Von Brille bis Exoskelett: Welche Hilfsmittel muss die Krankenkasse bezahlen?

20.10.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Krankenkasse,Hilfsmittel,Zuzahlung,Mehrkosten,Rollstuhl Krankenkassen zahlen nicht alle Hilfsmittel. Zu Recht? © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Anspruch: Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine bereits vorhandene Behinderung auszugleichen.

2. Hilfsmittelverzeichnis: Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen GKV listet in einem Hilfsmittelverzeichnis Hilfsmittel auf, deren Kosten die gesetzlichen Krankenversicherungen erstatten. Wichtig zu wissen: Dieses Verzeichnis ist nicht abschließend.

3. Zuzahlungen: Bei dauerhaft genutzten Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl), aber auch Verbrauchsgütern (z.B. Inkontinenzeinlagen) müssen gesetzlich Krankenversicherte einen gewissen Betrag selbst zuzahlen.
Viele Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen wissen nicht genau, welche Leistungen ihnen im Ernstfall zustehen. Dies kann auch zu Gerichtsprozessen führen, denn hier geht es meist um ernsthafte Probleme: Wer nicht mehr laufen kann, kommt ohne Rollstuhl oder Krücken nicht weit.

Was sind medizinische Hilfsmittel?


Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Hilfsmittel, die jedoch nicht alle selbstverständlich von der Krankenkasse bezahlt werden. Beispiele sind Brillen, Hörgeräte, Prothesen, orthopädische Hilfsmittel (Schienen, Einlagen, Stützkorsetts), Inkontinenzhilfen, Kompressionsstrümpfe und auch Rollstühle. Als Hilfsmittel bezeichnet man jedoch auch Produkte, mit deren Hilfe Arzneimittel in den menschlichen Körper eingebracht werden, wie etwa Spritzen, Inhalationsgeräte sowie Applikationshilfen.

Welche Hilfsmittel werden von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt?


Grundsätzlich bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, um

- den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern,
- einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder
- eine bereits vorhandene Behinderung auszugleichen.

Auch medizinische Vorsorgeleistungen können einen Anspruch auf Hilfsmittel begründen, etwa um einer Pflegebedürftigkeit vorzubeugen.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen GKV listet in einem Hilfsmittelverzeichnis Hilfsmittel auf, deren Kosten die gesetzlichen Krankenversicherungen erstatten. Wichtig zu wissen: Dieses Verzeichnis ist nicht abschließend. Wenn also ein bestimmtes Hilfsmittel nicht darin auftaucht, bedeutet dies noch nicht, dass man keine Chance hat, dieses zu bekommen. Das Hilfsmittelverzeichnis des GKV ist insofern mehr als eine Orientierungshilfe zu verstehen.

Viele Hilfsmittel müssen vor der Anwendung durch die Patienten erst einmal deren individuellen Bedürfnissen oder deren Körper angepasst werden. Auch diese Kosten übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung, ebenso wie notwendige Instandsetzungen, Ersatzbeschaffungen, die Unterweisung in den Gebrauch der Hilfsmittel und eventuell erforderliche Wartungsarbeiten oder Kontrollen der korrekten Funktion.

Wann bekomme ich ein Hilfsmittel von der Krankenkasse bezahlt?


In jedem Fall muss die Krankenkasse vor dem Kauf eines Hilfsmittels die Versorgung damit genehmigen. Der Patient muss also einen Antrag stellen. Die Genehmigung ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Kasse auf dieses Recht ausdrücklich verzichtet hat. Viele Hilfsmittel sind rezeptpflichtig. Die Genehmigung der Krankenkasse ist auch dann nötig, wenn ein Arzt ein Rezept für das entsprechende Hilfsmittel ausgestellt hat.

Welche Zuzahlung muss ich bei Hilfsmitteln leisten?


Den Preis für Hilfsmittel handeln Krankenkassen und Leistungserbringer untereinander aus. Man unterscheidet zwischen Hilfsmitteln, die zum dauernden Gebrauch bestimmt sind oder reinen Verbrauchsartikeln.

Bei dauerhaft genutzten Hilfsmitteln müssen gesetzlich Krankenversicherte zehn Prozent des von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrags zuzahlen, mindestens fünf Euro und höchstens zehn Euro. Die Zuzahlung darf die Kosten des Hilfsmittels nicht übersteigen. Zu leisten ist sie an den Anbieter, etwa das Sanitätshaus. Kinder unter 18 müssen keine Zuzahlungen leisten.

Bei Verbrauchsgütern wie Sonden, Spritzen, Inkontinenzhilfen, Bettschutzeinlagen, oder Stomaartikeln beträgt die Zuzahlung zehn Prozent der Kosten pro Packung. Sie ist jedoch auf höchstens zehn Euro für den gesamten Monatsbedarf an solchen Hilfsmitteln begrenzt.

Wann fallen Mehrkosten für Hilfsmittel an?


Weitere Mehrkosten fallen bei Hilfsmitteln in der Regel nicht an. Leistungserbringer wie Apotheken müssen Patienten über Hilfsmittel beraten. Dies bezieht sich auch auf die Versorgung mit mehrkostenfreien Hilfsmitteln. Allerdings können Patienten auch freiwillig ein besseres Hilfsmittel vom Anbieter beziehen und die Differenz selbst bezahlen.

Über die gesetzliche Zuzahlung hinausgehende Mehrkosten oder eine sogenannte Aufzahlung dürfen nicht verlangt werden, wenn das Hilfsmittel einer regulären Kassenleistung entspricht.

