Enterbung: Die Taktik des Pflichtteilrechtsprozesses

24.02.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 6 Min. (12593 mal gelesen)
Rechtsanwalt,Mandant,Gespräch,Kanzlei Pflichtteil erstreiten: Wie geht ein Anwalt taktisch geschickt vor? © - freepik

Nach einem Erbfall wird oft und gern um den Pflichtteil gestritten. Solche Verfahren können sich erheblich in die Länge ziehen. Beide Seiten sollten einige taktische Erwägungen beachten.

Es kommt immer wieder vor, dass Menschen beim Verfassen ihres Testaments oder Erbvertrages einzelne oder gar alle gesetzlichen Erben übergehen und von der Erbschaft ausschließen. Man spricht dann auch von Enterbung. Dies ist natürlich erlaubt, denn immerhin gewährt das Grundgesetz in Artikel 14 Abs. 1 S.1 die sogenannte Testierfreiheit: Man darf selbst bestimmen, wem man etwas vererbt - selbstverständlich mit einigen Einschränkungen, die das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) festlegt.

Wer bekommt den Pflichtteil?


Allerdings möchte der Gesetzgeber auch bestimmte gesetzliche Erben vor vollständiger Enterbung schützen. Immerhin handelt es sich bei diesen um nächste Verwandte. Diese Personen kommen in den Genuss eines Pflichtteils. Das heißt, sie können per Gesetz vom testamentarischen Erben einen bestimmten Anteil am Erbe verlangen, obwohl der Testamentsverfasser sie enterbt hat. Dieser Schutz kommt etwa den Abkömmlingen zugute (Kinder, Enkel, Urenkel usw.), außerdem den Eltern und Ehegatten des Erblassers (§ 2303 BGB). Hier wird also die verfassungsrechtlich gegebene Testierfreiheit eingeschränkt.

Der Pflichtteilsberechtigte hat Anspruch auf einen Betrag in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, der ihm nach der gesetzlichen Erbfolge zustehen würde. Dieser Erbteil fällt höher aus, wenn der Berechtigte ein Ehepartner des Verstorbenen ist und beide in Zugewinngemeinschaft gelebt haben (§ 1371 BGB).

Nach dieser Quotenregelung lässt sich grundsätzlich sehr einfach ermitteln, welchen Anteil der Pflichtteilsberechtigte zu bekommen hat. Nur bei Ehegatten in Zugewinngemeinschaft kann es etwas komplizierter werden - hier gibt es einen großen und einen kleinen Pflichtteil. Intensiv gestritten wird jedoch gerne über den Wert der Erbschaft selbst. Denn: Je mehr diese wert ist, desto höher der Pflichtteil.

Wie viel ist das Erbe wert?


Natürlich ist der testamentarische Erbe meist daran interessiert, diesen Wert so gering wie möglich anzusetzen. Der Pflichtteilsberechtigte hat dagegen das Interesse, dass der Wert des Nachlasses möglichst hoch ist.

Komplizierter wird dies noch durch den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Nach § 2325 BGB sind Schenkungen und sonstige unentgeltliche Zuwendungen der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruches dem Nachlass hinzuzurechnen. Bei Schenkungen an Ehegatten beginnt die Frist nicht vor Auflösung der Ehe.

Die Vorschrift besagt auch, dass bei verbrauchbaren Sachen der Wert der geschenkten Sache zum Zeitpunkt der Schenkung zu ermitteln ist. Bei anderen Gegenständen ist für die Wertermittlung der Zeitpunkt des Erbfalles maßgebend. Hatte der Gegenstand zur Zeit der Schenkung einen geringeren Wert, wird nur dieser in Ansatz gebracht.

Für besondere Probleme sorgt in der Praxis regelmäßig die Wertermittlung von Immobilien sowie von Betrieben oder Kraftfahrzeugen. Meist ist der Einsatz eines Sachverständigen erforderlich, dieser ist jedoch teuer.

Wie erfahre ich, was der Nachlass wert ist?


Der Pflichtteilsberechtigte hat in der Regel keinen Zugang zu den zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenständen und auch keinen Überblick über diese.
Immerhin hat er gegen den Erben einen Anspruch auf Auskunft nach § 2314 BGB. Dieser Anspruch gibt ihm die Möglichkeit, sich über den Nachlass zu informieren.

