BGH, Urt. 14.4.2025 - VIII ZR 270/22

Räumung: Härtegründe können durch nicht-fachärztliches Attest belegt werden

Autor: Prof. Dr. Ulf P. Börstinghaus, Gelsenkirchen
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 06/2025
1. Der erforderliche hinreichend substantiierte Sachvortrag des Mieters zu einer gesundheitlichen Härte i.S.v. § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann insbesondere – muss aber nicht stets – durch Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests untermauert werden (Bestätigung von BGH v. 22.5.2019 – VIII ZR 167/17, MietRB 2019, 229 [Zich], Rz. 38, NZM 2019, 527; BGH v. 13.12.2022 – VIII ZR 96/22, MietRB 2023, 65 [Monschau], Rz. 21, NZM 2023, 210).2. Vielmehr kann im Einzelfall auch eine (ausführliche) Stellungnahme eines – bezogen auf das geltend gemachte Beschwerdebild – medizinisch qualifizierten Behandlers geeignet sein, den Sachvortrag des Mieters zu untermauern, auch wenn diese nicht von einem Facharzt erstellt worden ist. Dabei kommt es auf die konkreten Umstände, insbesondere den konkreten Inhalt des (ausführlichen) Attests an.

BGB § 574

Das Problem

Verlangt der Mieter aufgrund von auf seinem Gesundheitszustand beruhenden Härtegründen die Fortsetzung des Mietverhältnisses, trifft ihn die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen, aufgrund derer die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Eine solche Darlegung erfordert einen substantiierten Sachvortrag. Welche Anforderungen daran gestellt werden dürfen, hat der BGH in dieser Entscheidung klargestellt.

Nach einer grds. berechtigten Eigenbedarfskündigung widersprach der Mieter der Kündigung unter Vorlage einer „Stellungnahme über Psychotherapie“ seines sich als Psychoanalytiker bezeichnenden Behandlers. In der Stellungnahme heißt es im Wesentlichen, seit einem Monat fänden regelmäßig einmal wöchentlich psychotherapeutische Sitzungen mit dem Mieter statt. Er leide an einer akuten Depression und emotionaler Instabilität verbunden mit Existenzängsten, die ihn zeitweise arbeitsunfähig machten. Ein Umzug führe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes. Nachdem das AG der Räumungsklage stattgegeben hatte, hat das LG im Berufungsverfahren zunächst darauf hingewiesen, dass eine im Falle des Wohnungswechsels drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahr nicht hinreichend konkret dargelegt sei. Erforderlich sei die Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests. Der Mieter hat daraufhin eine weitere „Stellungnahme über Psychotherapie“ des Behandlers vorgelegt. Dort heißt es u.a., für den Mieter seien Suizidgedanken der einzige Ausweg in den regelmäßigen Episoden seiner manischen Depression. Die Behandlung stehe am Beginn eines langen Gesundungsprozesses. Ein Verlust seines Lebensmittelpunkts könne mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verzweiflungstat führen, die ggf. in einem Suizid enden könne. Das LG hat die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen, da kein fachärztliches Attest vorgelegt worden war.

Die Entscheidung des Gerichts

Die zugelassene Revision hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung. Nach § 574 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Dabei widerspricht der Senat der Auffassung des LG, wonach der Mieter, sich auf einen Härtegrund nur berufen könne, wenn er diesen durch Vorlage eines ausführlichen fachärztlichen Attests untermauert habe. Die Tatsachengerichte müssten sich regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann. Nur eine solche sorgfältige Aufklärung wird den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht. Dazu muss der Mieter als medizinischer Laie zunächst seiner Darlegungs- beziehungsweise Substantiierungslast nachkommen. Das ist nach bisheriger Rechtsprechung auf jeden Fall dann der Fall, wenn er unter Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests geltend macht, ihm sei ein Umzug wegen einer schweren Erkrankung nicht zuzumuten. Daraus folgt aber nur, dass höhere Anforderungen als die Vorlage eines entsprechenden Attests an die Darlegungslast nicht gestellt werden dürfen. Entgegen der Annahme des LG hat der Senat damit jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, dass für die Erfüllung der Substantiierungspflicht des Mieters stets die Vorlage eines fachärztlichen Attests erforderlich ist. Der bisherigen Rechtsprechung zu dieser Frage lagen schlicht immer fachärztliche Atteste zugrunde. Deshalb habe der Senat auch immer formuliert, dass „insbesondere“ die Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests“ ausreicht. Daran will der Senat auch festhalten. Es kann im Einzelfall auch eine (ausführliche) Stellungnahme eines – bezogen auf das geltend gemachte Beschwerdebild – medizinisch qualifizierten Behandlers geeignet sein, den Sachvortrag des Mieters zu untermauern, auch wenn diese nicht von einem Facharzt erstellt worden ist. Dabei kommt es auf die konkreten Umstände, insbesondere den konkreten Inhalt des (ausführlichen) Attests an. Diesen Anforderungen genügte zumindest die zweite Stellungnahme, ggf. sogar schon die erste. Deshalb hat der Senat zurückverwiesen.


Wussten Sie schon?

Werden Sie jetzt Teilnehmer beim Anwalt-Suchservice und Sie greifen jederzeit online auf die Zeitschrift „Miet-Rechtsberater“ des renommierten juristischen Fachverlags Dr. Otto Schmidt, Köln, zu.

Die Zeitschrift ist speziell auf Praktiker zugeschnitten. Sie lesen aktuelle Urteilsbesprechungen inklusive speziellem Beraterhinweis sowie Fachaufsätze und Kurzbeiträge zum Thema Miet- / WEG-Recht und zwar 24/7, also wo und wann immer Sie wollen.

Infos zur Teilnahme