Aber: Ist im Einzelfall ein höherwertiges Hilfsmittel medizinisch erforderlich, ist die gesetzliche Krankenversicherung verpflichtet, auf Antrag die Mehrkosten zu übernehmen. Dazu muss das teurere Hilfsmittel erhebliche, notwendige Funktionsvorteile haben.

Wo bekomme ich meine Hilfsmittel?


Hilfsmittel sind eine Sachleistung. Man kauft sie also nicht an einem beliebigen Ort selbst und lässt sich das Geld erstatten, sondern die Krankenkasse teilt dem Patienten mit, welcher ihrer Vertragspartner, zum Beispiel welches Sanitätshaus oder welche Apotheke, die Versorgung übernimmt. Dann läuft der Erwerb des Hilfsmittels entweder gleich auf Kosten der Krankenkasse, oder das Hilfsmittel wird leihweise überlassen. Dies passiert oft bei besonders teuren Hilfsmitteln wie Elektrorollstühlen oder solchen Artikeln, die nicht auf den jeweiligen Patienten angepasst werden müssen.

Es gibt Ausnahmefälle, in denen die Krankenkassen auch selbst beschaffte Hilfsmittel erstatten - zum Beispiel, wenn die Krankenkasse nicht fristgerecht über die Hilfsmittelversorgung entschieden hat oder wenn der oder die Versicherte das Verfahren einer Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V (Fünftes Sozialgesetzbuch) ausgewählt haben. Ein solches Wahlrecht haben gesetzlich Versicherte, sofern sie ihre Wahl vor Inanspruchnahme der Leistung der Krankenkasse mitteilen. Allerdings müssen sie dann oft einen Teil der Kosten tragen, den die Kasse nicht übernimmt.

Welche Besonderheiten gibt es bei bestimmten Hilfsmitteln?


Bei manchen medizinischen Hilfsmitteln gibt es Einschränkungen. So bezahlen die Krankenkassen Messgeräte für Blutdruck oder Blutzucker nur, wenn diese aus medizinischen Gründen zwingend erforderlich sind, wenn die Patienten also ständig selbst ihre Werte überwachen müssen.

Besonderheiten gibt es auch bei Brillen und Sehhilfen. Hier haben Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre einen Anspruch auf Versorgung. Erwachsene ab dem 18. Geburtstag haben einen Anspruch auf therapeutische Sehhilfen,

- sofern diese der Behandlung von Augenverletzungen oder -erkrankungen dienen (z. B. Speziallinsen, Okklusionsschalen).
- wenn eine schwere Sehbeeinträchtigung vorliegt.

Die Krankenkasse übernimmt dann die Kosten bis zum mit dem Anbieter vereinbarten Festbetrag.

Was sind Festbeträge?


Für bestimmte Hilfsmittel zahlt die Krankenkasse nur einen Festbetrag. Dies ist ein Höchstbetrag, den der Krankenkassen-Verband GKV jeweils für eine Gruppe von Hilfsmitteln bundesweit einheitlich festgelegt hat. Aktuell gibt es solche Festbeträge für Seh-, Hör- und Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie, Stoma-Artikeln und Einlagen. Eine Liste ist beim GKV online.

Anspruch auf Exoskelett bei Querschnittslähmung?


Mehrere Gerichte haben in den letzten Jahren Querschnittsgelähmten den Anspruch auf ein motorgetriebenes Exoskelett als Hilfsmittel zugestanden. Mit dessen Hilfe können die Patienten dann wieder aufrecht gehen. Die aktuellste Entscheidung kommt vom Sozialgericht Aachen. Dabei ging es um einen 23-jährigen Studenten, der seit seinem 15. Lebensjahr querschnittsgelähmt war. Das computergesteuerte Exoskelett verfügt über außen angelegte Orthesen vom Sprunggelenk bis zur Hüfte. Diese lassen sich durch kleine Veränderungen des Körperschwerpunkts bewegen, so dass aufrechtes Gehen möglich wird.

Die gesetzliche Krankenkasse hatte sich zunächst geweigert, dem Kläger dieses Hilfsmittel zuzugestehen. Dieser sei mit 1,93 m Körpergröße dafür zu groß. Obendrein leide er auch an Osteoporose, so dass seine Knochen sein Gewicht beim Gehen nicht tragen könnten.

Das Sozialgericht lehnte diese Argumente ab: Passprobleme seien bei der Erprobung dieses besonderen Modells nicht aufgetreten. Menschen, die regelmäßig im Rollstuhl säßen, hätten grundsätzlich eine geringere Knochendichte. Dies sei nicht automatisch ein Argument gegen ein Exoskelett. Der beim Kläger gemessene Wert überschreite den in der Bedienungsanleitung des Geräts genannten Wert der Knochendichte deutlich. Das Exoskelett erfülle das Grundbedürfnis des Stehens und Gehens. Es sei auch laut eines Sachverständigen hier geeignet und notwendig. Daher müsse die Kasse es bezahlen (SG Aachen, Urteil vom 17.3.2023, Az. S 15 KR 68/19).

Praxistipp zu Hilfsmitteln von der Krankenkasse


Auch Krankenkassen möchten gerne Geld sparen. Nicht immer ist ihre Ablehnung eines Hilfsmittel-Antrages jedoch rechtens. Ein im Medizinrecht erfahrener Rechtsanwalt kann Patienten in so manchem Fall helfen, die benötigten Hilfsmittel zu erhalten und damit wieder zu einem menschenwürdigen Alltag zu finden.

(Ma)


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