EuGH, Urt. 21.12.2021 - C-251/20

Internationale Zuständigkeit bei unerlaubter Handlung

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 05/2022
Nach Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 kann eine Person bei Verbreitung verunglimpfender Äußerungen über sie im Internet vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dem diese Äußerungen zugänglich waren, Ersatz des dort entstandenen Schadens verlangen, selbst wenn diese Gerichte nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung bzw. Entfernung zuständig sind.

VO (EU) 1215/2012 Art. 7 Nr. 2

Das Problem

Ein französisches Gericht hat den Rechtsstreit eines tschechischen Erotikfilmproduzenten mit einem ungarischen Regisseur wegen Beleidigung im Internet im Hinblick auf Unterlassung und Richtigstellung zurückgewiesen und bzgl. Schadensersatzes dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Gerichtszuständigkeit hinsichtlich Schadensersatzansprüchen könne auch ohne Kognitionsbefugnis bzgl. negatorischer Ansprüche bestehen.

Deliktische Zuständigkeit: Nach der besonderen Zuständigkeit für unerlaubte Handlungen könne eine Person gem. Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 (EuGVVO oder Brüssel Ia-VO) ebenso wie zuvor nach Art. 5 Nr. 3 VO (EG) 44/2001 (EuGVVO a.F. oder Brüssel I-VO) nicht nur in ihrem Sitzmitgliedstaat, sondern auch im Mitgliedstaat des Schadenseintritts verklagt werden. Ratio legis sei Vorhersehbarkeit für die Gegenpartei sowie leichtere Beweisaufnahme aufgrund der engen Beziehung zwischen Streitigkeit und Gericht (vgl. Erwgrd. 16 EuGVVO). Der Schadenseintrittsort umfasse sowohl den Ort des ursächlichen Geschehens (Handlungsort) als auch den Erfolgsort, an dem sich der Schadenserfolg verwirkliche (Rz. 21–27).

Mosaiktheorie des Erfolgsorts: Der in einem Mitgliedstaat verwirklichte (Teil-)Schaden könne dort gerichtlich geltend gemacht werden, sofern die ansehensbeeinträchtigende Veröffentlichung dort verbreitet worden sei (vgl. zu Ehrverletzung in Printmedien EuGH v. 7.3.1995 – C-68/93 – Shevill I, Rz. 33, NJW 1995, 1881). Das gelte auch für Schadensanteile aus Veröffentlichungen im Internet; der Gesamtschaden könne jedoch nur entweder am Handlungsort etwa beim Niederlassungsort der Gegenseite oder am Erfolgsort nach dem Interessenmittelpunkt des Verletzten erhoben werden (vgl. EuGH v. 25.10.2011 – C-509/09 u.a. – eDate Rz. 52, ITRB 2012, 28 [Kunczik]).

Kein Mosaik bei negatorischen Ansprüchen: Wegen der weltumspannenden Reichweite von Internetinhalten könnten Klagen auf Richtigstellung und Entfernung angesichts ihrer Einheitlichkeit und Untrennbarkeit nur im für den Gesamtschaden zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden (EuGH v. 17.10.2017 – C-194/16 – Bolagsupplysningen Rz. 48, ITRB 2018, 4 [Kartheuser]).

Keine exklusive Zuständigkeit für Schadensersatz: Eine einheitliche Zuständigkeit sei bei Klagen auf Schadensersatz angesichts dessen quantitativer Teilbarkeit und der Unterschiede bei Gegenstand und Rechtsgrund nicht gerechtfertigt. Ein lediglich für den Teilschaden zuständiges Gericht sei durchaus in der Lage, Eintritt und Höhe des im Mitgliedstaat entstandenen Schadens zu beurteilen. Dies trage i.Ü. zur geordneten Rechtspflege bei, wenn der Mittelpunkt der Klägerinteressen nicht bestimmt werden könne (Rz. 35–40).

Keine einschränkenden Kriterien: Anders als Art. 17 Abs. 1 lit. c EuGVVO enthalte Art. 7 Nr. 2 EuGVVO für die Gerichtszuständigkeit keine über die bloße Zugänglichkeit der rechtsverletzenden Inhalte im Mitgliedstaat hinausgehende zusätzliche Voraussetzung, wie etwa die Ausrichtung der Tätigkeit. Andernfalls könnte sie zum faktischen Ausschluss der beschriebenen Möglichkeit der Teilschadensersatzklage führen (Rz. 41 f.).


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