BGH, Urt. 20.5.2021 - III ZR 126/19

Unwirksame Muster-Widerrufsbelehrung eines Datingportals

Autor: RA, FA IT-Recht Dr. Aegidius Vogt, Herberger Vogt von Schoeler, München – www.hvs-rechtsanwaelte.de
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 09/2021
Anbieter im Fernabsatz können sich nicht auf die Schutzwirkung der Muster-Widerrufsbelehrung berufen, wenn Nutzer durch eine weitere – formal oder inhaltlich nicht ordnungsgemäße – Belehrung irregeführt oder von der Ausübung ihres Widerrufsrechts abgehalten werden. Den Anbietern steht dann auch kein Wertersatz zu.

EGBGB Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2; BGB § 312g, § 355, § 357 Abs. 8, § 361 Abs. 2

Das Problem

Eine Nutzerin buchte bei einem Datingportal eine Premium-Mitgliedschaft mit einer Laufzeit von 12 Monaten zum Preis von 269,40 € und erklärte nach wenigen Tagen den Widerruf. Das Portal machte daraufhin auf Grundlage seiner „Hinweise zum Wertersatz“ für die bislang erbrachten Leistungen einen Anspruch i.H.v. 202,05 € geltend und zahlte nur den Differenzbetrag zurück. Nach der Klausel berechnet sich der Wertersatz nach dem Verhältnis der realisierten Kontakte zu den garantierten Kontakten, wobei nahezu jede Aktivität bereits als Kontakt gewertet und damit die Zahl der garantierten Kontakte innerhalb weniger Tage überschritten wird.

Die Entscheidung des Gerichts

Anders als die Vorinstanz verneint der BGH einen Anspruch auf Wertersatz gänzlich und bestätigt die erstinstanzliche Entscheidung, die der Nutzerin einen vollumfänglichen Erstattungsanspruch zugesprochen hatte.

Gesetzlicher Wertersatzanspruch: Nach aktueller Rspr. des EuGH (EuGH v. 8.10.2020 – C-641/19, ITRB 2020, 275 [Vogt]) und des Senats (BGH v. 6.5.2021 – III ZR 169/20, BeckRS 2021, 16082) sei der Wertersatz nach § 357 Abs. 8 Satz 4 BGB zeitanteilig zu berechnen, was hier zu einem Anspruch von höchstens 10,33 € führen könne, wogegen sich der auf Grundlage der Wertersatzklausel des Portals berechnete Anspruch mit 202,05 € auf drei Viertel des Gesamtpreises belaufen würde.

Kein Ausnahmefall: Eine Ausnahme von der zeitanteiligen Berechnung sei nach dieser Rspr. nur möglich, wenn der Vertrag ausdrücklich vorsehe, dass eine oder mehrere Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht würden. Nur dann könne der Nutzer sachgerecht entscheiden. Hierfür reiche eine Inbezugnahme anderer Regelungen des Portals, wonach etwa Nutzer der (kostenlosen) Basis-Mitgliedschaft das in der Premium-Mitgliedschaft enthaltene Persönlichkeitsgutachten für 149 € erwerben könnten, nicht aus. Insoweit fehle es an einer ausdrücklichen Vereinbarung im Rahmen der Premium-Mitgliedschaft.

Unwirksamkeit der Wertersatzklausel: Von den gesetzlichen Regelungen zum Widerrufsrecht könne gem. § 361 Abs. 2 BGB nicht zum Nachteil der Nutzer abgewichen werden. Dabei sei unerheblich, ob sich eine Regelung theoretisch auch zugunsten der Nutzer auswirken könne. Maßgeblich sei, ob eine Klausel abstrakt eine Schlechterstellung ermögliche oder sich diese im konkreten Fall nachteilig auswirke, was bzgl. der Klausel des Portals beides der Fall sei.

Unzulässige Irreführung: Durch die Wertersatzklausel würden die Nutzer zudem in die Irre geführt und könnten von einem rechtzeitigen Widerruf abgehalten werden, da ihnen demnach eine vermeintliche Ersatzforderung i.H.v. drei Vierteln des Gesamtpreises drohe. Es sei unerheblich, dass die Klausel nicht in der Muster-Widerrufsbelehrung selbst enthalten sei. Die Klausel ergänze und konkretisiere die in der Belehrung enthaltene Bezugnahme auf die Verpflichtung der Nutzer, einen „angemessenen Beitrag“ für die bereits erbrachten Leistungen zu zahlen, und sei damit als Einheit mit der Belehrung zu verstehen.

Unwirksamkeit der Widerrufsbelehrung: Der Zweck der Widerrufsbelehrung, dem Verbraucher eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, werde durch die von der tatsächlichen Rechtslage zum Nachteil des Verbrauchers erheblich abweichende Darstellung der Widerrufsfolgen in der Klausel ins Gegenteil verkehrt. Dies habe zur Folge, dass die Widerrufsbelehrung insgesamt nicht ordnungsgemäß sei, so dass die Voraussetzungen für einen Wertersatzanspruch des Portals gem. § 357 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Satz 2 BGB nicht erfüllt seien.


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