Tempokontrolle: Wie nah darf der Blitzer stehen?

12.03.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 4 Min. (25736 mal gelesen)
Blitzer,Fahrverbot,Beschilderung,Bußgeldbescheid Manchmal gibt es gute Argumente gegen ein Fahrverbot. © - freepik

Bei Geschwindigkeitskontrollen fällt immer wieder auf, dass der “Blitzer” dicht hinter einer Ortseinfahrt oder hinter einem Temposchild aufgestellt ist. Für Betroffene kann dies ein gutes Argument gegen ein Fahrverbot sein.

Bußgeldbescheide und auch Fahrverbote können aus vielen Gründen angefochten werden. Ein möglicher Grund besteht darin, dass der Abstand zwischen dem Schild, das die Geschwindigkeit festsetzt, und dem mobilen Blitzer zu gering ist - denn dafür gibt es Regeln. Der Grund: Kein Autofahrer soll gezwungen sein, wegen einer Geschwindigkeitskontrolle plötzlich eine Vollbremsung hinzulegen und den nachfolgenden Verkehr zu gefährden. Allerdings kennt auch jede Regel wieder Ausnahmen.

Wie lautet die Grundregel bei Temposchildern?


Die vorgeschriebene Geschwindigkeit gilt grundsätzlich immer direkt ab dem Schild, das sie festsetzt oder - bei Tempo 50 im Ort - ab Ortsschild am Ortseingang. Daher müssen Autofahrer ihr Tempo rechtzeitig reduzieren. Sie dürfen nicht erst bei Erreichen des Schildes zu bremsen anfangen.

Wie lege ich Widerspruch ein?


Nach Erhalt eines Bußgeldbescheids hat man ab Zustellung zwei Wochen Zeit, Widerspruch einzulegen. Danach ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig. Allerdings: Wird die Frist unverschuldet versäumt, kann man eine sogenannte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragen. Das heißt: Der Zustand vor Fristablauf wird wiederhergestellt und man kann doch noch Widerspruch einlegen. Weist die Behörde, die den Bußgeldbescheid verhängt hat, den Widerspruch zurück, findet ein Ordnungswidrigkeiten-Verfahren vor Gericht statt. Dort wird der Fall dann genauer geprüft. Näheres zum Widerspruch erfahren Sie hier:
Sachverständigenstudie: 85 Prozent der Bußgeldbescheide sind angreifbar

Länderwirtschaft: Vorschriften-Durcheinander


Wie nah ein Blitzer hinter einem Temposchild stehen darf, ist leider nicht bundeseinheitlich geregelt. Zwar spricht etwa der TÜV-Nord als Faustregel von 150 Metern mindestens. Tatsache ist: Die einzelnen Bundesländer haben unterschiedliche eigene Regelungen. Üblich sind Abstände von 75 bis 200 Metern, gelegentlich gibt es sogar eine völlig unklare Regelung wie “nicht in unmittelbarer Nähe”. Auf Landstraßen und Autobahnen wird teilweise ein Abstand von 250 Metern festgesetzt.

Einige Beispiele:

In Bayern soll generell ein Abstand von 200 Metern eingehalten werden. Hessen begnügt sich mit 100 Metern, Sachsen-Anhalt mit 150. Berlin schreibt bei Temposchildern nur 75 und bei Ortsschildern 150 Meter Abstand vor. Mecklenburg-Vorpommern erlaubt einen Abstand von 100 Metern auf Kraftfahrstraßen und von 250 Metern auf Autobahnen. 100 Meter sind es auch in Schleswig-Holstein. Keine klaren Regeln gibt es zum Beispiel in Hamburg. In Nordrhein-Westfalen wurde die Abstandsregelung 2005 abgeschafft.

Kann ich mich auf die Abstandsregeln berufen?


