BGH, Urt. 9.9.2021 - I ZR 113/18

Abschlusszwang der VG Bild-Kunst unter Vorbehalt von Framingschutz – Deutsche Digitale Bibliothek II

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 01/2022
Bedingungen einer Nutzungsrechtseinräumung können i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 VGG angemessen sein, wenn sie der Gefahr von Rechtsverletzungen vorbeugen sollen, die nicht durch den zukünftigen Vertragspartner der Verwertungsgesellschaft, sondern durch Drittnutzer begangen werden.

RL 2001/29/EG Art. 3 Abs. 1; RL 2014/26/EU Art. 16; UrhG § 15 Abs. 2, § 19a; VGG § 34 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1

Das Problem

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) bietet eine Onlineplattform über die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) zur Vernetzung deutscher Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen an. Sie verlinkt auf digitalisierte Inhalte, die in den Webportalen der zuliefernden Einrichtungen gespeichert sind, und speichert selbst lediglich Vorschaubilder für ihre Suchfunktion. Die VG Bild-Kunst macht den Abschluss eines Vertrags mit der SPK über die Nutzung ihres Werkrepertoires für Vorschaubilder von einer Vertragsregelung abhängig, wonach die SPK bei der Nutzung wirksame technische Maßnahmen gegen Framing anzuwenden hat.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Feststellungsklage wird an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Abschlusszwang: Nach § 34 Abs. 1 VGG, der § 11 Abs. 1 UrhWG a.F. seit 1.6.2016 ersetze und Art. 16 RL 2014/26/EU umsetze, sei die Verwertungsgesellschaft verpflichtet, aufgrund der von ihr wahrgenommenen Rechte jedermann auf Verlangen zu angemessenen nichtdiskriminierenden Bedingungen vergütungspflichtig Nutzungsrechte einzuräumen (Rz. 21).

Ausnahme vom Abschlusszwang: Unter der Geltung des § 11 Abs. 1 UrhWG a.F. sei anerkannt gewesen, dass die Abschlusspflicht ausnahmsweise nicht bestehe, wenn im Einzelfall eine missbräuchliche Ausnutzung der Monopolstellung ausscheide und die Verwertungsgesellschaft vorrangige berechtigte Interessen entgegenhalten könne. Dies gelte auch nach § 34 VGG fort (vgl. RegE, BT-Drucks. 18/7223, 55, 83).

Typisiertes Interesse: In die vorzunehmende Interessenabwägung sei auch die aus §§ 2 Abs. 1, 9 Abs. 1 VGG folgende Pflicht der VG Bild-Kunst zur Wahrnehmung und Durchsetzung der Rechte ihrer Mitglieder einzustellen. Deren Rechte seien auch betroffen, wenn die Vorschaubilder unter Umgehung technischer Schutzmaßnahmen Gegenstand von Framing würden. Bei der Interessenabwägung sei nicht auf das tatsächlich bestehende Interesse einzelner, mit dem Framing durch Dritte einverstandener Urheber abzustellen, sondern auf die typische, auf Rechtswahrung und Entlohnung gerichtete Interessenlage der von der VG Bild-Kunst vertretenen Urheberrechtsinhaber (Rz. 23 f., 42).

Vorbeugung gegen Drittnutzung: Angemessene Bedingungen i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 VGG zielten nicht nur auf die Vergütung i.S.v. Satz 2, sondern auch auf sonstige Umstände, die eine Ausnahme vom Abschlusszwang rechtfertigen könnten (vgl. bei Gefahr der Verletzung von Leistungsschutzrechten Dritter zu § 11 UrhWG a.F. BGH v. 22.4.2009 – I ZR 5/07 – Seeing is Believing Rz. 11, 23, BGHZ 181, 1). Bedingungen könnten nicht nur angemessen sein, wenn sie der Gefahr von Rechtsverletzungen durch den zukünftigen Vertragspartner, sondern auch durch Drittnutzer vorbeugen sollten (Rz. 25).

Technische Schutzumgehung durch Framing: Im Streitfall würden Rechte der öffentlichen Wiedergabe gem. § 15 UrhG der Mitglieder der VG Bild-Kunst verletzt, wenn die SPK bei der Verwendung der geschützten Werke in Form von Vorschaubildern technische Schutzvorkehrungen gegen Framing vorsehe und es unter Umgehung dieser Schutzvorkehrungen zu Framing durch Dritte komme (Rz. 26).

