BAG, Urt. 24.6.2021 - 5 AZR 505/20

Mindestlohn für ausländische Betreuungskraft

Autor: RA FAArbR Axel Groeger, Redeker Sellner Dahs, Bonn
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 11/2021
Eine nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskraft hat Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Zu vergüten ist nicht nur Vollarbeit, sondern auch Bereitschaftsdienst. Bereitschaftsdienst kann darin liegen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grds. verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.

MiLoG §§ 1, 20; AEntG § 2 Nr. 1; ZPO §§ 286, 287

Das Problem

Die Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Bulgarien. Bei der Beklagten, einem Unternehmen mit Sitz in Bulgarien, war sie aufgrund eines in bulgarischer Sprache erstellten schriftlichen Arbeitsvertrags als Sozialassistentin mit einer Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich beschäftigt, wobei Samstag und Sonntag arbeitsfrei sein sollten. Das Unternehmen entsandte die Klägerin nach Berlin, wo sie von Mai bis August 2015 sowie von Oktober bis Dezember 2015 gegen eine Nettovergütung von 950 €/Monat im Haushalt einer über 90-jährigen zu betreuenden Person arbeitete und ein Zimmer bewohnte. Der Einsatz erfolgte aufgrund eines Dienstleistungsvertrags, in dem sich die Beklagte gegenüber der zu betreuenden Person verpflichtete, Haushaltstätigkeiten (einkaufen, kochen, putzen etc.), eine Grundversorgung (Hilfe bei der Hygiene, beim Ankleiden etc.) und soziale Aufgaben (Gesellschaft leisten, Ansprache, gemeinsame Interessenverfolgung) durch ihre Mitarbeiter in deren Haushalt zu erbringen.

Die Klägerin verlangt weitere Vergütung. Sie habe nicht nur 30 Wochenstunden, sondern rund um die Uhr gearbeitet. Sie habe die zu betreuende Person an sieben Tagen pro Woche gegen 6:30 Uhr geweckt und sei dann bis zur Nachtruhe zwischen 22:00 und 23:00 Uhr tätig gewesen. Nachts habe die Tür ihres Zimmers offen bleiben müssen, damit sie auf Zuruf der zu betreuenden Person habe Hilfe leisten können. Sie meint, ihr stehe der gesetzliche Mindestlohn für 24 Stunden je Arbeitstag für insgesamt 231 Kalendertage abzgl. der im Streitzeitraum erhaltenen Nettovergütung zu. Das LAG hatte der Klage überwiegend entsprochen und war im Wege einer Schätzung von einer Arbeitszeit von 21 Stunden kalendertäglich ausgegangen.

Die Entscheidung des Gerichts

Auf die Revisionen beider Parteien hebt das BAG das Urteil auf und verweist die Sache an das LAG zurück.

Der Anspruch der Klägerin aus § 1 Abs. 1 MiLoG und die korrespondierende Verpflichtung der Beklagten nach § 20 MiLoG bestehen unabhängig davon, ob auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ansonsten aufgrund Rechtswahl im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO oder anhand objektiver Anknüpfung i.S.d. Art. 8 Abs. 2 bis Abs. 4 Rom I-VO bulgarisches Recht Anwendung findet. § 20 MiLoG hat international zwingende Wirkung und ist jedenfalls eine Eingriffsnorm i.S.v. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig davon gilt, ob i.Ü. deutsches Recht auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet.

Arbeit, die mit dem Mindestlohn zu vergüten ist, ist nicht nur die Vollarbeit, sondern auch die Bereitschaft (BAG, Urt. v. 29.6.2016 – 5 AZR 716/15, ECLI:DE:BAG:2016:290616.U.5AZR716.15.0, BAGE 155, 318 = ArbRB 2016, 195 [Sasse]). Weder der Wortlaut noch die Gesetzesbegründung des MiLoG enthalten hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Bereitschaftsdienst geringer zu vergüten ist. Der Gesetzgeber hat im MiLoG auch keine Fakturierung der Zeiten des Bereitschaftsdienstes vorgenommen, wie sie – als Reaktion auf das Urteil des BAG v. 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12, BAGE 150, 82 = MDR 2015, 403 = ArbRB 2015, 36 (Reifschläger) – ab dem 1.1.2015 für Zeiten des Bereitschaftsdienstes in der vom BMAS erlassenen 2. und 3. Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche enthalten war.

Das LAG wird im Rahmen der Würdigung des Tatsachenvortrags und der ggf. noch zu erhebenden Beweise unter Einbeziehung des Arbeitsvertrags nach § 286 Abs. 1 ZPO festzustellen haben, ob die arbeitsvertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit von 30 Stunden ernsthaft gewollt war oder ob tatsächliche Umstände dafür sprechen, dass ein anderes Arbeitszeitvolumen dem wirklichen Willen der Parteien entsprochen hat.


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