Die Mindestabstände sind in internen Verwaltungsrichtlinien geregelt. Diese sind nicht bindend; es sind also keine Gesetze, auf die sich der Bürger jederzeit berufen kann. Aber: Betroffene können mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung nach Artikel 3 Grundgesetz argumentieren, wenn in ihrem Einzelfall der Blitzer viel zu nah am Schild gestanden hat und die Behörde dadurch von ihrem üblichen Handeln abweicht. Wenn es dann für eine Ungleichbehandlung keine konkreten Gründe gibt, kann eine Verfahrenseinstellung geboten sein. In manchen Fällen wird auch nur vom Verhängen eines Fahrverbots abgesehen - dies kann aber für Betroffene, die ihr Auto beruflich brauchen, ganz entscheidend sein. Die Gerichte haben hier einen Ermessensspielraum. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat beispielsweise entschieden, dass von einem Regelfahrverbot Abstand genommen werden kann, wenn der Blitzer zu nahe an der Geschwindigkeitsbeschränkung steht (13.01.2014, Az. 2 SsBs 364/13).

Welche Sonderregeln gibt es an Gefahrstellen?


Ausnahmen gelten an besonders gefahrenträchtigen Straßenabschnitten. Dort gelten die genannten Mindestabstände also nicht. Beispiele sind Baustellen oder unübersichtliche Einmündungen. Auch kurze Straßenabschnitte mit 30er-Zone vor Schulen, Kindergärten und Altenheimen gelten als gefahrenträchtig. Auch nach einem Geschwindigkeitstrichter (wenn das erlaubte Tempo durch abgestufte Schilder schrittweise heruntergebremst wurde) darf die Polizei oder die Gemeinde in geringerem Abstand zu einem Temposchild "blitzen".

Wie haben die Gerichte dazu entschieden?


Ein wichtiges Gerichtsurteil zu dieser Problematik erging schon vor längerer Zeit in Bayern. Eine Autofahrerin war kurz hinter einem Ortsschild geblitzt worden. Sie war statt mit erlaubten 50 km/h mit 85 km/h unterwegs gewesen. Ergebnis waren eine Geldbuße und ein einmonatiges Fahrverbot. Das Bayerische Oberste Landesgericht entschied jedoch, dass hier vom Fahrverbot abgesehen werden könne. Wenn die Messung entgegen den innerdienstlichen Richtlinien unmittelbar nach dem Ortsschild an der Ortseinfahrt stattfinde, sei dies gerechtfertigt (Beschluss vom 04.09.1995, Az. 1 ObOWi 375/95).

Ein anderes Urteil fällte das Oberlandesgericht Hamm. Auch hier ging es um eine Geldbuße mit Fahrverbot. Der Fahrer war mit 57 km/h in einer Tempo-30-Zone gemessen worden. Das Temposchild stand 70 Meter vor dem Messwagen. Das Gericht bestätigte die Entscheidung der Bußgeldbehörde: Der damals verwaltungsintern vorgegebene Abstand von 200 Metern zwischen Schild und Geschwindigkeitsmessung habe hier unterschritten werden dürfen. Grund war die Einfahrt eines nahen Kindergartens. Um diesen herum liege eine besonders schutzwürdige Zone, in der die Autofahrer gerade zur Einhaltung von Tempo 30 gebracht werden sollten (4.11.2004, Az. 3 Ss OWi 518/04).

Übrigens: Es gibt keine Regel, die vorschreibt, dass ein Blitzer in einem bestimmten Mindestabstand zu einem Schild stehen muss, das eine Geschwindigkeitsbeschränkung aufhebt. Dies hat das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden (4.07.2011, Az. 4 Ss 261/11).

Praxistipp


Sind Sie der Meinung, dass Ihre Geschwindigkeitsmessung zu dicht hinter einem Temposchild stattgefunden hat? Gerade, wenn es um ein Fahrverbot geht, kann eine Überprüfung Sinn machen. Ein Fachanwalt für Verkehrsrecht kann die Erfolgsaussichten eines Widerspruches anhand der aktuellen Regeln im jeweiligen Bundesland einschätzen.

(Bu)


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 Stephan Buch
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