, sondern Schwierigkeiten und damit Unzuträglichkeiten ausreichen lässt, die noch nicht den Charakter von Kündigungsgründen aufweisen, beruht dies darauf, dass das in § 167 Abs. 1 SGB IX geregelte Verfahren ein präventives ist, das dem Entstehen von Kündigungsgründen i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG zuvorkommen soll.
Auch ist die Norm des § 167 Abs. 1 SGB IX eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der außerhalb des zeitlichen und betrieblichen Anwendungsbereiches des KSchG keine Anwendung findet. In einem obiter dictum hat das Gericht klargestellt, dass die Anwendung von § 167 Abs. 1 SGB IX auch in einem Kleinbetrieb ausgeschlossen ist.