Musterfeststellungsklage: Was ist das und wie funktioniert sie?

08.11.2018, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Gerichtsgebäude,Musterfeststellungsklage Was bringt die Musterfeststellungsklage für Verbraucher? © Rh - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Begriff: Die Musterfeststellungsklage ist ein zivilrechtliches Klageverfahren, bei dem nicht die betroffenen Verbraucher selbst, sondern ein "qualifizierter" Verband die Rechte der Verbraucher vor Gericht geltend macht. Sie ist abzugrenzen von der Abhilfeklage und der EU-Sammelklage.

2. Anspruchsklärung: Ergebnis der Musterfeststellungsklage ist die grundsätzliche Feststellung, ob ein Anspruch besteht, oder nicht. Ihre konkreten Zahlungsansprüche müssen die Verbraucher dann für sich selbst einfordern - ggf. mit einer weiteren Klage.

3. Mindestzahl: Für die Klageerhebung müssen zunächst mindestens zehn Geschädigte vorhanden sein. Ab da an läuft eine Frist von zwei Monaten, in der sich mindestens 50 Verbraucher in das Klageregister eingetragen haben müssen.

4. Verjährung: Ab dem Zeitpunkt, in dem sich ein Verbraucher in das Klageregister eingetragen hat, wird mit Blick auf seinen Anspruch die Verjährungsfrist unterbrochen.
Aus dem Ausland – etwa den USA – sind sogenannte Sammelklagen bekannt. Diese kommen zum Einsatz, wenn es eine Vielzahl von durch den gleichen Verursacher geschädigten Verbrauchern gibt, die jeweils einzeln kaum vor Gericht gegen würden, da ihnen das Risiko der Klage etwa gegen einen großen Konzern mit entsprechender Rechtsabteilung zu erheblich wäre. Ein ähnliches Modell wird schon länger in Deutschland diskutiert. Es ist mit der sogenannten Musterfeststellungsklage umgesetzt worden – allerdings mit deutlichen Unterschieden zur Sammelklage etwa in den USA.

Was konkret ist eine Musterfeststellungsklage?


Die Musterfeststellungsklage ist ein zivilrechtliches Klageverfahren, das zum 1. November 2018 eingeführt wurde. Dabei klagen nicht die betroffenen Verbraucher selbst. Es handelt sich vielmehr um eine sogenannte Verbandsklage, bei der ein Verband – etwa eine Verbraucherschutzorganisation – die Rechte der Verbraucher geltend macht. Diese können so mit geringerem Risiko gegen einen stärkeren Gegner vorgehen. Ergebnis der Klage ist dabei die grundsätzliche Feststellung, ob ein Anspruch besteht, oder nicht. Den eigentlichen Zahlungsanspruch in seinem konkreten Fall muss der einzelne Verbraucher dann selbst klageweise einfordern. Die Musterfeststellungsklage ebnet dafür lediglich den Weg, weil mit ihr festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für den fraglichen Anspruch vorliegen. Sie ist in der Neufassung von § 606 der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt.

Wer kann im Rahmen einer Musterfeststellungsklage klagen?


Klagen können sogenannte qualifizierte Einrichtungen. Diese sind in § 4 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlag) aufgezählt. Dazu gehören zum Beispiel die Verbraucherzentralen. Das Bundesministerium der Justiz führt eine Liste dieser Stellen und veröffentlicht diese auf seiner Internetseite.
Ein Verband darf klagen, wenn er seit mindestens vier Jahren auf dieser Liste steht oder auf der entsprechenden Liste der EU. Außerdem muss er mindestens 350 Personen als Mitglieder oder mindestens zehn Unterverbände haben. Der Verband muss gemäß seiner Satzung die Interessen von Verbrauchern wahrnehmen, darf dies nicht gewerblich betreiben und nicht mehr als fünf Prozent seiner Gelder von Unternehmen erhalten. Verbände dürfen Musterfeststellungsklagen nicht zur Gewinnerzielung erheben.

Wie viele Verbraucher müssen an einer Musterfeststellungsklage teilnehmen?


Das Gesetz schreibt als Mindestzahl für die Klageerhebung zunächst zehn Geschädigte vor. Nach dem Einreichen der Klage gibt es eine Frist von zwei Monaten, in der sich mindestens 50 Verbraucher in das Klageregister eingetragen haben müssen. Für diese Verbraucher gibt es kein Risiko, Prozesskosten tragen zu müssen. Sobald jemand sich eingetragen hat, stoppt dies die für seinen individuellen Anspruch laufende Verjährungsfrist.

Wie und wo wird die Musterfeststellungsklage eingereicht?


Die Klage wird durch den Verband eingereicht. Zuständig sind in erster Instanz die Oberlandesgerichte. Jedes Bundesland wählt ein Oberlandesgericht aus, bei dem die Musterfeststellungsklagen zentral bearbeitet werden. In NRW ist dies zum Beispiel das Oberlandesgericht Hamm.

Was ist der Unterschied zwischen Musterfeststellungsklage und Sammelklage?


Die Sammelklage (engl. class action) ist aus den USA bekannt. Sie funktioniert anders als die Musterfeststellungsklage. Die Sammelklage wird durch einen Anwalt im Auftrag einer Vielzahl von Geschädigten eingereicht. Die Anwaltskanzlei finanziert die entstehenden Kosten vor und behält im Erfolgsfall einen Prozentsatz der gezahlten Entschädigungssumme. Der Rest wird unter den Geschädigten bzw. Klägern aufgeteilt. In den USA kommt es so zwar zu hohen Entschädigungssummen, der einzelne Kläger erhält aber oft nur einen geringen Betrag.
In Deutschland wird die Musterfeststellungsklage durch einen Verband eingereicht, der keine eigenen finanziellen Interessen hat. Gewinnt dieser den Prozess, muss der Verbraucher abermals selbst vor Gericht gehen, um tatsächlich Schadensersatz zu bekommen.

Welche Kritik gibt es an der Musterfeststellungsklage?


Ein häufiger Kritikpunkt ist gerade, dass der Verbraucher selbst noch einmal klagen muss und dann natürlich auch das Prozessrisiko trägt. Im Einzelfall kann es hier immer noch zu einer Klageabweisung kommen, wenn der Einzelfall in irgendeinem Detail von der Standard-Situation abweicht, über die bei der Musterfeststellungsklage entschieden wurde. Zum Teil wird durch dieses Verfahren auch eine Überlastung der Gerichte durch viele Einzelklagen befürchtet.
Kritisiert wird auch, dass sich Verbraucher nicht selbst zu einer Gruppe zusammenschließen und klagen dürfen, sondern dass dies über einen Verband laufen muss. Zweck der Übung ist hier, dass die Entstehung einer regelrechten Sammelklagen-Industrie mit horrenden Entschädigungssummen und Honorarsätzen vermieden wird, die schließlich sogar die Preise für Produkte – wie etwa im US-Medizinbereich – in die Höhe treiben kann.

Praxistipp zur Musterfeststellungsklage


Die erste deutsche Musterfeststellungsklage wurde sofort im November 2018 eingereicht und betrifft den Diesel-Abgasskandal. Kläger ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen, Beklagter die Volkswagen AG. Zuständig ist das Oberlandesgericht Braunschweig. Das Klageregister, in welches sich Geschädigte zwei Monate lang eintragen können, wird beim Bundesamt für Justiz geführt.

(Bu)


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 Stephan Buch
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