Über die Notwendigkeit des Verkehrsrechtsanwalts bei der Verkehrsunfallregulierung

13.05.2008, Autor: Herr Michael Vollmar / Lesedauer ca. 6 Min. (3678 mal gelesen)
Der Aufsatz zeigt die Notwendigkeit des Verkehrsrechtsanwalts bei der Verkehrsunfallregulierung als Gegengewicht zu den Kfz.-Haftpflichtversicherungen auf. Er ersetzt nicht die anwaltliche Beratung im Einzelfall.

Braucht man bei der Verkehrsunfallregulierung einen Rechtsanwalt?


Wenn man Sachbearbeiter der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer über die Funktion und die Berechtigung von Rechtsanwälten bei der Verkehrsunfallregulierung befragt, so besteht bei diesen weit verbreitet die Auffassung, Rechtsanwälte seien eigentlich bei der Regulierung von Verkehrsunfällen überflüssig, da die Versicherer die Schäden schon angemessen regulierten. Seit einigen Jahren wird diese Ansicht in Zusammenarbeit mit vielen Autohäusern massiv in der Öffentlichkeit propagiert. Die Autohäuser lassen sich z. B. die Ersatzansprüche der Unfallgeschädigten abtreten und rechnen direkt mit den Kfz.-Haftpflichtversicherungen ab. Auch ansonsten werden die Unfallgeschädigten davon abgehalten, einen Rechtsanwalt aufzusuchen und dazu gebracht, nur direkt mit den Versicherungen zu korrespondieren.

Die übergroße Mehrzahl der Verkehrsunfälle wird dadurch bereits heute quasi „an den Verkehrsrechtsanwälten vorbei“ direkt zwischen Geschädigten, Autohaus und Versicherung reguliert. Nur etwa 5 Prozent der Verkehrsunfallregulierungen erfolgen derzeit noch über Rechtsanwälte und – was die wenigsten wissen - die Versicherer sparen dadurch jährlich Millionenbeträge und das vor allem auch zulasten der Unfallgeschädigten.

Es ist nämlich nicht so, dass lediglich die Kosten des Rechtsanwalts bei der Regulierung entfallen, den Geschädigten werden vielmehr im großen Umfang ihnen rechtlich zustehende Ansprüche vorenthalten. Dies folgt daraus, dass – wenn man die Regulierung der Haftpflichtversicherung überantwortet - diese ihren eigenen Interessen zuwiderhandeln würde, wenn sie versuchen würde, die Interessen der Geschädigten zu verfolgen. Die Regulierungspraxis vieler Versicherer ist bei weitem nicht so seriös, wie der Anschein besteht. Dies gilt auch für eigentlich einfach gelagerte Verkehrsunfälle mit eindeutiger 100-zu-0-Haftungsverteilung und bloßen Sachschäden. Hier werden immer häufiger durch die Kfz.-Haftpflichtversicherungen externe Prüffirmen beauftragt, die sich darauf spezialisiert haben, aus Reparaturrechnungen der Werkstätten der Geschädigten so viele Positionen wie möglich herauszustreichen und dies zumeist entgegen der ständigen BGH-Rechtsprechung.

Doch viele Geschädigte fallen auf die Kürzungen herein und akzeptieren diese. Ein beliebtes Beispiel ist zum Beispiel die Streichung von Verbringungskosten zu Lackierereien mit der Begründung, es solle die werkstatteigene Lackiererei benutzt werden. Doch die betreffenden Werkstätten verfügen über keine eigene Lackiererei. Auch werden häufig die Stundenverrechnungsätze von markengebundenen Werkstätten moniert und die Geschädigten auf die wesentlich niedrigeren Stundenverrechnungssätze aller Werkstätten, z. T. auch von Billigwerkstätten verwiesen, obwohl der Bundesgerichtshof mehrfach, so vor allem in der sog. Porscheentscheidung eindeutig entschieden hat, dass dem Unfallgeschädigten - selbst wenn dieser lediglich fiktiv auf Gutachtenbasis abrechnet – Schadensersatz auf der Grundlage der Stundensätze seiner markengebundenen Werkstätten zusteht. Wird ein Rechtsanwalt eingeschaltet, so werden die zu Unrecht gekürzten Beträge in aller Regel sofort anstandslos nachbezahlt.

Überhaupt geben sich die Versicherungen insbesondere bei der aber wegen der Dispositionsbefugnis des Geschädigten über beschädigten Gegenstand rechtlich legitimen Schadensbezifferung auf fiktiver Gutachtenbasis sehr mißtrauisch und streichen in den Sachverständigengutachten herum und versuchen sogar teilweise, v. a. durch ihre wirtschaftliche Auftragsvergabemacht Druck auf unabhängige Sachverständige auszuüben, Gutachten nach bestimmten versicherungsfreundlichen, aber der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechenden Richtlinien zu erstatten. Ein wichtiger Tipp ist es, sich nicht mit der Begutachtung durch einen von der gegnerischen Versicherung beauftragten und daher per se versicherungsnahen Sachverständigen zufrieden zu geben, sondern einen eigenen neutralen Gutachter einzuschalten, welcher zumindest bei einer nicht ganz geringen Schadenshöhe bezahlt werden muss. Zu empfehlen sind beispielsweise die Gutachter der Unternehmensgruppe des TÜV.

