Geschäftsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit vor Erhebung der Vollstreckungsgegenklage

21.08.2020, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Gerichtsgebäude Über Anwaltsgebühren sind sich auch die Gerichte nicht immer einig. © Rh - Anwalt-Suchservice

Bei der Berechnung von Anwaltsgebühren kann die Abgrenzung der Geschäftsgebühr von der Verfahrensgebühr für die Zwangsvollstreckung Probleme bereiten - wie auch die Toleranzgrenze.

Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem Urteil vom 13.1.2011 (Az. IX ZR 110/10) mit der Abgrenzung der Geschäftsgebühr von der Gebühr nach Nr. 3309 VV RVG (Verfahrensgebühr in der Zwangsvollstreckung) befasst. Das Urteil enthält auch Aussagen zur Toleranzgrenze und zur Kappungsgrenze. Auch danach gab es jedoch interessante Urteile...

Worum ging es vor dem BGH?


Ein Rechtsanwalt war von seinem Mandanten beauftragt worden, gegen einen Darlehensanspruch vorzugehen. Dieser war in notarieller Urkunde mit Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung tituliert worden. Der Zahlungspflichtige ließ eine Zahlungsaufforderung des Gläubigers durch seinen Anwalt zurückweisen - mit Erfolg.
Anschließend stritten die Parteien jedoch noch um den Ersatz der zur Abwehr der Darlehensforderung durch den Rechtsanwalt entstandenen Kosten. Geltend gemacht wurde eine 1,5 fache Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer.

Das Amtsgericht war der Ansicht, dass nur der Gebührentatbestand der Nr. 3309 VV RVG erfüllt sei. Das Landgericht betrachtete jedoch den Ansatz einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG als gerechtfertigt.
Letzteres wurde vom Bundesgerichtshof bestätigt. Der BGH sah einen Schadensersatzanspruch gemäß § 280 BGB als gegeben an und lehnte ein Mitverschulden des Zahlungspflichtigen ab. Der BGH befasste sich mit folgenden Fragestellungen:

Wird durch die Tätigkeit der Rechtsanwälte eine Geschäftsgebühr ausgelöst?


Der BGH führte aus: Die Tätigkeit der beauftragten Rechtsanwälte erfülle den Gebührentatbestand der Nr. 2300 VV RVG und löse damit eine Geschäftsgebühr aus. Der Auftrag betreffe eine außergerichtliche Tätigkeit. Das vom Auftraggeber verfolgte Ziel war nur mit Hilfe einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO erreichbar. Dazu musste die materielle Rechtslage sowie die Beweislage anwaltlich geprüft werden. Dieser Arbeitsaufwand entspreche dem, den der Anwalt vor der Einleitung eines streitigen Erkenntnisverfahrens erbringen müsse, um Ansprüche geltend zu machen, die dann mit einer Leistungsklage durchgesetzt werden sollten.

Der Bundesgerichtshof verglich nun die gebührenrechtliche Lage vor Erhebung einer Leistungsklage mit der vor einer Vollstreckungsabwehrklage. Wenn der Anwalt einen unbedingten Auftrag zur Klageerhebung bekomme und zuvor noch erfolgreich außergerichtliche Verhandlungen führe, habe er einen Anspruch auf eine Verfahrensgebühr gemäß Nrn. 3100, 3101 VV RVG in Höhe von 0,8.

Dies gelte auch, wenn er einen unbedingten Klageauftrag zur Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO erhalten habe. Solle er stattdessen zunächst außergerichtlich tätig werden verbunden mit einem bedingten Klageauftrag, könne er seine - erfolgreiche - außergerichtliche Tätigkeit nach Nr. 2300 VV RVG abrechnen. Nichts anderes gelte, wenn der Anwalt den entsprechenden Auftrag zur Abwehr eines titulierten Anspruchs erhalte.

Anders sei es jedoch dann, wenn der Auftrag lediglich darauf gerichtet sei, die Voraussetzungen der angedrohten Zwangsvollstreckung (Titel, Klausel, Zustellung) zu prüfen oder wenn über Teilzahlungen zu verhandeln sei. Dafür könne nur eine Gebühr nach Nr. 3309 VV RVG berechnet werden.

Was sagt der BGH zum Thema Toleranzgrenze?


Der BGH hat sich auch mit der Toleranzgrenze beschäftigt. In der Rechtsprechung werde meist davon ausgegangen, dass der Rechtsanwalt bei der Festlegung seiner konkreten Gebühr einen Spielraum von 20 % nutzen könne. Wenn die von ihm festgelegte Gebühr innerhalb dieser Spanne liege, habe er sein Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt. Die zuvor gelegentlich vertretene Auffassung, die Toleranzgrenze liege bei 30 %, unterstützte der BGH damit nicht.

