Autounfall: Was tun, wenn die gegnerische Haftpflichtversicherung nicht zahlt?

26.07.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Autounfall,Unfallschaden,Crash,Versicherung,Sachverständiger Was tun, wenn die gegnerische Versicherung nicht den ganzen Schaden zahlt? © - freepik

Den Kfz-Versicherungen stehen etliche Tricks zur Verfügung, um für den entstandenen Unfallschaden nicht oder nur weniger zu zahlen. Wie reagieren Geschädigte nun am besten auf dieses Gebaren?

Viele Autofahrer kennen die Situation: Man ist völlig schuldlos in einen Unfall mit dem eigenen PKW verwickelt und die gegnerische Haftpflichtversicherung zahlt trotz mehrfacher Mahnung und Fristsetzung einfach nicht. Oder sie beauftragt einen eigenen Sachverständigen, der den Schaden so hoch und den Wert des Unfallfahrzeugs so niedrig ansetzt, dass dieses bereits durch eine einzige Beule zum Totalschaden wird - und schon bekommt der Kunde nur noch einen Minimalbetrag. Abzüglich der 100 Euro, die der Schrotthändler für das Fahrzeug bietet, versteht sich. Dass die Haftpflichtversicherung in vielen Fällen erst recht keinen Nutzungsausfall, keine Wertminderung und keinen Haushaltsführungsschaden im Krankheitsfall bezahlt, versteht sich von selbst - gar nicht zu reden vom Einkommensausfall bei schweren Verletzungen. Den Unfallgeschädigten gehen so oft hohe Geldbeträge verloren, auf die Anspruch haben. Aber was kann man gegen diese willkürliche Regulierungspraxis tun?

Trick 1: Der wirtschaftliche Totalschaden


Ein beliebter Trick der Versicherungsgesellschaften besteht darin, bei der Berechnung der Schadenshöhe und des Fahrzeugwertes Beträge anzusetzen, die im Ergebnis zu einem wirtschaftlichen Totalschaden führen - obwohl das Auto ohne weiteres repariert werden und noch lange fahren könnte. Folge davon ist, dass nur noch ein minimaler Betrag ausgezahlt wird. Von diesem wird dann auch noch die Summe abgezogen, die der (von der Versicherung ausgewählte) Schrotthändler für das Fahrzeug zu zahlen bereit ist - der sogenannte Restwert. Die Berechnungen erfolgen dabei durch einen Sachverständigen der Versicherung. Nebenbei: "Sachverständiger" ist kein geschützter Begriff, jeder darf sich so nennen.

Generell liegt ein wirtschaftlicher Totalschaden dann vor, wenn die Reparaturkosten höher sind, als der Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs. Der Wiederbeschaffungswert ist der Betrag, den man für ein Auto desselben Typs und Alters, mit entsprechender Laufleistung und ähnlicher Ausstattung zahlen müsste. Inwieweit alle diese Punkte von Versicherungs-Sachverständigen berücksichtigt werden, ist jedoch eine andere Frage. Die KfZ-Haftpflichtversicherung bezahlt üblicherweise laut Vertrag den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes.

Unfallgeschädigte sollten in diesem Zusammenhang unbedingt die 130-Prozent-Regel kennen. Diese besagt: Bei Reparaturkosten bis zur Höhe von 130 Prozent des Fahrzeugwertes darf der Geschädigte von der gegnerischen Versicherung verlangen, dass ihm die Reparatur bezahlt wird - trotz "wirtschaftlichem Totalschaden". Damit kommen wir zu Trick 2:

Trick 2: Die 130-Prozent-Grenze für Reparaturkosten


Der Bundesgerichtshof hat sich verschiedentlich mit dem Totalschaden und der 130-Prozent-Grenze befasst. Ein Urteil ist besonders interessant: Der Gutachter einer Versicherung hatte die Reparaturkosten für ein Unfallfahrzeug auf mehr als 150 Prozent des Wertes des Fahrzeugs (= sogenannter Wiederbeschaffungswert) geschätzt. Der Geschädigte ließ sein Kfz trotzdem reparieren. Die Werkstatt verwendete gute Gebrauchtteile, so dass die Reparaturkosten unter 130 Prozent des Wiederbeschaffungswertes lagen. Trotzdem verweigerte die Versicherung des Unfallverursachers mit Blick auf das Gutachten des eigenen Sachverständigen die Zahlung. Der Bundesgerichtshof entschied: Die Versicherung musste zahlen. Begründung: Die Reparatur war fachgerecht und im vollen Umfang des Gutachtens durchgeführt worden und die Kosten waren unter der 130 Prozent-Grenze geblieben (Urteil vom 16.11.2021, Az. VI ZR 100/20).