Öffentliche Wiedergabe der Vorschaubilder: Ein unbenanntes Recht der öffentlichen Wiedergabe sei richtlinienkonform anzunehmen, soweit Art. 3 Abs. 1 RL 2001/29/EG weitergehende Rechte als die in § 15 Abs. 2 Satz 2 UrhG benannten Rechte gewähre. Die hier in Rede stehende Wiedergabe von Vorschaubildern auf der Internetseite Dritter durch Framing falle in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 RL 2001/29/EG, weil bei ihr kein unmittelbarer körperlicher Kontakt zwischen den ein Werk aufführenden oder darbietenden Personen und einer durch diese Wiedergabe erreichten Öffentlichkeit stattfinde (Rz. 27 f.).

Kriterien öffentlicher Wiedergabe: Der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ umfasse außer der Handlung der Wiedergabe und ihrer Öffentlichkeit eine Reihe weiterer Tatbestandsmerkmale – insb. die zentrale Rolle des Nutzers und die Vorsätzlichkeit seines Handelns –, die unselbständig und miteinander verflochten seien (Rz. 29).

Wiedergabehandlung: Der Begriff der Wiedergabe erfasse jede Übertragung eines geschützten Werks unabhängig vom eingesetzten technischen Mittel (vgl. zur Weite des Begriffs Erwgrd. 4, 9, 23 RL 2001/29/EG). Eine Wiedergabe setze die absichtliche Zugangsverschaffung zum geschützten Werk voraus, ohne dass es auf eine Zugangsnutzung ankomme. Ein solcher Zugang werde geschaffen, wenn Links inkl. Framing zu geschützten Werken bereitgestellt würden, die auf einer anderen frei zugänglichen Internetseite veröffentlicht seien (Rz. 30 f.).

Öffentlichkeit: Eine Einbettung von Vorschaubildern in die Internetseiten Dritter betreffe sämtliche potentiellen Nutzer dieser Seite und damit eine unbestimmte und ziemlich große Zahl von Adressaten (Rz. 32 f.).

Neues Wiedergabeverfahren oder Publikum: Für eine öffentliche Wiedergabe sei weiterhin erforderlich, dass ein geschütztes Werk unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheide, oder für ein Publikum wiedergegeben werde, an das der Urheberrechtsinhaber nicht gedacht habe, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubt habe (Rz. 34). Beim Framing der Vorschaubilder, durch das den Nutzern eines Webauftritts die ursprüngliche Umgebung der Bilder verborgen bleibe, könne es daran fehlen (EuGH v. 21.10.2014 – C-348/13 – BestWater Rz. 17, CR 2014, 732 = ITRB 2014, 270 [Rössel]).

Neues Publikum bei technischer Beschränkung: Habe allerdings der Rechteinhaber beschränkende Maßnahmen gegen Framing getroffen oder diese seinen Lizenznehmern aufgegeben, um den Zugang zu seinen Werken von anderen Internetseiten aus zu beschränken, werde das Werk einem neuen Publikum zugänglich gemacht, wenn ein Dritter es per Framing öffentlich wiedergebe. Dem Urheberrechtsinhaber sei es jedoch, um die Rechtssicherheit und das ordnungsgemäße Funktionieren des Internets zu gewährleisten, nicht gestattet, seine Erlaubnis auf andere Weise als durch wirksame technische Maßnahmen i.S.v. Art. 6 Abs. 1 und 3 RL 2001/29/EG zu beschränken, weil widrigenfalls eine Beschränkung nur schwer zu überprüfen wäre (vgl. EuGH v. 9.3.2021 – C-392/19 – VG Bild-Kunst Rz. 46 f., CR 2021, 263 = ITRB 2021, 103 [Kartheuser]).

Zumutbarkeit technischer Schutzmaßnahmen: Das Berufungsgericht werde festzustellen haben, ob Schutzmaßnahmen gegen Framing mit überschaubarem technischen und finanziellen Aufwand implementiert werden könnten und ob die Gefahr bestehe, dass kommerzielle Akteure über die Vorschaubilder die Einholung von Bildrechten und Lizenzzahlungen ersparten (Rz. 39). Die bloße Umgehungsmöglichkeit stehe der Wirksamkeit der technischen Schutzmaßnahme am Maßstab des § 95a Abs. 1 und 2 UrhG (Art. 6 Abs. 1 und 3 RL 2001/29/EG) nicht entgegen, weil diese nur im normalen Betrieb dazu bestimmt sein müssten, urheberrechtswidrige Handlungen eines durchschnittlichen Nutzers zu verhindern (Rz. 43).


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