BAG, Urt. 27.3.2025 - 8 AZR 123/24

Umfang der Arbeitgeberpflicht aus § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX zur Kontaktierung der Agentur für Arbeit

Autor: RA FAArbR Dr. Henning Hülbach, BOISSERÉE Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Köln, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht (TH Köln)
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 08/2025
Die Pflicht, nach § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen, umfasst die ausdrückliche Erteilung eines Vermittlungsauftrags. Unterlässt der Arbeitgeber dies, begründet dies die Vermutung einer Benachteiligung wegen einer bestehenden Schwerbehinderung i.S.v. § 22 AGG.

AGG § 15 Abs. 2, 22; SGB § 164

Das Problem

Der Kläger macht einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Diskriminierung als Schwerbehinderter im Rahmen eines erfolglosen Bewerbungsverfahrens geltend.

Bei der Beklagten hatte der Divisionsleiter am 24.8.2021 um 11:09 Uhr die endgültige Besetzungsentscheidung getroffen. Die klägerische Bewerbung mit Hinweis auf seine Schwerbehinderung ging bei der Beklagten am selben Tag um 12:30 Uhr ein. Den Arbeitsvertrag mit dem berücksichtigten Bewerber schloss die Beklagte frühestens am 3.9.2024.

Der Kläger ist der Ansicht, er sei im Auswahlverfahren diskriminiert worden. Indiz hierfür sei, dass die Beklagte entgegen § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX nicht frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufgenommen habe. Die Stelle sei nur in unterschiedliche Stellenportale einschließlich der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit eingespeist worden. Ein Vermittlungsauftrag sei der Agentur für Arbeit nicht erteilt worden. Die daraus folgende Indizwirkung sei nicht widerlegt worden, insb. sei die Stelle bei Eingang seiner Bewerbung noch nicht mit dem Mitbewerber besetzt gewesen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG weist die Revision zurück. Die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG seien nicht erfüllt.

Zwar seien die Formalvoraussetzungen der Klage i.Ü. gegeben, einschließlich eines hinreichenden Indizes i.S.v. § 22 AGG, dass eine Benachteiligung wegen Schwerbehinderung zu vermuten gewesen sei. So habe die Beklagte gegen das spezielle Benachteiligungsverbot des § 164 Abs. 2 Satz 1 IX dadurch verstoßen, dass sie keinen ausdrücklichen Vermittlungsauftrag gegenüber der Bundesagentur für Arbeit nach § 187 Abs. 4 SGB IX erteilt habe. Nur dieser ermögliche Vermittlungsvorschläge seitens der Bundesagentur für Arbeit, wie durch den Gesetzeszweck gefordert. Die nämliche Pflicht betreffe jeden Arbeitgeber, unabhängig von seiner Größe und stehe nicht im Widerspruch zu den besonderen Pflichten öffentlicher Arbeitgeber nach § 165 SGB IX, die mit zusätzlichen Pflichten daneben träten.

Die eingetretene Vermutung einer Diskriminierung habe die Beklagte aber in der Beweisaufnahme dadurch widerlegen können, dass sie nachgewiesen habe, das Auswahlverfahren vor Eingang der Bewerbung bereits abgeschlossen zu haben. Auch wenn im Einzelfall andere Zeitpunkte relevant sein könnten, sei vorliegend die bindende Entscheidung über die Stellenbesetzung durch den zuständigen Divisionsleiter etwa eine eine Stunde und 20 Minuten vor Eingang der klägerischen Bewerbung getroffen worden.

Auf den Zeitpunkt des erst später abgeschlossenen Arbeitsvertrags kam es daher nicht an.


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