Lässt der Erbe dabei Vermögensgegenstände weg, läuft er Gefahr, sich wegen Betruges oder zumindest wegen versuchten Betruges strafbar zu machen. Aber: Der Pflichtteilsberechtigte wird in der Regel die Vollständigkeit des Nachlassverzeichnisses gar nicht kontrollieren können.
Oft hat zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem jahrelang kein Kontakt bestanden, sondern es gab Streit oder eine Entfremdung. Irgendeinen Grund muss es schließlich für die Enterbung gegeben haben. Die Folge ist, dass der Pflichtteilsberechtigte die aktuellen persönlichen Verhältnisse des Erblassers nicht kennt und nichts über dessen Vermögen weiß.

Gibt es Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Nachlassverzeichnisses, steht dem Pflichtteilsberechtigten nach § 2314 Abs. 1 i. V. m. §§ 260, 261 BGB ein Anspruch zu, eine eidesstattliche Versicherung über das Nachlassverzeichnis vom Erben zu fordern. Wenn dieser eine falsche eidesstattliche Versicherung abgibt, macht er sich strafbar wegen falscher Versicherung an Eides Statt nach §156 StGB.

Obendrein kann der Pflichtteilsberechtigte nach § 2314 Abs. 1 BGB verlangen, bei der Aufnahme des Bestandsverzeichnisses hinzugezogen zu werden - durchaus auch in Begleitung seines Rechtsanwaltes. Dies gilt sogar dann, wenn es keine begründeten Zweifel daran gibt, dass das Verzeichnis ordnungsgemäß aufgenommen wird. Es gibt allerdings keinen Anspruch darauf, selbst bei der Aufnahme des Nachlasses mitzuwirken oder diese in der Wohnung des Erben durchzuführen.
Ganz besonders wichtig ist für den Pflichtteilsberechtigten der Wertermittlungsanspruch, den ihm § 2314 Abs. 1 BGB einräumt. Danach kann er verlangen, dass der Erbe auf Kosten des Nachlasses ein Sachverständigengutachten über den Wert von Nachlassgegenständen erstellen lässt.

Verzögerungstaktik und ihre Folgen


Es kommt immer wieder vor, dass Erben versuchen, vor dem Prozess und erst recht im Prozess Zeit zu gewinnen und eine Auszahlung des Pflichtteils entweder zu verhindern oder doch zu verzögern. Oft gibt es keinerlei Bereitschaft, von der einmal in Besitz genommenen Erbschaft irgendetwas freiwillig an den Pflichtteilsberechtigten auszubezahlen. Selbst der Betrag, der dem Pflichtteilsberechtigten sicher zusteht, wird ihm verweigert. Aber: Dieses Vorgehen kann auf den Erben zurückschlagen, wenn das Gericht schließlich die Entscheidung über die Verteilung der Verfahrenskosten trifft.

So mancher Pflichtteilsberechtigte lässt sich hier zu lange hinhalten. Ein auf das Erbrecht spezialisierter Anwalt kann der Verzögerungstaktik durch die möglichst baldige Erhebung einer sogenannten Stufenklage entgegenwirken. Diese kann für den Pflichtteilsberechtigten einige Vorteile haben.

Was bringt die Stufenklage?


Mit der Pflichtteilsstufenklage kann der Pflichtteilsberechtigte auf der ersten Stufe Auskunft über den Nachlassbestand einklagen. Auf der zweiten Stufe geht es dann um die eidesstattliche Versicherung, auf der dritten Stufe wird der Anspruch auf Wertermittlung durch einen Sachverständigen durchgesetzt und auf der vierten Stufe dann der Zahlungsanspruch auf den Pflichtteil.

Der Vorteil: Der Kläger muss nicht aufgrund von Vermutungen schätzen, wie viel Geld er denn nun verlangen möchte. Auch eine zu hohe Forderung kann negative Folgen haben - er unterliegt zum Teil vor Gericht und muss einen Teil der Prozesskosten tragen.
Stellt sich womöglich heraus, dass der Nachlass nicht wertvoll oder gar überschuldet ist, kann der Pflichtteilsberechtigte die Klage auf der Stufe des Zahlungsanspruches für in der Hauptsache erledigt erklären und so Kosten sparen.

Ein Vorteil der Stufenklage ist auch, dass sie - anders als etwa eine isoliert erhobene Auskunftsklage über den Nachlass - die Verjährung des Pflichtteilszahlungsanspruches hemmt. Dies ist wichtig, da die Verjährungsfrist nur drei Jahre beträgt.

Welchen Nachteil hat die Stufenklage?