Dazu kommt, dass der Unfallgeschädigte in aller Regel nicht alle Schadenspositionen, die er verlangen kann, kennt. Hat er keinen Rechtsanwalt, so erhält er diese ihm unbekannte Positionen auch nicht, da die Kfz.-Haftpflichtversicherer allenfalls das ersetzen, was geltend gemacht wird.
Dies gilt zum Beispiel für die Kostenpauschale, die der Geschädigte stets ohne Einzelnachweis verlangen kann, oder für die Nutzungsausfallentschädigung, die für den Zeitraum der Reparatur oder Wiederbeschaffung des Kfz. verlangt werden kann, wenn kein Mietwagen in Anspruch genommen worden ist. Bei Unfällen mit erheblichen Personenschäden erkennen v. a. die Gerichte im Rhein-Main-Gebiet eine sog. erweiterte Unkostenpauschale oder auch Mühewaltungspauschale für den Zeitaufwand infolge des Verkehrsunfalles ohne Einzelnachweis von bis zu Euro 100,00 an. Die bayerischen Gerichte erkennen dagegen nur die einfache Unfallkostenpauschale an. An viele mögliche Nebenansprüche, wie z. B. im Falle eines Totalschadens Kosten für eine Tankfüllung, Kosten der An- und Abmeldung, Kosten für österreichische oder schweizerische Autobahnvignetten oder Kosten für ein Wunschnummernschild etc. pp., denkt der Unfallgeschädigte häufig nicht. All diese Schadenspositionen bleiben daher in der Regel - mangels Einschaltung eines Verkehrsrechtsanwalts - unberücksichtigt.

Folge dieser Vorgehensweisen der Kfz.-Haftpflichtversicherungen ist, dass deren Schadensaufwendungen, die alle Jahre davor stets gestiegen sind, seit einigen Jahren stagnieren bzw. sogar leicht sinken, obgleich sie eigentlich, v. a. wegen höherer Reparaturpreise steigen müssten. Da dies – wie oben aufgezeigt - auf dem Rücken der Verkehrsunfallgeschädigten geschieht, ist dies unangemessen und sollten die Geschädigten bei einem Verkehrsunfall mit klarer Alleinhaftung des Unfallgegners stets einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung ihrer Ersatzansprüche beauftragen.

Wichtig ist hierbei noch zu wissen, dass der Unfallgeschädigte bei klarer Alleinhaftung des Gegners dem Grunde nach immer, selbst bei den kleinsten und einfachsten Unfällen auch seine Rechtsanwaltsaufwendungen von der gegnerischen Versicherung ersetzt erhalten. Diese zumeist ohnehin gegenstandswertabhängig relativ geringen Aufwendungen sind Teil des deliktsrechtlich bzw. aus Gefährdungshaftung geschuldeten Schadensersatzes nach §823 bzw. §7 StVG i. V. m. §249 BGB. Dies hat zur Folge, dass der Unfallgeschädigte die Schädigerversicherung nicht etwa erst selbst in Verzug gesetzt haben muss, bevor er einen Anspruch auf Bezahlung eines Rechtsanwalt im Rahmen der Regulierung hat, ja er muss sich noch nicht einmal selbst überhaupt mit der Versicherung in Kontakt gesetzt haben. Bereits das Erstanschreiben an die Versicherung kann man dem Rechtsanwalt übertragen. Schon wegen dieses günstigen materiellen Kostenerstattungsanspruches sollte bei klarer Alleinverursachung des Unfalls durch die Gegenseite immer – und zwar auch, wenn man über keine Rechtsschutzversicherung verfügt – sogleich ein auf Verkehrsrecht spezialisierter Rechtsanwalt eingeschaltet werden.