Welche Aussagen trifft das Urteil zur Kappungsgrenze?


Schließlich enthält das Urteil Ausführungen zur Kappungsgrenze. Diese können leicht missverstanden werden. Der Bundesgerichtshof erklärt dazu, dass im konkreten Fall jedenfalls eine Geschäftsgebühr von 1,3 gerechtfertigt sei. Die abgerechnete Gebühr in Höhe von 1,5 befinde sich noch innerhalb der Toleranzgrenze von 20 % und sei deswegen angemessen.

Eine höhere Gebühr als 1,3 kann nach der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Durch die Formulierung im Urteil kann nun der Eindruck entstehen, die Kappungsgrenze könne mit der Toleranz von 20 % überwunden werden. Dies trifft jedoch nicht zu.

Das Landgericht Magdeburg (BeckRS 2011, 03221) als Vorinstanz hat sich mit den Kriterien des § 14 RVG befasst und dazu erläutert:

"… Nach Auffassung der Kammer ist auch die Geltendmachung einer 1,5fachen Gebühr nicht zu beanstanden. Der Kläger hat einen gesteigerten Umfang und eine gesteigerte Schwierigkeit der Angelegenheit dargelegt, und insbesondere damit begründet, dass die Prüfung nach dem Anfechtungsgesetz erforderlich gewesen sei. Dass die Prüfung erforderlich war, ergibt sich aus Ziffer 3.2 der Vertragsurkunde vom 25.04.2002, in der darauf hingewiesen wird, dass die Verrechnung nur unter den dort genannten Voraussetzungen - rechtskräftige Eigentumsumschreibung und Verjährung eventueller Anfechtungsfristen seitens der Gläubiger des Klägers - erfolgt.

Die danach notwendige materiell-rechtliche Prüfung rechtfertigt nach Auffassung der Kammer die Annahme eines überdurchschnittlichen Aufwands und damit die Berechnung einer 1,5fachen Gebühr…".

Der BGH nimmt darauf Bezug und erklärt, dass diese Ausführungen einer rechtlichen Nachprüfung standhalten. Dies bedeutet, dass der BGH auch davon ausgeht, dass die Voraussetzungen für das Überschreiten der Kappungsgrenze im konkreten Fall gegeben sind. Daher und nicht nur allein wegen der Toleranzgrenze war die abgerechnete Gebühr in Höhe von 1,5 hier gerechtfertigt.

Wie ging es mit der BGH-Rechtsprechung weiter?


In einem weiteren Urteil vom 8.5.2012 hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung bestätigt. Demnach würde auch die 1,5fache Geschäftsgebühr für eine außergerichtliche Tätigkeit noch innerhalb der Toleranzgrenze von 20 % liegen - und wäre gerichtlich nicht in Frage zu stellen (Az. VI ZR 273/11).

Hier wurde allerdings deutlich darauf hingewiesen, dass der einem Rechtsanwalt bei der Rahmengebühr zustehende Ermessensspielraum gerade verhindern solle, dass die Gerichte im Einzelfall bei relativ geringen Überschreitungen der Regelgebühr aufwändig überprüfen müssten, ob die anwaltliche Tätigkeit schwierig gewesen sei. Hier ging es nun also nur noch um die Toleranzgrenze.

Dann kam jedoch die Überraschung, zum Teil auch als "Rolle rückwärts" betitelt: Der VIII. Zivilsenat des BGH entschied etwas anderes.

In seinem Urteil vom 11.7.2012 stellte dieser nämlich fest, dass Rechtsanwälte eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus nur bei einer besonders umfangreichen oder schwierigen Tätigkeit verlangen dürfen. Eine solche Erhöhung sei also nicht pauschal durch die Toleranzgrenze von 20 % abgedeckt (Az. VIII ZR 323/11).

In dem verhandelten Mietrechtsfall war zu einer besonderen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit nichts vorgetragen worden.

Die Urteilsbegründung enthält auch die Aussage, dass sowohl der IX., als auch der VI. Zivilsenat auf Anfrage erklärt hätten, (nun) mit dieser Ansicht übereinzustimmen.

Praxistipp


Die beschriebenen Urteile zeigen, dass es auch bei Gebührenfragen durchaus Streit und widersprüchliche Gerichtsentscheidungen geben kann. Anwälten kann nur empfohlen werden, die aktuelle Gebührenrechtsprechung immer im Auge zu behalten.

(Bu)


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 Stephan Buch
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