Ihr klarer Nachteil ist, dass sie sich oft über Jahre hinzieht. Immerhin muss vor Gericht eine Stufe nach der anderen im Prozess durch Teilurteile zu den einzelnen Stufen ”abgearbeitet” werden. Gegen jedes einzelne Teilurteil kann die Gegenseite Berufung einlegen. Möglicherweise muss ein Teilurteil, etwa auf Auskunft, durch den Kläger erst vollstreckt werden - wieder geht Zeit ins Land.

Bleiben die vom Sachverständigen ermittelten Werte auf der Zahlungsstufe immer noch umstritten, sind auch noch gerichtlich in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten einzuholen. Das ursprüngliche Wertermittlungsgutachten war ja nur ein Privatgutachten und stellt damit im Prozess nur ein - wenn auch urkundlich belegtes - Vorbringen einer Prozesspartei dar.

Erneut haben wir hier also eine Verzögerungstaktik, mit der oft die Erbenseite vorgeht. Die Folge kann sein, dass die Kläger den langwierigen Prozess nervlich oder finanziell nicht durchstehen. Geduld ist jedoch für diese um so wichtiger, als sie sonst vielleicht zu früh einem deutlich zu geringen Vergleichsvorschlag zustimmen. Pflichtteilskläger müssen zwar beim Scheitern eines Vergleichs damit rechnen, zwei Jahre oder länger auf ihr Geld zu warten. Für diese Zeit gibt es jedoch dann auch Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank. Dabei kann es sich um erhebliche Beträge handeln.

Für die Erbenseite kann eine Verzögerung durch Berufungen ohne Erfolgsaussicht gegen die Teilurteile oder auch durch einfaches Ignorieren der Teilurteile zu ganz erheblichen Kosten führen: Im ersten Fall zu den Prozesskosten für das sinnlose Rechtsmittel, im zweiten Fall zu den Kosten für eine Vollstreckung oder zu Zwangsgeldern, unter Umständen sogar zu Zwangshaft.

Wie kann man die Erbenseite unter Druck setzen?


Der Wertermittlungsanspruch kann jedoch für den Pflichtteilsberechtigten auch ein Mittel sein, um den oder die Erben unter Druck zu setzen. Schließlich muss der Erbe auf Kosten des Nachlasses ein kostspieliges Sachverständigengutachten bezahlen. Bei einer Immobilie kann dieses leicht 5.000 Euro kosten. Die Kosten für den Gutachter reduzieren zwar auch mittelbar den Pflichtteil des Pflichtteilsberechtigten, wirken sich allerdings nur auf die Pflichtteilsquote aus. Den überwiegenden Teil trägt der Erbe, der das Gutachten zu bezahlen hat. So kann die Verfolgung des Wertermittlungsanspruches ein gutes Mittel für den Pflichtteilsberechtigten sein, um den Erben zu einem günstigen Vergleich zu bewegen.

Ein weiteres Druckmittel besteht darin, auf einem durch einen Notar aufgenommenen Nachlassverzeichnis zu bestehen. Dieses Recht hat der Pflichtteilsberechtigte nach § 2314 BGB. Auch kann er wie bereits erwähnt verlangen, zur Errichtung des Nachlassinventars hinzugezogen zu werden. Diese Ansprüche lassen sich durchsetzen durch einen Antrag auf Zwangsgeld bei Nichtbeachtung. Die Zwangsgelder können hier empfindliche Höhen erreichen.

Praxistipp


Häufig enden Pflichtteilsprozesse mit Vergleichen. Denn: Oft wird den Beteiligten der Gesamtprozess einfach zu langwierig. Zwar streiten sich die Parteien zunächst um Auskünfte, letztendlich geht es aber um Geldbeträge. Ein langwieriger Stufenprozess führt oft dazu, dass sich die Beteiligten Stück für Stück näherkommen und letztlich geht es nur noch um die Konditionen. Hilfreich ist auf beiden Seiten viel taktisches Gespür, um zum richtigen Zeitpunkt das richtige Vergleichsangebot zu unterbreiten. Übrigens wird auch das Gericht schon von der ersten mündlichen Verhandlung über einen Auskunftsanspruch an schon auf einen Vergleich hinsichtlich der Zahlungsstufe hinwirken. Unerlässlich ist die Beratung und Vertretung durch einen erfahrenen Fachanwalt für Erbrecht.

(Bu)


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 Stephan Buch
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