Trick 3: Reparatur in "Partnerwerkstätten"


So mancher Unfallgeschädigte stellt erstaunt fest, dass ihn die gegnerische Versicherung gleich nach dem Unfall oder schon am Unfallort anruft und anbietet, alles zu übernehmen - die komplette Abwicklung, Abschleppen, Reparatur, Mietwagen - eben alles. Das sei bequem, spare Zeit und Stress. Hier lauert jedoch eine Falle: Das Interesse der Versicherung besteht hier darin, möglichst schnell die Zustimmung des Unfallgeschädigten für die Komplettabwicklung zu bekommen - bevor sich dieser über seine Rechte informiert oder gar auf die Idee kommt, den Schaden von einem eigenen Sachverständigen oder der eigenen Stammwerkstatt einschätzen zu lassen. Diese Möglichkeit hat man dann auch gar nicht mehr, denn das Fahrzeug ist weg. Es steht in einer Werkstatt, die einen Vertrag mit der Versicherung hat. Dieser sieht möglichst geringe Stundensätze und eine möglichst preisgünstige Reparatur vor - sofern man nicht mit der Totalschaden-Methode ganz um die Reparatur herumkommt. Ob die Reparatur fachgerecht ausgeführt wird, kann der Geschädigte nicht überprüfen.

Die Komplettabwicklung unter Beteiligung von Partnerwerkstätten der Versicherung wurde lange als sogenanntes "Fair-Play-Konzept" vermarktet. Erfunden hatte dieses die Allianz, während etwa bei der HUK eher von "Vertrauenswerkstätten" die Rede war. Heute wird der Begriff "Fair Play" in diesem Zusammenhang kaum noch verwendet - das Presseecho war schon in den ersten Jahren sehr schlecht. Das Grundkonzept kommt bei der Schadensabwicklung von Unfallschäden jedoch immer noch zur Anwendung.

Daher gilt: Rundum-Sorglos-Pakete sollten mit Skepsis betrachtet werden, egal, ob sie von der Versicherung oder einer Werkstatt angeboten werden. Sie sollen für die Gegenseite Kosten sparen und beruhen immer darauf, kritische Fragen und die Beteiligung von externen Sachverständigen (oder gar Anwälten) zu vermeiden. Bequemlichkeit kann hier sehr teuer werden.

Trick 4: Standardmäßige Kürzung der Rechnungen per Software


Eine weitere beliebte Methode der Versicherungen besteht darin, die Gutachten zunächst an Spezialfirmen wie zum Beispiel Control Expert weiterzuleiten, die dann mit Hilfe besonderer Software standardmäßig die Beträge kürzen und manche Schadenspositionen einfach streichen. Dies können zum Beispiel die Kosten sein, die für den Transport von der Werkstatt zum Lackierer anfallen, oder Aufschläge für Originalteile. Den Geschädigten gegenüber wird dies dann als Prüfung durch unabhängige Sachverständige dargestellt. Control Expert wurde 2020 übrigens von der Allianz Versicherung übernommen.

Die Gerichte sehen solche pauschalen Kürzungen eher kritisch. So verurteilte das Amtsgericht Nürnberg eine Versicherung zur Zahlung des vollen Schadens laut Gutachten. Der sogenannte Prüfbericht eines externen Unternehmens hatte diverse Kürzungen enthalten. Diese wurden weder vom Sachverständigen des Geschädigten, noch vom durch das Gericht beauftragten Gutachter für sachgerecht gehalten (Urteil vom 31.3.2014, Az. 20 C 10301/12).

Grundsätzlich muss das Risiko einer zu hohen Rechnung nicht vom Geschädigten getragen werden, sondern von der gegnerischen Versicherung. Dies ergibt sich zum Beispiel aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Celle. Hier ging es allerdings um eine Reparaturrechnung, die im Nachhinein höher ausfiel, als das Gutachten vorausgesehen hatte. Die Versicherung musste den Mehrbetrag bezahlen (Urteil vom 15.6.2017, Az. 14 U 37/17).

Darf man einen eigenen KfZ-Gutachter beauftragen?


Generell empfiehlt es sich, einen eigenen Gutachter zu beauftragen, und die Ermittlung von Schadenshöhe und Fahrzeugwert nicht der gegnerischen Versicherung zu überlassen. Zur Beauftragung eines eigenen Gutachters nach einem Unfallschaden muss man aber einiges wissen.