Ohnehin unverzichtbar ist der Rechtsanwalt stets, wenn nicht nur Sachschäden, sondern auch Personenschäden eingetreten sind, denn die Frage, welches Schmerzensgeld der Höhe nach angemessen erscheint, ist eine schwierige Bewertungsfrage, die nur der Rechtsanwalt anhand des Vergleiches des Falles mit in Schmerzengeldtabellen verzeichneten Fällen und zugehörigen Präjudikaten vornehmen kann. Dabei sind nicht nur die unmittelbaren Gesundheitsverletzungen zu berücksichtigen, sondern auch andere schmerzensgeldrelevante Faktoren, wie z. B. der Umstand, dass der Schädiger haftpflichtversichert ist, dass die Familie des Geschädigten eines lange geplanten Urlaub nicht antreten konnte, dass der Geschädigte seine sozialen Kontakte bzw. sportlichen Aktivitäten einschränken musste oder die zögerliche Regulierung durch die Schädigerseite. Wichtig ist, dass der Rechtsanwalt dabei das richtige Augenmaß bewahrt. Denn fordert er zu viel, so bleibt der Mandant, sofern er nicht rechtsschutzversichert ist, auf der Quote der Rechtsanwaltskosten „sitzen“, die zu viel gefordert worden ist. Der versierte Rechtsanwalt wird das Risiko der Überforderung durch maßvolle Forderungen und – wenn ein Gerichtsprozess unvermeidlich ist – durch Stellung eines prozessual zulässigen sogenannten „Größenordnungsantrages“ beim Schmerzensgeld zu minimieren wissen.

Ein sehr schwieriges Thema ist auch die Frage der Ursächlichkeit des Verkehrsunfallgeschehens für erlittene Verletzungen, die zumindest in den Gerichtsverfahren von den Rechtsanwälten der Versicherungen häufig bestritten werden und die dann oft sehr schwer nachweisbar ist, was in besonderem Maße für HWS-Scheudertraumata gilt. Für den Geschädigten selbst ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass er möglichst bald nach dem Unfall einen Arzt aufsucht, der sowohl die ärztlichen Befunde, als auch die Diagnosen sofort feststellt und attestiert. Bei der Frage der Unfallursächlichkeit von Verletzungen treten im Prozess relativ schwierige Rechtsfragen hinsichtlich des erforderlichen Beweismaßes in Abgrenzung der Vorschriften des §286 ZPO (Vollbeweis ohne Beweiserleichterungen) und des §287 ZPO (Beweis- und Darlegungserleichterungen durch Schadensschätzung seitens des Gerichts) auf. Es müssen für die Frage der Kausalität bei HWS-Schleudertraumata im Prozess mindestens zwei kostspielige Sachverständigengutachten - und hier empfiehlt es sich wirklich, eine Rechtsschutzversicherung zu haben - in Auftrag gegeben werden, nämlich ein biomechanisches und ein fachmedizinisches.

Auch sehr kompliziert ist die Bezifferung des von der Rechtsprechung anerkannten sogenannten Haushaltsführungsschadens in den Fällen, in denen eine Hausfrau verletzt und infolgedessen in ihrer Haushaltsführungsfähigkeit beeinträchtigt worden ist, wo je nach Standard des Haushaltes auf BAT (heute TVöD)-Vergütungen für eine Hauswirtschafterin o. ä. zurückgegriffen wird. Auch dies kann nur durch den Rechtsanwalt erfolgen.

Zumindest eine anwaltliche Beratung ist stets dann unverzichtbar, wenn die Verursachungsanteile der Unfallbeteiligten nicht klar sind. Dabei sollte man sich auch nicht auf die Einschätzung der unfallaufnehmenden Polizeibeamten verlassen, da diese keine Verkehrsjuristen sind und ihre Bewertung häufig von der der Gerichte abweicht. Trotz der großen Bedeutung sogenannter Anscheinsbeweise im Verkehrszivilrecht, ist die Reichweite und die Frage der Entkräftung solcher Anscheinsbeweise häufig sehr strittig und bedarf anwaltlicher Bewertung. Auch ist anwaltlicher Rat unverzichtbar, da das dem Verkehrszivilrecht zugrundeliegende Prinzip der Gefährdungshaftung für dem Laien zumeist schwer verständlich sein wird.
Der Rechtsanwalt wird dann in einem in der Regel preisgünstigen Erstberatungsgespräch schnell dazu raten, entweder Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche in bestimmter Höhe geltend zu machen oder aber davon Abstand zu nehmen.

Wichtig ist: Kommt der Rechtsanwalt zu dem Ergebnis, dass den eigenen Mandanten die Alleinhaftung trifft, so benötigt dieser in aller Regel für die Abwehr von Ansprüchen der Gegenseite eigentlich keinen eigenen Rechtsanwalt, da seine Kfz.-Haftpflichtversicherung ohnehin für ihn und für sich einen Rechtsanwalt bestellen wird. Nach §10 Abs. 5 AKB hat die eigene Versicherung das alleinige Regulierungs- und Prozessführungsrecht. Eine Ausnahme gilt erst dann, wenn die Versicherung dabei ihr billiges Ermessen überschreitet und einfach ersichtlich zu Unrecht reguliert. Dann können Schadensersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung des Versicherungsvertrages gegen die eigene Kfz.-Haftpflichtversicherung bestehen, die wiederum ein eigener Rechtsanwalt geltend machen sollte.