BGH, Urt. 10.12.2020 - I ZR 153/17

Auskunftsanspruch bei Urheberrechtsverletzung auf YouTube

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 05/2021
Der Auskunftsanspruch über „Namen und Anschrift“ i.S.d. § 101 Abs. 3 Nr. 1 UrhG schließt die Auskunft über die E‑Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen der Nutzer der Dienstleistungen nicht ein.

RL 2004/48/EG Art. 8 Abs. 2 lit. a; UrhG §§ 101 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 1; BGB § 242

Das Problem

Eine Filmverwerterin, die an drei Filmen exklusive Nutzungsrechte geltend macht, verlangt von YouTube und Google bzgl. rechtsverletzender Nutzer Auskunft über E‑Mail-Adresse, Telefonnummer, die für das Hochladen der Datei verwendet IP-Adresse nebst genauem Uploadzeitpunkt sowie die zuletzt für einen Zugriff auf das Google/YouTube-Benutzerkonto verwendete IP-Adresse nebst genauem Zugriffszeitpunkt.

Die Entscheidung des Gerichts

Die nach § 101 Abs. 3 Nr. 1 UrhG geschuldete Auskunft schließt diese Daten nicht ein.

Auskunftsvoraussetzungen: Die Nutzer hätten eine offensichtliche Rechtsverletzung i.S.v. § 101 Abs. 2 Satz 1 UrhG begangen. Die hier in Rede stehenden Filme seien als Filmwerke i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG urheberrechtlich geschützt und die Nutzer hätten die Filme durch das Hochladen auf YouTube unberechtigt i.S.v. § 19a UrhG öffentlich zugänglich gemacht. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG seien i.Ü. hinsichtlich YouTube und Google als gewerblich handelnden Dienstleistern, die für die rechtsverletzende Tätigkeit genutzt würden, erfüllt (Rz. 15).

Auskunftsumfang: Der Begriff „Anschrift“ i.S.v. § 101 Abs. 3 Nr. 1 UrhG decke sich mit dem Terminus „Adressen“ der Umsetzungsvorlage des Art. 8 Abs. 2 lit. a Enforcement-RL 2004/48/EG und der Auslegung des EuGH, die Telefonnummern, E‑Mail- und IP-Adressen als nicht umfasst beurteile (EuGH v. 9.7.2020 – C-264/19 – Constantin Film Verleih Rz. 40, AfP 2020, 367 = CR 2020, 547 = ITRB 2020, 204 [Rössel]).

Keine dynamische Gesetzesauslegung: Durch richterliche Rechtsfortbildung dürfe nicht die materielle Gerechtigkeitsvorstellung der Gerichte an die Stelle der Vorstellung des Gesetzgebers treten, indem sie sich über dessen klar erkennbaren Willen hinwegsetze (vgl. BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14 – Sachgrundlose Kettenbefristung Rz. 72 f. m.w.N., BVerfGE 149, 126). Im vorliegenden Fall stünden Wortlaut und Gesetzesbegründung einer über die Mindestharmonisierung i.S.v. Art. 8 Abs. 3 lit. a Enforcement-RL hinausgehenden Auslegung anders als bzgl. des Merkmals einer Rechtsverletzung in „gewerblichem Ausmaß“ entgegen (vgl. BGH v. 19.4.2012 – I ZB 80/11 – Alles kann besser werden Rz. 27 ff., CR 2012, 600 = ITRB 2012, 197 [Rössel]).

Keine durch Zeitablauf bedingte Ergänzungsfähigkeit: Eine tatsächliche oder rechtliche Entwicklung könne zwar eine bis dahin eindeutige und vollständige Regelung ergänzungsbedürftig und zugleich wegen des Alterungsprozesses von Gesetzen ergänzungsfähig werden lassen (vgl. BVerfG v. 30.8.2010 – 1 BvR 1631/08 – Urheberrechtsabgabe auf Drucker und Plotter Rz. 64, CR 2010, 701). Im Zeitpunkt der Neufassung im Jahr 2007 habe es jedoch sowohl E‑Mail- und IP-Adressen als auch (Mobilfunk-)Telefonnummern gegeben, ohne dass der Gesetzgeber diese zum Gegenstand der Auskunft gemacht habe (Rz. 26).

Antizipiertes Grundrechtsgleichgewicht: Das Erfordernis angemessenen Grundrechtsgleichgewichts stehe der vorgenommenen Auslegung schon deswegen nicht entgegen, weil Art. 8 Abs. 2 lit. a Enforcement-RL dieses Gleichgewicht bereits herstelle (vgl. Generalanwalt EuGH v. 2.4.2020 – C-264/19 – Constantin Film Verleih Rz. 51). Die Mitgliedstaaten seien deswegen auch nicht verpflichtet, für die zuständigen Gerichte die Möglichkeit der begehrten Auskunftsanordnung vorzusehen (EuGH v. 9.7.2020 – C-264/19 – Constantin Film Verleih Rz. 39, AfP 2020, 367 = CR 2020, 547 = ITRB 2020, 204 [Rössel]). Die Fallkonstellation sei insoweit nicht mit dem Verfahren „Bastei Lübbe“ vergleichbar (Rz. 27; vgl. EuGH v. 18.10.2018 – C-149/17 – Bastei Lübbe, ITRB 2018, 271 [Rössel]).

Keine planwidrige Regelungslücke: Für eine weitergehende Auslegung im Sinne der Ziele der Enforcement-RL oder zur Vermeidung einer möglichen qualifizierten Beeinträchtigung von Art. 17 Abs. 2 GRC durch eine anonyme Nutzung (BGH v. 21.2.2019 – I ZR 153/17 – YouTube-Drittauskunft I Rz. 15, 26, CR 2019, 322 = ITRB 2019, 129 [Rössel]) sei ebenso wie bzgl. der Benutzerkennung eines Telekommunikationsanschlusses (BGH v. 13.7.2017 – I ZR 193/16 – Benutzerkennung Rz. 25, CR 2018, 193) nach der Entscheidung des EuGH kein Raum mehr (Rz. 28).

Kein allgemeiner Drittauskunftsanspruch: Nach § 242 BGB – hier i.V.m. § 102a UrhG – könne ein Anspruch auf (Dritt-)Auskunftserteilung grundsätzlich in jedem Rechtsverhältnis bestehen, in dem die Berechtigten in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang ihres Rechts im Ungewissen und die Verpflichteten unschwer zur Auskunftserteilung in der Lage seien (vgl. BGH v. 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – Internetforum Rz. 55, AfP 2018, 322 = CR 2018, 657 = ITRB 2018, 128 [Rössel]). Voraussetzung sei, dass zwischen den Berechtigten und den Verpflichteten eine besondere rechtliche Beziehung bestehe, wobei ein gesetzliches Schuldverhältnis genüge (BGH v. 25.7.2017 – VI ZR 222/16 Rz. 13 m.w.N., MDR 2017, 1045). Vorliegend fehle es allerdings an einer Störerhaftung von YouTube oder Google (Rz. 34).

Datenschutzrechtliche Erlaubnis: Ein Auskunftsanspruch könne auch nicht auf § 242 BGB i.V.m. §§ 12, 14 Abs. 2, 15 Abs. 5 Satz 4 TMG gestützt werden, da diese datenschutzrechtlichen Öffnungsklauseln keine Ansprüche begründeten (vgl. BGH v. 24.9.2019 – VI ZB 39/18 – Auskunft zu Bestandsdaten Rz. 58, CR 2020, 419 = ITRB 2020, 31 [Engels]).


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