Trägt man selbst am Unfall eine Teilschuld, wird man auch einen Teil der Gutachterkosten übernehmen müssen. Trägt man keine Schuld, muss die Gegenseite diese Kosten tragen.

Die Gerichte sehen die Beauftragung eines Gutachters allerdings erst ab einer Schadenssumme von 1.000 bis 1.500 Euro als gerechtfertigt an. Denn: Auch der Geschädigte hat eine sogenannte Schadenminderungspflicht. Bei kleineren Schäden ist es ausreichend, einen Kostenvoranschlag der Werkstatt einzuholen.

Diese sogenannte Bagatellgrenze gilt nicht mehr, sobald der Versicherer einzelne Positionen im Kostenvoranschlag kürzt. Dann darf ein Gutachter eingeschaltet werden. Dies hat zum Beispiel das Amtsgericht Bamberg entschieden (Urteil vom 15.5.2014, Az. 0102 C 569/14).

Generell darf man als Geschädigter auch dann einen eigenen Gutachter beauftragen, wenn die Gegenseite schon einen Sachverständigen beauftragt hat (Kammergericht Berlin, Urteil vom 1.7.1976, Az. 12 O 268/76). Ausgeschlossen ist dies höchstens, wenn es zwischen beiden Seiten so vereinbart wurde, zum Beispiel im Rahmen eines Stillhalteabkommen. Damit verzichtet der Geschädigte auf die Einholung eines eigenen Sachverständigengutachtens (Amtsgericht Wuppertal, Urteil vom 1.6.2015, Az. 32 C 8/14).

Was muss man zur Nachbesichtigung wissen?


Den Termin, an dem der eigene Gutachter anrückt, muss man der gegnerischen Versicherung nicht mitteilen. Allerdings möchte diese dann oft eine eigene Nachbesichtigung des Unfallschadens durchführen. Sie hat jedoch keinen generellen Anspruch auf eine solche Nachbesichtigung. Zumindest nicht, solange sie nicht konkrete Zweifel an dem bisherigen Gutachten vorträgt (LG Berlin, Urteil vom 13.7.2011, Az. 42 O 22/10).

Trick: Schadenssteuerung per Werkstattbindung


Eine übliche Methode der Reduzierung von Auszahlungen ist heutzutage auch der Abschluss von Versicherungsverträgen mit Werkstattbindung. Hier geht es dann allerdings eher um Schäden am eigenen Fahrzeug, also um die Kaskoversicherung. Auch hier sollten sich Versicherungskunden vorsehen: Die geringere Prämie bezahlen sie im Schadensfall unter Umständen teuer. Denn: Auch hier wird die Reparatur von einer Vertragswerkstatt der Versicherung ausgeführt, zu geringeren Stundensätzen und mit Vorgaben zu den einzelnen Arbeiten. Der Qualität ist dies nicht zwingend dienlich. Auch hier soll so weit wie möglich vermieden werden, dass sich der Kunde selbst eine Meinung über die Schadenshöhe bildet.

Was ist ein Haushaltsführungsschaden?


Wird jemand ernsthaft verletzt, kann er seinen Haushalt vielleicht nicht mehr selbst führen. Auch dies ist ein Schaden, den die gegnerische Versicherung grundsätzlich bezahlen muss - sogar dann, wenn gar keine Haushaltshilfe eingestellt wurde, sondern die Verwandtschaft tätig wird. Für die Berechnung gibt es Tabellen (BGH, Urteil vom 3.2.2009, Az. VI ZR 183/08).

Was ist der merkantile Minderwert?


Dies ist der Betrag, um den sich der Wert des Unfallfahrzeugs verringert hat, weil es zwar fachgerecht repariert wurde, aber nun ein Unfallfahrzeug ist. Auch dieser Betrag muss nach einem Verkehrsunfall von der gegnerischen Versicherung ersetzt werden.

Praxistipp


Auch bei kleineren Unfallschäden kann es sich lohnen, die Hilfe eines Anwalts in Anspruch zu nehmen. Versicherungen neigen dazu, den Auszahlungsbetrag standardmäßig zu kürzen. Oft werden Positionen wie ein Haushaltsführungsschaden oder eine Wertminderung nicht berücksichtigt. Der beste Ansprechpartner ist ein Fachanwalt für Verkehrsrecht.

(Bu)


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 Stephan Buch
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